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»Er hat schwarze Magie benutzt. Er hat eingesehen, dass es falsch war«, sagte sie knapp. »Er hat damit aufgehört.«

Akkarins Mundwinkel zuckten schwach. »In der Tat. Ich glaube nicht, dass es der Gilde gefallen würde, das herauszufinden. Sie würde es gewiss nicht gern sehen, dass junge Novizen einen solchen Mann verehren, selbst wenn er seinen Irrtum am Ende erkannt hat.« Er hielt ihr die Bücher hin. »Dies hier ist eine erheblich ältere Aufzeichnung. Ich habe dir ein Original sowie eine Kopie mitgebracht. Das Original zerfällt schon beinahe, also benutze es nur, wenn du das Bedürfnis hast, dich davon zu überzeugen, dass die Kopie zuverlässig ist.«

»Warum zeigt Ihr mir diese Bücher?«

Sie hatte die Frage ausgesprochen, bevor sie es verhindern konnte. Die Aufsässigkeit und der Argwohn, die in ihrer Stimme mitgeschwungen hatten, ließen sie zusammenzucken. Akkarin sah ihr bohrend in die Augen, und sie wandte den Blick ab.

»Du willst die Wahrheit wissen«, sagte er. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

Er hatte Recht. Sie wollte mehr wissen. Ein Teil von ihr hätte die Bücher gern ignoriert – hätte gern abgelehnt, sie zu lesen, nur weil er wollte, dass sie es tat. Stattdessen trat sie vor und nahm sie ihm ab. Sie sah ihm nicht in die Augen, obwohl sie wusste, dass er sie genau beobachtete.

»Für diese Aufzeichnungen gilt dasselbe wie für das Tagebuch: Du darfst niemandem davon erzählen«, sagte er leise. »Lass nicht einmal deine Dienerin diese Bücher sehen.«

Sie trat einen Schritt zurück und blickte auf den Einband des älteren Buchs. Aufzeichnungen des zweihundertfünfunddreißigsten Jahres stand dort zu lesen. Das Buch war über fünfhundert Jahre alt! Beeindruckt blickte sie zu Akkarin auf. Er nickte kurz, dann wandte er sich ab. Seine Schritte hallten den Flur hinunter, und schließlich hörte sie das leise Klicken, als er die Tür zu seinem Schlafzimmer zuzog.

Die Bücher waren schwer. Mit einem kleinen magischen Impuls schloss sie ihre Tür und ging zu ihrem Schreibpult. Dort schob sie ihre Notizen beiseite und legte die beiden Bücher nebeneinander.

Vorsichtig schlug sie das Original auf und blätterte die ersten Seiten um. Die Schrift war verblasst und an manchen Stellen unleserlich. Als sie die Kopie ebenfalls aufschlug und die elegante Handschrift erkannte, durchlief sie ein eigenartiger Schauder. Es war Akkarins Handschrift.

Nachdem sie einige Zeilen des Originals gelesen hatte, verglich sie sie mit der Kopie und überzeugte sich davon, dass sie miteinander übereinstimmten. Wo der Text verblasst war, hatte Akkarin Notizen gemacht und umrissen, wie die fehlenden Worte seiner Meinung nach vielleicht gelautet haben könnten. Sie blätterte einige Seiten weiter, verglich beide Texte noch einmal miteinander und wiederholte den Vorgang mit einer weiteren Seite in der Mitte des Buches und einer kurz vor dem Ende. Beide Bücher schienen den gleichen Wortlaut zu haben. Später, nahm sie sich vor, würde sie jede Seite und jeden Satz überprüfen.

Sie schob das Original an den Rand ihres Pults, blätterte in der Kopie bis zur ersten Seite zurück und begann zu lesen.

Es handelte sich um die Chronik einer Gilde, die viel jünger und kleiner war als die gegenwärtige. Nach den ersten Seiten entwickelte Sonea eine echte Zuneigung für den Chronisten, der die Menschen, über die er schrieb, offensichtlich bewunderte. Die Gilde, die er kannte, unterschied sich stark von der, die sie selbst erlebte. Die Magier bildeten ihre eigenen Lehrlinge aus und bekamen dafür Geld oder Hilfeleistungen. Als eine Randbemerkung des Verfassers deutlich machte, welcher Art diese Hilfeleistungen waren, hielt Sonea entsetzt inne.

Diese frühen Magier stärkten sich, indem sie Magie von ihren Lehrlingen abzogen. Sie benutzten schwarze Magie.

Sie las den betreffenden Absatz wieder und wieder, aber seine Bedeutung war unmissverständlich. Damals nannten die Magier dieses Tun »höhere Magie«.

Sie betrachtete den Buchrücken und sah, dass sie etwa ein Viertel der Chronik gelesen hatte. Im weiteren Verlauf der Aufzeichnungen stellte sie fest, dass der Verfasser sich mehr und mehr auf die Aktivitäten eines widerspenstigen Lehrlings namens Tagin konzentrierte. Es stellte sich heraus, dass der junge Mann sich gegen den Wunsch seines Meisters höhere Magie beigebracht hatte. Tagin hatte Kraft von gewöhnlichen Menschen bezogen, was außer in Zeiten großer Not niemals getan wurde. Der Chronist brachte Missbilligung und Ärger zum Ausdruck, bis sein Ton plötzlich Furcht verriet. Tagin hatte höhere Magie benutzt, um seinen Meister zu töten.

Die Situation verschlimmerte sich zusehends. Während die Magier der Gilde Tagin zu bestrafen trachteten, begann dieser wahllos zu töten, um Stärke zu gewinnen und sich ihnen zu widersetzen. Magier berichteten von Männern, Frauen und Kindern, die niedergemetzelt worden waren. Ganze Dörfer wurden praktisch ausgelöscht, und nur einige wenige ihrer Bewohner überlebten, um über die bösartige Natur ihres Angreifers zu berichten.

Ein Klopfen an der Tür ließ Sonea auffahren. Sie klappte die Bücher hastig zu, schob sie mit dem Rücken an die Wand und legte mehrere gewöhnliche Schulbücher darauf. Dann zog sie ihre Notizen zu sich heran und verteilte sie auf dem Pult, als hätte sie für den Unterricht gelernt.

Als sie die Tür aufspringen ließ, kam Takan mit ihrem Raka herein. Sie bedankte sich bei ihm, war aber zu geistesabwesend, um danach zu fragen, wo Viola steckte. Sobald Takan wieder fort war, nahm sie einige Schlucke von dem Getränk und wandte sich dann wieder der Lektüre der Chronik zu:

Es fällt schwer zu glauben, dass irgendein Mensch zu derart sinnloser Gewalttätigkeit fähig sein soll. Der gestrige Versuch, seiner habhaft zu werden, scheint ihn in einen Blutrausch versetzt zu haben. Nach jüngsten Berichten hat er sämtliche Bewohner der Dörfer Tenker und Forei brutal ermordet. Er ist völlig außer Kontrolle geraten, und ich fürchte um uns alle. Es erstaunt mich, dass er sich noch nicht gegen uns gewandt hat – aber vielleicht sind dies seine Vorbereitungen für jenen letzten Schlag.

Sonea lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und schüttelte ungläubig den Kopf. Dann blätterte sie zu der vorangegangenen Seite zurück und las den letzten Eintrag noch einmal. Zweiundfünfzig Magier, gestärkt durch die Kraft ihrer Lehrlinge und des Viehs, das verängstigte Nichtmagier zu diesem Zweck gespendet hatten, waren außerstande gewesen, Tagin zu besiegen. Die nächsten Einträge hielten Tagins scheinbar willkürlich gewählten Weg durch Kyralia fest. Dann kamen die Worte, die Sonea gefürchtet hatte:

Meine schlimmsten Ängste sind wahr geworden. Heute hat Tagin Lord Gerin, Lord Dirron, Lord Winnel und Lady Ella getötet. Wird das Morden erst dann ein Ende finden, wenn alle Magier tot sind, oder wird Tagin sich erst zufrieden geben, wenn alles Leben auf der Welt vernichtet ist? Der Anblick, der sich hinter meinem Fenster auftut, ist grauenerregend. Tausende von Gorin, Enka und Reber verwesen auf den Feldern, nachdem sie ihre Kraft zur Verteidigung Kyralias hingegeben haben. Es sind zu viele Tiere, um sie zu essen…

Die Situation verschlimmerte sich weiter, bis über die Hälfte der Magier tot war. Ein Viertel der Gilde hatte bereits seine Habe zusammengerafft und war geflohen. Die übrigen unternahmen einen tapferen Versuch, Bücher und Heilkräuter zu retten.

Was wäre, wenn das Gleiche heute wieder passierte? Die Gilde war größer, aber jeder einzelne Magier konnte nur über einen winzigen Teil der Kraft gebieten, die ihre lange verstorbenen Vorgänger besessen hatten. Wenn Akkarin tat, was Tagin getan hatte… Sie schauderte und las weiter. Der nächste Eintrag war eine Überraschung.

Es ist vorbei. Als Alyk mir die Neuigkeiten überbrachte, wagte ich nicht, es zu glauben, aber vor einer Stunde bin ich die Treppe zum Ausguck hinaufgestiegen und habe die Wahrheit mit eigenen Augen gesehen. Es stimmt. Tagin ist tot. Nur er kann in seinen letzten Augenblicken eine solche Zerstörung angerichtet haben.