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Sie sah den Gefangenen an. Er war jetzt vollkommen erschlafft und beobachtete Akkarin voller Angst.

»Sonea.«

Sie wandte sich zu Akkarin um. Sein Blick war kalt und ruhig.

»Ich habe dich hierher gebracht, um einige deiner Fragen zu beantworten«, erklärte er. »Ich weiß, dass du mir nicht glauben wirst, solange du die Wahrheit nicht mit eigenen Augen gesehen hast, deshalb habe ich beschlossen, dich etwas zu lehren, was ich niemals irgendeinen Menschen lehren wollte. Es ist eine Kunst, die sich nur allzu leicht missbrauchen lässt, aber wenn du -«

»Nein!« Sie straffte sich. »Ich werde nicht lernen, wie man -« »Ich spreche nicht von schwarzer Magie.« Akkarins Augen blitzten. »Die würde ich dich nicht lehren, selbst wenn du es wolltest. Ich möchte dich lehren, wie man Gedanken liest.«

»Aber…« Als ihr klar wurde, was er meinte, sog sie scharf die Luft ein. Er war der einzige Magier der Gilde, der die Gedanken eines anderen Menschen lesen konnte, ganz gleich, ob dieser damit einverstanden war oder nicht. Sie hatte seine ungewöhnlichen Fähigkeiten am eigenen Leib erfahren, als er entdeckt hatte, dass sie, Lorlen und Rothen von seinen verbotenen Praktiken wussten.

Und jetzt wollte er sie die Kunst des Gedankenlesens lehren. »Warum?«, stieß sie hervor.

»Wie ich schon sagte, ich möchte, dass du dich selbst von der Wahrheit überzeugst. Wenn ich dir alles nur erzählte, würdest du mir nicht glauben.« Seine Augen wurden schmal. »Ich würde dir dieses Geheimnis nicht anvertrauen, wenn ich nicht wüsste, dass du über ein ausgeprägtes Ehrgefühl und eine starke Moral verfügst. Aber trotzdem musst du schwören, diese Methode des Gedankenlesens niemals gegen den Willen eines Menschen einzusetzen, es sei denn, Kyralia befände sich in großer Gefahr und es gäbe keine andere Möglichkeit.«

Sonea schluckte und erwiderte Akkarins Blick. »Ihr erwartet von mir, dass ich mir Beschränkungen auferlege, die für Euch nicht gelten sollen?«

Seine Augen verdunkelten sich, aber sein Mund verzog sich zu einem freudlosen Lächeln. »Ja. Wirst du den Eid leisten, oder sollen wir zurückkehren?«

Sonea betrachtete den Gefangenen. Akkarin hatte offensichtlich die Absicht, die Gedanken dieses Mannes zu lesen. Er würde sie nicht dasselbe tun lassen, wenn das, was sie auf diese Weise erfahren konnte, eine Gefahr für ihn darstellte. Aber würde sie vielleicht etwas sehen, das sie selbst in Gefahr brachte?

Es war unmöglich, in Gedanken zu lügen. Man konnte vielleicht die Wahrheit verbergen, aber auch das war schwierig – und vollkommen unmöglich bei Akkarins Methode. Wenn er jedoch dafür Sorge getragen hatte, dass dieser Mann gewisse Lügen für die Wahrheit hielt, konnte er sie dennoch täuschen.

Aber wenn sie diese Tatsache im Kopf behielt und sorgfältig abwog, was immer sie erfahren würde …

Es könnte durchaus nützlich sein, wenn sie lernte, Gedanken zu lesen. Selbst wenn sie den Eid leistete, würde sie das nicht daran hindern, diese Fähigkeit im Kampf gegen Akkarin einzusetzen. Kyralia drohte bereits große Gefahr allein durch den Umstand, dass im Herzen der Magiergilde ein schwarzer Magier saß.

Der Gefangene starrte sie an.

»Ich soll schwören, niemals in den Gedanken eines Menschen zu lesen, es sei denn, Kyralia wäre in Gefahr«, sagte sie langsam. »Dennoch wollt Ihr, dass ich die Gedanken dieses Mannes lese. Er stellt wohl kaum eine Bedrohung für Kyralia dar.«

Akkarin lächelte. »Jetzt nicht mehr. Aber er war durchaus eine Gefahr für unser Land. Und seine Behauptung, dass sein Herr dich versklaven wird, nachdem er mich getötet hat, sollte Beweis genug sein, dass eine zukünftige Bedrohung gegeben ist. Woher willst du wissen, ob sein Herr dazu imstande ist oder nicht, wenn du seine Gedanken nicht liest?«

»Mit diesem Argument könnte man es rechtfertigen, die Gedanken eines jeden Menschen zu lesen, der eine Drohung ausspricht.«

Akkarins Lächeln wurde breiter. »Was genau der Grund ist, warum ich dir diesen Schwur abverlange. Du wirst diese Fähigkeit nicht nutzen, es sei denn, du hättest keine andere Wahl.« Seine Miene wurde wieder ernst. »Es gibt keine andere Möglichkeit, um dir die Wahrheit zu zeigen – nicht ohne dein Leben zu gefährden. Wirst du den Schwur leisten?«

Sie zögerte kurz, dann nickte sie. Er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete. Schließlich holte sie tief Luft.

»Ich schwöre, niemals die Gedanken eines widerstrebenden Menschen zu lesen, es sei denn, Kyralia befände sich in großer Gefahr und es gäbe keine andere Möglichkeit, diese Gefahr abzuwenden.«

Er nickte. »Gut. Sollte ich je erfahren, dass du diesen Schwur gebrochen hast, werde ich dafür sorgen, dass du es bedauerst.« Er wandte sich zu dem Gefangenen um. Der Mann hatte sie aufmerksam beobachtet.

»Werdet Ihr mich jetzt gehen lassen?«, fragte der Gefangene in flehentlichem Tonfall. »Ihr wisst, dass ich tun musste, was ich getan habe. Sie haben mich dazu gezwungen. Jetzt, da der Stein fort ist, können sie mich nicht mehr finden. Ich werde nicht -«

»Schweig.« Der Mann krümmte sich bei Akkarins scharfem Befehl, dann wimmerte er leise, als der Hohe Lord neben ihm in die Hocke ging.

»Leg die Hand auf seine Stirn.«

Sonea schob ihr Widerstreben beiseite und ließ sich vor dem Gefangenen auf die Knie nieder. Als Akkarin eine Hand über ihre legte, setzte ihr Herz einen Schlag aus. Seine Haut fühlte sich zuerst kühl an, wurde dann aber schnell wärmer.

— Ich werde dir zeigen, wie du seinen Geist lesen kannst, aber sobald du es ohne meine Hilfe tun kannst, werde ich dir gestatten, deine Erkundungen nach Belieben fortzusetzen.

Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie seine Gegenwart wahr. Sie schloss die Augen und stellte sich ihren Geist, wie Rothen es sie geleert hatte, als einen Raum vor. Dann trat sie auf die Tür zu, um sie zu öffnen und Akkarin zu begrüßen, und zuckte vor Überraschung zusammen, als Akkarin plötzlich vor ihr in dem Raum stand. Er deutete auf die Wände.

— Vergiss das. Vergiss alles, was man dich gelehrt hat. Die Visualisierung verlangsamt und behindert deinen Geist. Wenn du diese Methode anwendest, wirst du nur das begreifen, was du in Bilder übersetzen kannst.

Der Raum um sie herum zerfiel. Das Gleiche geschah mit dem Bild Akkarins. Aber das Gefühl seiner Anwesenheit in ihrem Bewusstsein blieb erhalten. Als er damals ihre Gedanken gelesen hatte, hatte sie kaum etwas von seiner Anwesenheit gespürt. Jetzt konnte sie die Andeutung einer fremden Persönlichkeit wahrnehmen und einer Macht, die stärker war als alles, was ihr je zuvor begegnet war.

— Folge mir…

Seine Präsenz entfernte sich. Während sie dieser Präsenz folgte, spürte sie, wie sie sich einem dritten Geist näherte. Von diesem Geist schlug ihr Furcht entgegen, und sie traf auf Widerstand.

— Er kann dich nur dann aufhalten, wenn er dich spüren kann. Um zu verhindern, dass er dich spürt, musst du allen Willen und alle Absicht beiseite schieben – bis auf das eine Ziel, in seine Gedanken einzudringen, ohne sie aufzustören. Ich zeige es dir…

Zu ihrem Erstaunen veränderte sich Akkarins Präsenz. Statt mit seinem Willen nach dem Geist des Mannes zu greifen, schien er vielmehr aufzugeben. Nur ein Hauch seiner Präsenz blieb zurück, ein vages Begehren, in die Gedanken eines anderen Menschen einzudringen. Dann wurde seine Präsenz wieder stärker.

— Und jetzt du.

Ein ungreifbares Gefühl für das, was er getan hatte, war in ihr zurückgeblieben. Es war einfach erschienen, doch jedes Mal, wenn sie versuchte, es Akkarin gleichzutun, prallte sie von dem Geist des Gefangenen ab. Dann spürte sie, wie Akkarins Gedanken in ihre hineinwehten. Bevor sie darüber erschrecken konnte, sandte er ihr eine Botschaft – einen Hinweis darauf, wie sie vorgehen musste. Statt alle Absichten bis auf eine einzige voneinander zu trennen, sollte sie sich nur auf das eine Vorhaben konzentrieren, das sie wirklich verfolgen wollte.