Ein Mann wurde ausgewählt und verfolgt. Ein Messer, ein Geschenk Harikavas, wurde gezückt und…
— Zeit zu gehen, Sonea.
Sie spürte, dass Akkarin ihre Hand fester umfing. Als er sie von Tavakas Stirn löste, verlor sie sofort die Kontrolle über die Gedanken des Mannes. Argwohn stieg in ihr auf, und sie sah Akkarin stirnrunzelnd an.
»Warum ich das getan habe?« Er lächelte grimmig. »Du warst gerade im Begriff, etwas zu lernen, was du nicht lernen willst.« Er stand auf und blickte auf Tavaka hinab. Der Atem des Mannes ging in schnellen Stößen.
»Lass uns allein, Sonea.«
Sie starrte Akkarin an. Es war nicht schwer zu erraten, was er vorhatte. Sie wollte protestieren, und doch wusste sie, dass sie ihn nicht aufgehalten hätte, selbst wenn es ihr möglich gewesen wäre. Wenn sie Tavaka verschonten, würden sie einen Mörder freilassen. Er würde weiter unschuldigen Kyraliern auflauern. Mit schwarzer Magie.
Sie zwang sich, sich abzuwenden, die Tür zu öffnen und den Raum zu verlassen. Die Tür schwang hinter ihr zu. Morren blickte auf, und seine Miene wurde weicher. Er hielt ihr einen Becher hin.
Als sie den süßen Duft von Bol erkannte, nahm sie den Becher entgegen und trank einige Schlucke. Wärme durchströmte sie. Sie leerte den Becher und gab ihn Morren zurück.
»Besser?«
Sie nickte.
Hinter ihr wurde die Tür mit einem leisen Klicken geöffnet. Sie drehte sich zu Akkarin um, und sie sahen einander schweigend an. Sie dachte an die Dinge, die er ihr offenbart hatte. Die Ichani. Ihre Pläne, Kyralia zu überfallen. Dass er ein Sklave gewesen war… zu raffiniert, als dass es eine Täuschung hätte sein können. Etwas Derartiges konnte auch Akkarin nicht arrangieren.
»Du musst über vieles nachdenken«, sagte er sanft. »Komm. Wir werden in die Gilde zurückkehren.« Er ging an ihr vorbei. »Ich danke dir, Morren. Entledige dich seiner auf die gewohnte Art.«
»Ja, Mylord. Habt Ihr etwas Nützliches in Erfahrung bringen können?«
»Vielleicht.« Akkarin blickte zu Sonea. »Wir werden sehen.«
»Sie kommen jetzt häufiger?«, fragte Morren.
Sonea nahm ein leichtes Zögern in Akkarins Antwort wahr.
»Ja, aber dein Auftraggeber wird sie nun auch immer schneller entdecken. Richte ihm meinen Dank aus, ja?«
Der Mann nickte und reichte Akkarin seine Laterne. »Das werde ich.«
Akkarin öffnete die Tür und trat hindurch. Sonea, der noch immer der Kopf schwirrte von all den Dingen, die sie erfahren hatte, folgte ihm.
7
Akkarins Geschichte
Das Geräusch von Metall, das auf Metall schlug, hallte durch den Gang, gefolgt von einem gequälten Stöhnen. Cery blieb stehen und drehte sich erschrocken zu Gol um. Der stämmige Mann runzelte die Stirn.
Cery deutete ruckartig mit dem Kopf auf die Tür. Gol zog ein langes Messer aus dem Gürtel und eilte voraus. Als er die Tür erreichte und in den Raum spähte, verschwand der grimmige Blick aus seinen Augen.
Er sah Cery an und grinste. Erleichtert und nun eher neugierig als besorgt, machte auch Cery einen Schritt nach vorn und blickte durch die Tür.
Zwei Menschen verharrten regungslos; einer der beiden hatte ein Messer an der Kehle und wagte nicht, sich zu rühren. Cery erkannte den Verlierer des Kampfes: Es war Krinn, ein ausgesprochen begabter Kämpfer und Mörder, den Cery normalerweise für wichtigere Aufträge in Dienst nahm. Krinn sah mit flackerndem Blick zu Cery hinüber, und Verlegenheit verdrängte die Überraschung aus seinen Zügen.
»Ergibst du dich?«, fragte Savara.
»Ja«, antwortete Krinn mit erstickter Stimme.
Savara ließ mit einer einzigen anmutigen Bewegung das Messer sinken und trat beiseite. Krinn erhob sich und schaute wachsam auf sie hinab. Er war mindestens einen Kopf größer als sie, wie Cery mit einiger Erheiterung feststellte.
»Übst du wieder an meinen Männern, Savara?«
Sie lächelte hinterhältig. »Nur auf spezielle Aufforderung hin, Ceryni.«
Er musterte sie gründlich. Was, wenn er…? Ein gewisses Risiko bestand natürlich, es bestand immer. Er blickte zu Krinn hinüber, der sich unauffällig auf den Ausgang zubewegte.
»Geh nur, Krinn. Und mach die Tür hinter dir zu.« Der Assassine eilte davon. Als die Tür geschlossen war, trat Cery vor Savara hin. »Ich fordere dich auf, deine Kräfte an mir zu erproben.«
Er hörte, wie Gol scharf die Luft einsog.
Savaras Lächeln wurde breiter. »Ich nehme die Herausforderung an.«
Cery zog zwei Dolche aus seinem Mantel. An den Griffen waren lederne Schlaufen befestigt, die verhindern sollten, dass ihm das Messer entglitt. Als er die Schlaufen über die Finger streifte, zog Savara die Augenbrauen in die Höhe.
»Zwei Messer sind kaum je besser als eins«, bemerkte sie.
»Ich weiß«, erwiderte Cery, während er auf sie zuging.
»Aber du siehst aus, als wüsstest du, was du tust«, überlegte sie laut. »Ich nehme an, das dürfte den durchschnittlichen Rüpel einschüchtern.«
»Ja, das tut es.«
Sie trat einige Schritte nach links und kam dabei ein wenig näher. »Ich bin kein durchschnittlicher Rüpel, Ceryni.«
»Nein. Das ist unübersehbar.«
Er lächelte. Wenn sie ihm nur deshalb ihre Hilfe anbot, weil sie sich eine Chance erhoffte, ihn zu töten, dann lieferte er ihr jetzt wahrscheinlich die perfekte Gelegenheit. Sie würde jedoch sterben. Dafür würde Gol sorgen.
Sie sprang auf ihn zu. Er wich ihr aus, dann trat er einen Schritt vor und zielte mit seiner Klinge auf ihre Schulter. Sie wirbelte davon.
So ging es einige Minuten lang weiter; ein jeder erprobte die Reflexe und die Reichweite des anderen. Dann kam sie näher, und er wehrte sie ab und versuchte seinerseits einige schnelle Angriffe. Keinem von ihnen gelang es, den anderen wirklich aus der Deckung zu locken. Schwer atmend traten sie schließlich auseinander.
»Was hast du wegen des Sklaven unternommen?«, wollte sie wissen.
»Er ist tot.«
Während er sprach, beobachtete er sie genau. Sie wirkte nicht überrascht, nur ein wenig verärgert. »Er hat ihn getötet?«
»Natürlich.«
»Ich hätte das für dich erledigen können.«
Cery runzelte die Stirn. Sie klang so selbstbewusst. Zu selbstbewusst.
Im nächsten Moment machte sie einen Vorstoß in seine Richtung, und ihre Klinge blitzte im Lampenlicht auf. Cery schlug ihr mit dem Unterarm die Hand weg. Ein schneller, hektischer Kampf folgte, und er grinste triumphierend, als es ihm gelang, ihren rechten Arm zur Seite zu drehen und sein Messer unter ihre Achsel zu schieben.
Sie erstarrte, ebenfalls grinsend.
»Ergibst du dich?«, fragte sie.
Eine scharfe Spitze drückte sich in seinen Bauch. Als er an sich herabblickte, sah er ein anderes Messer in ihrer linken Hand. In der rechten hielt sie noch immer das erste Messer. Er lächelte, dann drückte er seine Klinge ein wenig fester in ihr Fleisch.
»Da verläuft eine Ader, die direkt zum Herzen führt. Wenn ich sie durchtrenne, verblutest du so schnell, dass du nicht einmal lange genug leben würdest, um zu entscheiden, wie du mich verfluchen willst.«
Zu seiner Befriedigung sah er, wie ihre Augen sich weiteten und ihr Grinsen verschwand. »Also unentschieden?«
Sie waren einander sehr nah. Sie roch wunderbar, eine Mischung aus frischem Schweiß und etwas Würzigem. Ihre Augen blitzten vor Erheiterung, aber ihr Mund war zu einer dünnen Linie zusammengepresst.
»Unentschieden«, stimmte er zu. Er trat einen Schritt beiseite, so dass sie ihre Klinge sinken lassen musste, bevor er die seine unter ihrer Achsel hervorzog. Sein Herz schlug sehr schnell. Es war kein unangenehmes Gefühl.