Akkarin blickte auf den Teich unter ihnen hinab. »Dakova erfuhr aus meinen Gedanken, dass die Gilde schwarze Magie geächtet hatte und viel schwächer war, als die Sachakaner glaubten. Was er in meinem Geist gelesen hatte, erheiterte ihn derart, dass er beschloss, es auch die anderen Ichani sehen zu lassen. Ich war zu erschöpft, um Widerstand zu leisten. Sklaven nahmen mir meine Roben und gaben mir alte Lumpen zum Anziehen. Zuerst konnte ich nicht begreifen, dass diese Menschen Sklaven waren und dass ich jetzt einer von ihnen sein sollte. Als ich dann verstand, wollte ich es nicht akzeptieren. Ich versuchte zu fliehen, aber Dakova fand mich ohne Mühe. Er schien die Jagd zu genießen – und die Strafe, die er anschließend über mich verhängte.«
Akkarins Augen wurden schmal. Er drehte den Kopf ein klein wenig in Soneas Richtung, und sie senkte den Blick, weil sie sich davor fürchtete, ihm in die Augen sehen zu müssen.
»Ich war entsetzt über meine Situation«, fuhr er leise fort. »Dakova nannte mich seinen ›kleinen Gildemagier‹. Ich war eine Trophäe, etwas, das man aufbewahrte, um seine Gäste damit zu amüsieren. Es war jedoch ein Risiko, mich zu behalten. Im Gegensatz zu den anderen Sklaven war ich ein voll ausgebildeter Magier. Also las Dakova jeden Abend meine Gedanken, und um zu verhindern, dass ich zu einer Gefahr werden könnte, nahm er mir bei dieser Gelegenheit auch die Kraft, die ich während des Tages gewonnen hatte.«
Akkarin zog einen Ärmel hoch. Hunderte dünner, glänzender Linien bedeckten seinen Arm. Narben. Ein eisiger Schauer überlief Sonea. Dieser Beweis für seine Vergangenheit war so viele Male zum Greifen nahe gewesen, verborgen nur durch eine dünne Schicht Stoff.
»Die übrigen Sklaven waren jene, die Dakova anderen Ichani abgenommen hatte, nachdem er ihre früheren Herren bekämpft und besiegt hatte. Außerdem waren auch junge Männer und Frauen mit verborgenem magischen Potenzial unter seinen Sklaven, Menschen, die er unter den Bauern und Bergarbeitern in der Region gefunden hatte. Jeden Tag nahm er ihnen ein wenig von ihrer magischen Stärke. Er war mächtig, aber er war auch seltsam isoliert. Irgendwann begriff ich, dass Dakova und die anderen Ichani, die in den Ödländern leben, Ausgestoßene waren. Aus dem einen oder anderen Grund – fehlgegangene Verschwörungen oder das Unvermögen, Bestechungsgelder oder Steuern zu zahlen – waren sie bei dem sachakanischen König in Ungnade gefallen. Er hatte sie in die Ödländer verbannt und anderen verboten, mit ihnen Umgang zu pflegen.
Man sollte glauben, in dieser Situation hätten sie sich zusammengetan, aber dafür hegten sie zu viel Groll gegeneinander und waren zu ehrgeizig. Ständig intrigierten sie gegeneinander in der Hoffnung, ihren Wohlstand und ihre Stärke zu mehren oder Rache für frühere Kränkungen zu nehmen. Oder aber es ging ihnen lediglich darum, Essensvorräte zu stehlen. Ein ausgestoßener Ichani kann nur eine bestimmte Anzahl von Sklaven ernähren. Die Ödländer bringen nur wenig Nahrung hervor, und es steigert die Erträge wohl kaum, wenn man Bauern schikaniert und tötet.«
Akkarin hielt inne, um tief Luft zu holen. »Die Frau, die mir zu Beginn meiner Zeit dort alles erklärte, war eine starke potenzielle Magierin. Sie hätte eine mächtige Heilerin sein können, wäre sie in Kyralia geboren worden. Stattdessen hielt Dakova sie sich als Bettsklavin.« Akkarin schnitt eine Grimasse.
»Eines Tages griff Dakova einen anderen Ichani an und musste erkennen, dass er den Kampf verlieren würde. In seiner Verzweiflung zog er alle Kraft aus jedem seiner Sklaven und tötete sie auf diese Weise. Die stärksten von uns hob er sich bis zuletzt auf, und es gelang ihm, seinen Gegner zu überwältigen, bevor er uns alle getötet hatte. Nur ich selbst und Takan haben überlebt.«
Sonea blinzelte. Takan? Akkarins Diener?
»Dakova war mehrere Wochen sehr verwundbar, während er die verlorene Stärke langsam zurückgewann«, setzte Akkarin seinen Bericht fort. »Es machte ihm weniger Sorgen, dass ein anderer seine Schwäche ausnutzen könnte, als es vielleicht hätte tun sollen. Alle Ichani wussten, dass Dakova einen Bruder hatte, Kariko. Die beiden hatten allgemein bekannt gegeben, dass, falls einer von ihnen getötet werden sollte, der andere seinen Tod rächen würde. Kein Ichani in den Ödländern konnte einen der Brüder besiegen und seine Stärke rechtzeitig zurückgewinnen, um einen Angriff des anderen Bruders zu überleben. Kurz nachdem Dakova diesen letzten Kampf um ein Haar verloren hätte, erschien Kariko und gab seinem Bruder mehrere Sklaven, die ihm helfen sollten, seine Stärke zurückzugewinnen.
Die meisten der Sklaven, denen ich begegnet bin, träumten davon, dass Dakova oder einer seiner Feinde ihre Kräfte entfesseln und sie lehren würde, wie man schwarze Magie benutzte, so dass sie sich befreien konnten. Diese Sklaven blickten stets voller Neid auf mich; ich brauchte nur schwarze Magie zu erlernen, um fliehen zu können. Sie wussten nicht, dass die Gilde schwarze Magie verboten hatte.
Aber als ich mit ansah, wessen Dakova fähig war, scherte ich mich immer weniger darum, was die Gilde erlaubte und was nicht. Er brauchte keine schwarze Magie, um Böses zu tun. Ich habe ihn mit bloßen Händen Dinge tun sehen, die ich niemals vergessen werde.«
Ein gequälter Ausdruck trat in Akkarins Blick. Er schloss die Augen, und als er sie wieder öffnete, waren sie hart und kalt.
»Fünf Jahre lebte ich in Sachaka in Gefangenschaft. Eines Tages dann, nicht lange nachdem Kariko seinem Bruder die neuen Sklaven geschenkt hatte, hörte Dakova, dass ein Ichani, den er zutiefst verachtete, sich in einem Bergwerk versteckte, nachdem er sich in einem Kampf verausgabt hatte. Er beschloss, diesen Ichani zu finden und zu töten.
Als Dakova ankam, schien das Bergwerk verlassen zu sein. Er, ich selbst und die anderen Sklaven drangen in die Tunnel ein, um nach seinem Feind zu suchen. Nach mehreren hundert Schritten stürzte der Boden unter mir ein. Ich spürte, dass ich von Magie aufgefangen und auf eine harte Oberfläche gelegt worden war.«
Akkarin lächelte grimmig. »Ich war von einem anderen Ichani gerettet worden. Ich dachte, er würde mich töten oder mich zu seinem eigenen Sklaven machen. Stattdessen führte er mich durch die Tunnel zu einem kleinen, versteckten Raum. Dort machte er mir ein Angebot. Er würde mich in schwarzer Magie unterweisen, falls ich dann zu Dakova zurückkehrte und ihn tötete.
Mir war klar, dass dieses Arrangement wahrscheinlich mit meinem Tod enden würde. Ich würde scheitern und sterben oder Erfolg haben und von Kariko gejagt werden. Aber damals kümmerte mich mein Leben ebenso wenig wie die Ächtung der schwarzen Magie, die die Gilde verhängt hatte, und ich stimmte zu.
Dakova hatte über viele Wochen hinweg Stärke angesammelt. Ich mochte in das Geheimnis der schwarzen Magie eingeweiht sein, aber mir blieb keine Zeit, um stark zu werden. Dies war dem Mann natürlich klar, und er erklärte mir, was ich zu tun hätte.
Ich befolgte die Anweisungen des Ichani. Als ich zu Dakova zurückkehrte, erzählte ich ihm, ich sei durch den Sturz bewusstlos geworden, hätte aber auf dem Weg zurück ins Freie einen Lagerraum voller Nahrungsmittel und Schätze entdeckt. Dakova ärgerte sich zwar darüber, dass sein Feind ihm entkommen war, aber meine Entdeckung gefiel ihm ungemein. Er überließ es mir und den anderen Sklaven, die Reichtümer aus den Minen in sein Zelt zu transportieren. Ich war erleichtert. Wenn Dakova auch nur den oberflächlichsten Gedanken an Verrat bei mir gespürt hätte, hätte er in meinem Geist gelesen und die Verschwörung entdeckt. Ich schickte einen Sklaven mit einer Kiste elynischem Wein vor. Der Staub, mit dem die Flaschen überzogen waren, überzeugte Dakova davon, dass nichts Unrechtes mit ihnen geschehen war, und er begann zu trinken. Der Wein war mit Myk versetzt, einer Droge, die den Geist verwirrt und die Sinne verzerrt. Als ich das Bergwerk verließ, lag er in einem traumähnlichen Zustand.«
Akkarin verfiel in Schweigen. Er starrte zu den Bäumen hinüber, den Blick auf einen Punkt in weiter Ferne geheftet. Als sich das Schweigen in die Länge zog, machte Sonea sich langsam Sorgen, dass er vielleicht nicht weitersprechen würde. Erzähl es mir, dachte sie. Du kannst jetzt nicht aufhören!