Akkarin holte tief Luft und seufzte. Er blickte mit trostloser Miene auf den steinigen Boden hinab. »Damals habe ich etwas Schreckliches getan. Ich habe sämtliche der neuen Sklaven Dakovas getötet. Ich brauchte ihre Stärke. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, Takan zu töten. Nicht weil wir Freunde gewesen wären, sondern weil er von Anfang an da gewesen war und wir die Gewohnheit entwickelt hatten, einander zu helfen.
Dakova war zu benommen von der Droge und dem Wein, um viel wahrzunehmen. Er erwachte, als ich ihm eine Schnittwunde zufügte, aber wenn das Abfließen der Macht erst einmal beginnt, ist es fast unmöglich, die eigenen Kräfte noch zu benutzen.«
Akkarins Stimme war tief und leise. »Obwohl ich jetzt stärker war, als ich es mir jemals hätte vorstellen können, wusste ich, dass Kariko nicht weit war. Er würde schon bald versuchen, sich mit Dakova in Verbindung zu setzen, und dann würde er herkommen, um nach einer Erklärung für das Schweigen seines Bruders zu forschen. Ich hatte nur den einen Gedanken, nämlich Sachaka zu verlassen. Ich kam nicht einmal auf die Idee, Essen mitzunehmen. Ich habe nicht erwartet zu überleben. Einen Tag später begriff ich, dass Takan mir folgte. Er hatte eine Tasche voller Vorräte gepackt. Ich erklärte ihm, dass er mich verlassen müsse, denn sonst würde Kariko auch ihn finden, aber Takan bestand darauf zu bleiben – und mich wie einen Ichani-Meister zu behandeln. Wir gingen wochenlang weiter, obwohl es in den Bergen bisweilen so aussah, als hätten wir mehr Zeit damit verbracht, zu klettern als zu gehen. Zu guter Letzt fanden wir uns am Fuß des Stahlgurtgebirges. Da wusste ich, dass ich Kariko entkommen war, und machte mich auf den Weg nach Hause.«
Zum ersten Mal blickte Akkarin auf, um ihr in die Augen zu sehen. »Ich hatte nur den Gedanken, in die Sicherheit der Gilde zurückzukehren. Ich wollte alles vergessen und schwor mir, nie wieder schwarze Magie anzuwenden. Takan wollte mich nicht verlassen, aber indem ich ihn zu meinem Diener machte, glaubte ich, ihn so gut wie nur möglich freigegeben zu haben.« Er sah zu den Gildegebäuden hinüber, die hinter den Bäumen versteckt lagen. »Man nahm mich warmherzig und mit großer Freude wieder auf. Als man mich fragte, wo ich gewesen sei, berichtete ich über meine Erfahrungen in den Verbündeten Ländern, dann erfand ich eine Geschichte, nach der ich mich in die Berge zurückgezogen hätte, um dort in aller Abgeschiedenheit meine Studien fortzusetzen.
Kurz nach meiner Rückkehr starb dann der Hohe Lord. Die Sitte verlangt, dass der stärkste Magier diese Position einnehmen muss. Ich hatte es nie in Erwägung gezogen, dass ich ein Kandidat für dieses Amt sein könnte. Ich war schließlich erst fünfundzwanzig. Aber ich hatte Lord Balkan versehentlich meine Stärke spüren lassen. Ich war überrascht, als er den Vorschlag machte, mich als Kandidaten in Erwägung zu ziehen, und es erstaunte mich, wie viel Unterstützung diese Idee unter den anderen Magiern fand. Es ist interessant, was Menschen zu übersehen bereit sind, wenn sie sich verzweifelt wünschen, die Wahl eines Mannes, den sie nicht mögen, zu verhindern.«
Fasziniert öffnete Sonea den Mund, um zu fragen, wessen Wahl hatte verhindert werden sollen, aber Akkarin sprach bereits weiter.
»Balkan war der Meinung, dass meine Reisen mich hätten reifen lassen, und ich hatte Erfahrung im Umgang mit anderen Kulturen.« Akkarin schnaubte leise. »Wenn er die Wahrheit gewusst hätte, wäre er vielleicht nicht gar so beharrlich gewesen. Obwohl mir die Idee zuerst absurd erschien, sah ich doch nach und nach gewisse Möglichkeiten darin. Ich musste mich von den Erinnerungen der vergangenen fünf Jahre ablenken. Und ich machte mir Sorgen wegen der Ichani. Dakova und sein Bruder hatten viele Male davon gesprochen, wie einfach es wäre, Kyralia zu überfallen. Obwohl Kariko jetzt allein war und die anderen Ichani wahrscheinlich niemals dazu würde bewegen können, sich ihm anzuschließen, war eine Invasion nicht unmöglich. Was, wenn er die Gunst des Königs zurückgewann und ihn zu einem Überfall auf Kyralia überredete? Ich beschloss, die Sachakaner im Auge zu behalten, und das würde leichter sein, wenn ich über die Möglichkeiten eines Hohen Lords verfügte. Nachdem ich die Gilde meine Stärke hatte prüfen lassen, war es nicht weiter schwierig, sie dazu zu bringen, mich zu wählen.
Nach einigen Jahren hörte ich von den Morden in der Stadt, die verdächtig nach schwarzer Magie aussahen. Ich ging den Dingen auf den Grund und fand den ersten Spion. Von ihm erfuhr ich, dass Kariko die anderen Ichani mit der Idee, Imardin zu plündern, aufgewiegelt hatte. Sie wollten sich für den Sachakanischen Krieg rächen und hatten ihren König gezwungen, sie wieder aufzunehmen. Zuerst musste Kariko sie davon überzeugen, dass die Gilde keine schwarze Magie benutzte. Ich habe sie seither vom Gegenteil überzeugt.« Er lächelte, dann wandte er sich zu ihr um. »Du bist eine gute Zuhörerin, Sonea. Du hast mich nicht ein einziges Mal unterbrochen, obwohl du inzwischen gewiss einige Fragen haben dürftest.«
Sie nickte langsam. Wo sollte sie anfangen? Ihr schwirrten so viele Dinge im Kopf herum, die sie nicht verstand.
»Warum habt Ihr der Gilde nichts von den Ichani erzählt?«
Akkarin zog die Augenbrauen hoch. »Meinst du, sie hätten mir geglaubt?«
»Lorlen hätte es vielleicht getan.«
Er wandte den Blick ab. »Dessen bin ich mir nicht sicher.«
Sie dachte an Lorlens Entrüstung, als er ihre Erinnerung an Akkarin, wie er schwarze Magie vollführte, gesehen hatte. Ein Stich des Mitleids für den Hohen Lord durchzuckte sie. Es musste wehgetan haben, einen Freund wegen eines Geheimnisses zu verlieren, das er nicht zu offenbaren wagte.
»Ich denke, Lorlen hätte Euch geglaubt«, sagte sie. »Wenn er es nicht getan hätte, hättet Ihr ihm gestatten können, eine Wahrheitslesung vorzunehmen.« Als ihr die Worte über die Lippen gekommen waren, zuckte sie zusammen. Nachdem Dakova so oft in seinen Gedanken gelesen hatte, wollte Akkarin wahrscheinlich, dass nie wieder ein anderer Mensch in seine Erinnerungen eindrang.
Er schüttelte den Kopf. »Dieses Risiko kann ich nicht eingehen. Jeder, der meine Gedanken liest, könnte allzu leicht das Geheimnis der schwarzen Magie ergründen. Deshalb habe ich dich gestern Nacht auch nicht weiter in Tavakas Geist eindringen lassen.«
»Dann… dann hätte die Gilde eben mehrere Magier nach Sachaka schicken müssen, um sich Eure Geschichte bestätigen zu lassen.«
»Wenn unsere Magier in großer Zahl nach Sachaka gehen und anfangen würden, gefährliche Fragen zu stellen, würden die Ichani sie als Bedrohung ansehen. Das könnte genau den Konflikt heraufbeschwören, den wir fürchten. Außerdem darfst du eins nicht vergessen: Nach meiner Rückkehr hierher wusste ich, dass keine unmittelbare Gefahr von Sachaka ausging. Ich war nichts als erleichtert, wieder zu Hause zu sein. Und solange es nicht unbedingt sein musste, schien es mir keinen Sinn zu haben, zu offenbaren, dass ich das Magiergelübde gebrochen hatte.«
»Aber jetzt droht Gefahr.«
Sein Blick flackerte. »Nicht, solange es Kariko nicht gelingt, die anderen Ichani hinter sich zu bringen.«
»Aber je eher die Gilde davon erfährt, desto besser wäre sie vorbereitet.«
Akkarins Miene verhärtete sich. »Ich bin der Einzige, der es mit diesen Spionen aufnehmen kann. Glaubst du, die Gilde würde mich in meinem Amt belassen, wenn sie wüsste, dass ich schwarze Magie erlernt habe? Wenn ich es jetzt erzählte, würden sie alles Vertrauen in mich verlieren. Ihre Angst würde sie blind machen gegen die wahre Gefahr. Solange ich keinen Weg gefunden habe, diese Ichani ohne schwarze Magie zu bekämpfen, ist es besser, wenn niemand hier von diesen Dingen erfährt.«
Sie nickte, obwohl sie nicht glauben konnte, dass die Gilde ihn bestrafen würde, wenn die anderen Magier hörten, was er ihr soeben erzählt hatte.