Wie sie funktionierte, war ein Rätsel. Nachdem Dannyl noch einmal dorthin zurückgekehrt war, um den Eingang der Höhle zu versiegeln, hatte er in der großen Bibliothek nach irgendeinem Hinweis auf diesen sonderbaren Ort gesucht, aber nichts gefunden. Offensichtlich war nur, dass diese Höhle eine Form von Magie nutzte, die der Gilde unbekannt war.
»Vermutlich würde ich mehr herausfinden, wenn ich nach Sachaka ginge«, fügte Dannyl hinzu, »aber der Hohe Lord hat meine Bitte, dorthin reisen zu dürfen, abgelehnt.«
Irand nickte. »Eine weise Entscheidung. Ihr könntet Euch nicht sicher sein, wie Ihr dort empfangen würdet. Es wird dort sicherlich Magier geben. Obwohl sie weniger fähig sein dürften als Ihr und Eure Kollegen, würden sie doch für einen einzelnen Magier der Gilde eine Gefahr darstellen. Schließlich hat die Gilde einen großen Teil Sachakas verwüstet, und das wird man Euch immer noch übel nehmen. Was werdet Ihr denn stattdessen tun?«
Dannyl zog einen zusammengefalteten Brief aus seinen Roben und reichte ihn Irand. »Ich bin mit einer neuen Aufgabe betraut worden.«
Als der Bibliothekar die Reste des Siegels Seiner Hohen Lordschaft erkannte, zögerte er, bevor er den Brief öffnete.
»Worum handelt es sich?«, fragte Tayend.
»Um eine Untersuchung«, erwiderte Dannyl. »Es scheint so, als versuchten einige Adlige dieses Landes eine eigene, ›wilde‹ Gilde zu organisieren.«
Auf der Miene des Gelehrten zeichnete sich zunächst Erstaunen, dann Nachdenklichkeit ab. Irand sog hörbar die Luft ein und blickte Dannyl über den Brief hinweg an.
»Dann weiß er es also.«
Dannyl nickte. »So scheint es.«
»Was weiß er?«, fragte Tayend.
Irand reichte den Brief an Tayend weiter. Der Gelehrte las ihn laut vor.
»Ich beobachte seit einigen Jahren die Anstrengungen einer kleinen Gruppe elynischer Höflinge, ohne die Hilfe oder das Wissen der Gilde Magie zu erlernen. Aber erst vor kurzem war ihnen ein erster Erfolg beschieden. Nachdem es jetzt zumindest einem von ihnen gelungen ist, seine Kräfte freizusetzen, ist die Gilde berechtigt und verpflichtet, sich dieser Angelegenheit anzunehmen. Ich sende Euch mit diesem Schreiben Informationen über die besagte Gruppe. Ihr werdet feststellen, dass Euer Verhältnis zu dem Gelehrten Tayend von Tremmelin sehr dazu beitragen wird, diese Leute davon zu überzeugen, dass Ihr vertrauenswürdig seid.«
Tayend hielt inne und starrte Dannyl an. »Was meint er damit?«, rief er.
Dannyl deutete mit dem Kopf auf den Brief. »Lies weiter.«
»Es ist möglich, dass die Rebellen versuchen werden, diese Information über Eure persönlichen Verhältnisse gegen Euch zu verwenden, wenn Ihr sie in Arrest genommen habt. Ich werde auf jeden Fall klarstellen, dass Ihr den Rebellen auf meinen Wunsch hin Eure Verhältnisse so dargestellt habt, um Euer Ziel zu erreichen.«
Tayend hob den Blick und sah Dannyl an. »Du hast gesagt, er wüsste nichts von uns. Wie ist es möglich, dass er davon weiß? Oder hat er lediglich von den Gerüchten erfahren und es einfach darauf ankommen lassen?«
»Das bezweifle ich«, erwiderte Irand. »Ein Mann wie der Hohe Lord wird dergleichen nur schreiben, wenn er sich seiner Sache vollkommen sicher ist. Wer hat denn sonst noch von Eurem Verhältnis erfahren?«
Tayend schüttelte den Kopf. »Niemand sonst. Es sei denn, jemand hätte uns belauscht…« Er blickte sich um.
»Bevor wir hier nach Spionen suchen, sollten wir eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen«, sagte Dannyl. Er verzog das Gesicht und rieb sich die Schläfen. »Akkarin verfügt über einige außergewöhnliche Fähigkeiten. Für alle anderen Magier gibt es beim Gedankenlesen klare Grenzen. Wir können es nur bei jemandem, der es uns gestattet, und nur so lange, wie wir diese Person berühren. Akkarin hat einmal die Gedanken eines Verbrechers gelesen, um dessen Schuld zu beweisen. Der Mann hätte eigentlich in der Lage sein sollen, ihn davon abzuhalten, aber irgendwie hat Akkarin den Widerstand seines Geistes gebrochen. Und manche Magier glauben, dass Akkarin sogar in der Lage ist, über weite Entfernung hinweg Gedanken zu lesen.«
»Du vermutest also, dass er deine Gedanken gelesen hat, als du in Kyralia warst?«
»Vielleicht. Vielleicht hat er es aber auch getan, als er mir befahl, in die Gilde zurückzukommen.«
Irand zog die Augenbrauen hoch. »Als Ihr in den Bergen wart? Wenn er über eine solche Entfernung hinweg Gedanken lesen kann, ist das wirklich sehr außergewöhnlich.«
»Ich bezweifle, dass er es gekonnt hätte, wenn ich auf seinen Gedankenruf nicht geantwortet hätte. Nachdem aber die Verbindung erst einmal zustande gekommen war, hat er vielleicht mehr sehen können, als ich ihn sehen lassen wollte.« Dannyl deutete auf den Brief und nickte. »Lies weiter, Tayend. Es fehlt noch ein Absatz.«
Tayend wandte sich wieder dem Brief zu. »Euer Assistent ist diesen Rebellen schon zuvor begegnet. Er sollte in der Lage sein, Euch mit ihnen bekannt zu machen. Und wie ist es möglich, dass er das weiß?«
»Ich hatte gehofft, dass du es mir erklären könntest.«
Stirnrunzelnd blickte der Gelehrte auf den Brief. »Jeder in Elyne hat das eine oder andere Geheimnis. Über manche redet man, andere behält man am besten für sich.« Er blickte abwechselnd Dannyl und Irand an. »Vor einigen Jahren bin ich von einem Mann namens Royend von Marane zu einem Geheimtreffen eingeladen worden. Als ich ablehnte, versicherte er mir, es handele sich nicht um das, was ich glaube – es gehe dabei nicht um die Wollust des Fleisches oder des Geistes. Er sagte, es handele sich um eine gelehrsame Zusammenkunft. Aber dennoch machte er den Eindruck, als habe er etwas zu verbergen, und ich ließ mir das zur Warnung gereichen und nahm an dem Treffen nicht teil.«
»Hat er irgendwelche Andeutungen gemacht, dass es sich um das Angebot handelte, magische Kenntnisse zu erwerben?«, fragte Irand.
»Nein, aber welche anderen gelehrsamen Ziele würde man wohl geheim halten müssen? Es ist kein Geheimnis, dass mir seinerzeit ein Platz in der Gilde angeboten worden war und dass ich davon keinen Gebrauch gemacht hatte. Und meine speziellen Neigungen sind ebenfalls wohlbekannt.« Er blickte Dannyl an. »Er wusste also, dass ich über magisches Potenzial verfüge, und konnte sich meine Gründe dafür, die Roben der Magier nicht zu nehmen, sehr wohl denken.«
Irand nickte. »Der Hohe Lord weiß das vermutlich auch. Vom Standpunkt dieser Rebellen aus wäre es nur vernünftig, alle anzusprechen, die den Eintritt in die Gilde abgelehnt haben oder von der Gilde zurückgewiesen worden sind.« Er überlegte kurz und sah dann Dannyl an. »Und Akkarin weiß offensichtlich sehr genau über Eure Verhältnisse Bescheid, hat Euch aber dennoch nicht zurückgerufen oder irgendwie beschuldigt. Vielleicht ist er toleranter, als es die meisten Kyralier sind.«
Dannyl lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Nur weil ich ihm nützlich bin. Er mutet mir große Risiken zu, damit ich diese Rebellen finde.«
»Ein Mann in seiner Position darf nicht zögern, diejenigen, die ihm unterstellt sind, zu benutzen«, sagte Irand streng. »Ihr habt Euch dafür entschieden, Botschafter der Gilde zu werden, Dannyl. Jetzt seid Ihr der verlängerte Arm des Hohen Lords. Manchmal muss man große persönliche Risiken eingehen, um seinen Aufgaben gerecht zu werden. Lasst uns hoffen, dass diesmal nur Euer Ruf auf dem Spiel steht und nicht Euer Leben.«
Dannyl seufzte. »Ihr habt Recht. Natürlich ist es so.«
Tayend kicherte. »Irand hat immer Recht, außer wenn es um die Methoden der Katalogisierung geht…« Er grinste, als der Bibliothekar sich abrupt und mit strengem Blick zu ihm umwandte. »Ich vermute also, dass die Rebellen annehmen, Dannyl habe allen Grund, der Gilde zu grollen. In diesem Falle werden sie in ihm ebenfalls einen potenziellen Bündnispartner sehen.«