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»Sie haben sie also sprechen gehört?«

Er grinste. »Sie hat gesagt: ›Kannst du rausfinden, was aus meiner Stola geworden ist, Junge?‹ Und als ich sie ihr gebracht hab, da hat sie gesagt: ›Du bist ein hübscher Knabe.‹ Und der Mann, der bei ihr war, hat gesagt: ›June, lass den Gärtner zufrieden.‹ Und sie hat mich angelächelt und mir fünf Dollar gegeben und gesagt: ›Aber er nimmt’s mir doch nicht übel, oder, Junge?‹ Und ich hab nur den Kopf geschüttelt. Dann machte sie diese Sache mit den Lippen, wissen Sie.«

»Einen Schmollmund?«

»Irgendwas in der Art. Ich hab es hier gespürt.« Er tippte sich an die Brust. »Diese Lippen. Sie konnten einen Mann in Stücke reißen.«

Er biss sich einen Moment auf die Unterlippe, den Blick in die Ewigkeit gerichtet. Ich hätte gerne gewusst, wo er war. Und in welcher Zeit er war. Dann schaute er mich wieder an.

»Wollen Sie ihre Lippen sehen?«

»Wie meinen Sie das?«

»Kommen Sie mal mit. Folgen Sie mir.«

»Aber was …?« Vor meinem geistigen Auge sah ich einen Lippenabdruck in Zement wie die Handabdrücke vor Grauman’s Chinese Theatre.

Er schüttelte den Kopf und legte einen Finger an die Lippen. Still.

Ich klappte die Bücher zu. Wir überquerten den Innenhof. Als wir an den kleinen Fischteich kamen, blieb er stehen.

»Sehen Sie sich Princess an«, befahl er.

»Der mit dem roten Fleck, richtig?«

Er nickte. Der Fisch erinnerte mich an einen chinesischen Drachen: weise und bleich. Ein Geisterfisch, weiß wie altes Gebein bis auf den scharlachroten Fleck am Rücken – knapp drei Zentimeter lang, wie ein Doppelbogen geformt. Princess lag reglos im Wasser, ließ sich treiben, dachte.

»Da sind sie«, sagte er. »Auf ihrem Rücken. Sehen Sie?«

»Da komm ich nicht ganz mit.«

Er antwortete nicht gleich, stierte auf den Fisch hinab.

»Möchten Sie sich vielleicht setzen?« Mr. Dundas Alter war mir auf einmal nur zu bewusst.

»Ich werde nicht fürs Rumsitzen bezahlt«, erwiderte er sehr ernst. Dann sagte er in einem Tonfall, als wolle er einem kleinen Kind etwas erklären: »Sie waren wie Götter damals. Heute ist alles Fernsehen: kleine Helden. Kleine Leute in Flimmerkisten. Manchmal sehe ich welche von ihnen hier. Wirklich kleine Leute.

Die Stars von früher, sie waren Riesen, angestrahlt in Silberlicht, groß wie Häuser … und wenn man sie traf, waren sie immer noch riesig. Die Menschen glaubten an sie.

Sie feierten ihre Partys hier. Und wenn man hier arbeitete, sah man, was sie so trieben. Es gab Schnaps und Gras und es passierten Sachen, die Sie gar nicht glauben würden. Bei einer dieser Partys … Der Film hieß Hearts of the Desert. Je davon gehört?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Einer der größten Filme von 1926. Vom gleichen Kaliber wie What Price Glory mit Victor McLaglen und Dolores Del Rio und Ella Cinders mit Colleen Moore. Haben Sie von denen gehört?«

Ich schüttelte wieder den Kopf.

»Dann vielleicht von Warner Baxter? Belle Bennett?«

»Wer waren sie?«

»Große, große Stars damals, 1926.« Er schwieg einen Moment. »Hearts of the Desert. Sie feierten die Party hier im Hotel, als er fertig war. Es gab Wein und Bier und Whiskey und Gin – das war die Zeit der Prohibition, aber die Studios hatten die Polizei praktisch gekauft, darum drückten sie immer beide Augen zu. Es gab bergeweise Essen und jede Menge Dummheiten. Ronald Colman war da und Douglas Fairbanks – der Vater, nicht der Sohn – und das ganze Filmteam und eine Jazzband spielte da drüben, wo jetzt die Chalets stehen.

Und June Lincoln war der größte Star in Hollywood an diesem Abend. Sie spielte die arabische Prinzessin in dem Film. Damals war arabisch gleichbedeutend mit Leidenschaft und Begierde. Heutzutage … na ja, die Zeiten ändern sich.

Ich weiß nicht, wie es angefangen hat. Ich habe gehört, es sei eine Mutprobe gewesen oder eine Wette, vielleicht war sie einfach nur betrunken. Mir kam sie jedenfalls betrunken vor. Wie auch immer, sie stand auf und die Band spielte etwas Leises, Langsames. Und sie kam hier herüber, blieb stehen, wo ich jetzt stehe, und steckte die Hände ins Wasser. Sie lachte und lachte und lachte …

Miss Lincoln nahm den Fisch, packte ihn mit beiden Händen, holte ihn aus dem Wasser und dann hielt sie ihn sich vors Gesicht.

Ich wurde ziemlich nervös, denn die Fische waren gerade erst aus China gekommen und hatten zweihundert Dollar das Stück gekostet. Damals war ich natürlich nicht für die Fische zuständig, nicht ich hätte das also von meinem Lohn abstottern müssen. Aber trotzdem, zweihundert Dollar waren ein ganz schöner Haufen Geld damals.

Dann lächelte sie uns alle an und beugte sich vor und küsste ihn, ganz langsam, auf den Rücken. Er zappelte überhaupt nicht, lag ganz still in ihren Händen und sie küsste ihn mit ihren korallenroten Lippen und die Leute auf der Party lachten und klatschten.

Sie legte den Fisch wieder ins Wasser und für einen Augenblick war es, als wolle er sie nicht verlassen. Er blieb bei ihr, stupste mit dem Maul an ihre Finger. Dann ging der erste Kracher vom Feuerwerk los und er schwamm weg.

Ihr Lippenstift war röter als rot und sie hat den Abdruck ihrer Lippen auf dem Rücken des Fisches verewigt. Da. Sehen Sie?«

Princess, der weiße Karpfen mit dem korallenroten Fleck auf dem Rücken, ließ eine Flosse zucken und setzte dann die endlose Folge dreißigsekündiger Rundreisen um den Teich fort. Der rote Fleck sah wirklich aus wie ein Lippenabdruck.

Pious Dundas streute eine Handvoll Fischfutter aufs Wasser und die drei Karpfen ließen sich an die Oberfläche treiben und fraßen.

Ich ging zu meinem Chalet zurück, die Bücher über alte Zaubertricks in der Hand. Das Telefon klingelte. Es war jemand vom Studio. Sie wolle mit mir über das Treatment reden. Ein Wagen werde mich in dreißig Minuten abholen.

»Wird Jacob dabei sein?«

Aber die Leitung war schon tot.

Der australische Jemand nahm an der Besprechung teil und sein Assistent, ein bebrillter Mann im Anzug. Er war der erste Mensch mit Anzug, der mir bislang hier begegnet war, und seine Brille war leuchtend blau. Er wirkte nervös.

»Wo wohnen Sie?«, fragte der Jemand.

Ich sagte es ihm.

»Ist das nicht, wo Belushi …?«

»So heißt es, ja.«

Er nickte. »Er war nicht allein, als er starb.«

»Nein?«

Er strich sich mit dem Finger über einen Flügel seiner spitzen Nase. »Es waren noch zwei Leute auf dieser kleinen Party. Beide Regisseure, zwei von den ganz großen. Die Namen brauchen Sie nicht zu wissen. Ich hab davon gehört, als ich den letzten Indiana-Jones-Film gemacht habe.«

Ein unbehagliches Schweigen entstand. Wir saßen an einem riesigen runden Tisch, nur wir drei, und jeder hatte eine Kopie meines Treatments vor sich. Schließlich fragte ich:

»Was halten Sie davon?«

Sie nickten beide, fast synchron.

Und dann gaben sie sich beide die größte Mühe, mir klarzumachen, dass sie es grässlich fanden, ohne je etwas zu sagen, das mich möglicherweise kränken könnte. Es war eine merkwürdige Konversation.

»Wir haben ein Problem mit dem dritten Akt«, sagten sie und deuteten vage an, dass der Fehler nicht bei mir lag, nicht einmal beim Treatment oder dem dritten Akt, sondern bei ihnen.

Sie wollten sympathischere Figuren. Sie wollten grelles Licht und Schatten, keine Grautöne. Sie wollten aus der Heldin einen Helden machen. Und ich nickte und machte mir Notizen.