Er nickte bedächtig. »›Der Traum des Künstlers‹ …« sagte er. »Und? Sehen Sie sich selbst als den Künstler oder den Zauberer?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, ich bin keiner von beiden.«
Ich wandte mich ab, aber dann fiel mir noch etwas ein.
»Mr. Dundas, haben Sie ein Drehbuch? Das Sie geschrieben haben?«
Er schüttelte den Kopf.
»Sie haben niemals ein Drehbuch geschrieben?«
»Ich nicht, nein«, antwortete er.
»Schwören Sie’s mir?«
Er grinste. »Ich schwöre.«
Ich ging wieder in mein Zimmer. Ich blätterte durch das englische Hardcover von Menschensöhne und fragte mich, wie ein so unbeholfen formulierter Roman je einen Verleger hatte finden können, warum Hollywood es nur gekauft hatte und warum sie es nicht wollten, jetzt, da sie es hatten.
Ich versuchte, am »Traum des Künstlers« weiterzuschreiben und versagte kläglich. Die Figuren waren erstarrt, schienen unfähig zu atmen, zu agieren, zu sprechen.
Ich ging ins Bad und pinkelte einen lebhaften gelben Strahl ins Porzellanbecken. Ein Kakerlak huschte über die silberne Spiegelfläche.
Ich ging zurück ins Wohnzimmer, öffnete ein neues Dokument und schrieb:
Ich denk an England, Regen früh im März
Das Haus am Pier, ein Varieté, im dunklen Saal
Herrscht Furcht, Magie, Erinnerung und Schmerz
Die Furcht um den Verstand bedrückt das Herz
Doch bannt Magie die Angst, ist nicht real
Ich denk an England, Regen früh im März.
Der Grund der Einsamkeit liegt tief wie Erz
Die Finsternis der Seele ist ein Tal
Von Furcht, Magie, Erinnerung und Schmerz
Der Zauberer macht einen müden Scherz
Und dünn wie Lügen ist dein Seidenschal
Ich denk an England, Regen früh im März …
Es strebt doch keine Seele himmelwärts:
Hier sind ein Schwert, ein Pfand und hier ein Gral
Der Furcht, Magie, Erinnerung und Schmerz
Die Hand des Magiers ist bleich und fahl
die Wahrheit, die er kündet, fad und schal
Ich denk an England, Regen früh im März
an Furcht, Magie, Erinnerung und Schmerz.
Ich wusste nicht, ob es etwas taugte oder nicht, aber das machte nichts. Ich hatte etwas Neues, Frisches geschrieben und es fühlte sich herrlich an.
Ich bestellte ein Frühstück aufs Zimmer und bat um einen Heizlüfter und ein paar Decken.
Am nächsten Tag schrieb ich ein sechsseitiges Treatment für einen Film mit dem Titel When We Were Badd, in dem Jack Badd, ein Serienmörder, der eine riesige kreuzförmige Narbe auf der Stirn trug, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurde, in Gestalt eines Videospiels zurückkehrte und von vier jungen Männern Besitz ergriff. Der fünfte junge Mann besiegte Badd, indem er den elektrischen Stuhl verbrannte, auf dem der Killer gestorben war. Der Stuhl, beschloss ich, war inzwischen ein Ausstellungsstück in dem Wachsfigurenmuseum, wo die Freundin des fünften jungen Mannes tagsüber arbeitete. Abends war sie Tänzerin in einem Nachtclub.
Die Rezeption faxte es ans Studio und ich ging zu Bett. Ich schlief mit der Hoffnung ein, dass das Studio es formell ablehnen würde und ich nach Hause fliegen könnte.
Im Theater meiner Träume trug ein Mann mit Bart und Baseballkappe eine Kinoleinwand auf die Bühne und verschwand wieder. Die Silberleinwand schwebte schwerelos im Raum.
Ein flackernder Stummfilm fing an zu laufen, eine Frau verließ die Leinwand und starrte auf mich hinab. Es war June Lincoln, die in dem Flackerfilm zu sehen war, und es war ebenso June Lincoln, die aus dem Film heraustrat und sich auf meine Bettkante setzte.
»Willst du mir jetzt sagen, dass ich nicht aufgeben darf?«, fragte ich sie.
Auf einer Ebene meines Bewusstseins wusste ich, dass es ein Traum war. Ich erinnere mich vage, dass ich erkannte, warum diese Frau ein Star war, und ich bedauerte, dass keiner ihrer Filme mehr existierte.
Sie war wahrhaftig schön in meinem Traum, trotz des feuerroten Henkersmals um ihren Hals.
»Warum in aller Welt sollte ich das tun?«, fragte sie. In meinem Traum roch sie nach Gin und altem Zelluloid, obwohl ich mich nicht entsinne, wann ich je zuvor einen Geruch geträumt hätte. Sie lächelte ein perfektes Schwarzweißlächeln: »Ich bin rausgekommen, oder nicht?«
Dann stand sie auf und ging im Zimmer umher.
»Ich kann nicht fassen, dass dieses Hotel immer noch steht.« Ihre Stimme war voller Knister- und Zischlaute. Sie kam zum Bett zurück und sah mich unverwandt an, wie eine Katze das Mauseloch anstarrt.
»Betest du mich an?«, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf. Sie kam noch näher und nahm meine Hand aus Fleisch und Blut in ihre silbrige.
»Niemand erinnert sich mehr an irgendetwas«, sagte sie. »Es ist eine Dreißig-Minuten-Stadt.«
Es gab etwas, das ich sie unbedingt fragen musste: »Wo sind die Sterne? Ich sehe immerzu zum Himmel auf, aber sie sind nicht da.«
Sie wies auf den Fußboden meines Chalets. »Du hast in die falsche Richtung geschaut«, sagte sie. Bislang war mir nie aufgefallen, dass der Boden des Chalets ein Bürgersteig war, und jeder Pflasterstein enthielt einen Stern mit einem Namen – Namen, die ich nicht kannte: Clara Kimball Young, Linda Arvidson, Vivian Martin, Norma Talmadge, Olive Thomas, Mary Miles Minter, Seena Owen …
June Lincoln wies zum Fenster. »Und da draußen.«
Das Fenster stand offen und ich konnte ganz Hollywood sehen, das sich dort unten erstreckte – ein Blick von den Höhen der Hügel herab: ein unendlicher Teppich flackernder, vielfarbiger Lichter.
»Ist das nicht viel besser als die Sterne?«, fragte sie.
Und das war es tatsächlich. Ich stellte fest, dass ich Konstellationen in den Straßenlaternen und Autoscheinwerfern erkennen konnte.
Ich nickte.
Ihre Lippen berührten meine.
»Vergiss mich nicht«, flüsterte sie, aber ihre Stimme war voller Trauer, so als wisse sie, dass ich es doch tun würde.
Ich erwachte vom Schrillen des Telefons. Ich nahm ab und brummelte in den Hörer.
»Hier ist Gerry Quoint vom Studio. Wir wollen mit Ihnen zu Mittag essen und reden.«
Brummelbrummel.
»Wir schicken Ihnen einen Wagen«, sagte er. »Die Fahrt zum Restaurant dauert etwa eine halbe Stunde.«
Das Restaurant war luftig und großzügig und grün und sie warteten schon auf mich.
Inzwischen wäre ich überrascht gewesen, irgendwen wiederzuerkennen. John Ray, erfuhr ich während der Hors d’oeuvres, hatte sich wegen »Differenzen über die Einzelheiten seines Vertrages« vom Studio getrennt und Donna war »selbstverständlich« mit ihm gegangen.
Beide Männer hatten Bärte, einer hatte ziemlich unreine Haut. Die Frau war dünn und wirkte sympathisch.
Sie fragten mich, wo ich wohnte, und als ich es ihnen sagte, vertraute einer der Bärte uns an (nachdem er uns das Versprechen, absolutes Stillschweigen zu wahren, abgenommen hatte), dass ein Politiker namens Gary Hart und einer der Eagles mit Belushi eine kleine Drogenparty gefeiert hatten, ehe er starb.
Danach versicherten sie mir, wie sehr sie sich auf die Story freuten.
Ich stellte meine Frage. »Reden Sie von Menschensöhne oder von When We Were Badd? Mit Letzterem habe ich nämlich ein Problem.«
Sie wirkten verdutzt.
Es gehe um I Knew the Bride When She Used to Rock and Roll, klärten sie mich auf. Denn das habe ein anspruchsvolles Konzept und gebe ihnen ein richtig gutes Gefühl. Außerdem sei es in hohem Maß »aktuell« und das sei besonders wichtig in einer Stadt, wo alles, was vor einer Stunde passiert ist, schon Steinzeitgeschichte sei.