»Kann es dergleichen Dinge geben?«
»Es ist nicht wahr«, versichere ich ihm. Das Lächeln
der blonden Frau blitzt hinter ihren grauen Augen.
Die Menschen brauchen Zusicherungen.
»Hinter dem Speisezimmer war ein Raum,
ein großer Saal, der dieses Gasthaus fassen würde,
vollgestopft mit einem Gewirr aus Ringen und Ketten,
Kolliers, Perlen, Ballkleidern und Pelzen,
Spitzenröcken, Samt und Seide. Damenstiefel,
Muffe, Hüte – Schatzkammer und Boudoir –
Diamanten und Rubine unter meinem Fuß.
Jenseits des Raums fand ich mich in der Hölle.
In meinem Traum …
sah ich viele Köpfe. Die Köpfe junger Frauen. An einer Wand
waren abgetrennte Gliedmaßen angenagelt.
Ein Berg von Brüsten. Wirres Gedärm, Lebern, Lungen,
die Augen, die …
Nein. Ich kann’s nicht sagen. Und über allem summten Fliegen,
Beelzebubzebubzebub summten sie. Ich konnt nicht atmen,
rannte hinaus und lehnte weinend an der Wand.«
»Ein Fuchsbau in der Tat«, sagt die blonde Frau.
(»Es ist nicht wahr«, sag ich.)
»Unreine Kreatur, sein eigenes Heim
so zu verschmutzen, mit Knochen, Haut und Federn
seiner Beute. In Frankreich heißt er Renard,
in Schottland Tod.«
»Niemand kann etwas für seinen Namen«, sagt der Vater meiner Liebsten.
Fast keucht er jetzt, sie alle keuchen:
im Feuerschein, der Gluthitze, schlürfen sie Bier.
Die Wand des Gasthauses zieren Jagdmotive.
Sie fährt fort:
»Von draußen hört ich Lärm und lautes Poltern.
Ich lief den Weg zurück, den ich gekommen war, über den roten Teppich,
die breite Treppe hinab – zu spät! – die Haustür schwang auf!
Ich warf mich die Stufen hinab – rollte, stürzte –
kam unter dem Tische schließlich zum Halt,
wo ich wartete, zitternd und betend.«
Sie zeigt auf mich. »Ja, Ihr, Sir. Ihr tratet ein,
stießet die Tür auf, kamt taumelnd herein, Ihr, Sir,
hieltet eine junge Frau
an ihrem roten Haar und der Kehle gepackt.
Ihr Haar war lang und ungebunden, sie kreischte und rang,
um sich loszureißen. Ihr lachtet, tief in der Kehle.
Schweiß auf Eurer Stirn. Und ein Grinsen von Ohr zu Ohr.«
Sie starrt mich an und ihre Wangen brennen.
»Ihr zogt ein kurzes altes Schwert, Mister Fox,
und während sie kreischt’,
durchschnittet Ihr die Kehle, wieder von Ohr zu Ohr.
Ich lauschte ihrem Gurgeln, dem ertränkten Schrei
und schloss die Augen, betete, bis sie verstummte.
Ich sah Euch an. Ihr lächeltet, hobt Euer Schwert,
die Hände rot von Blut …«
»In Eurem Traum«, betone ich.
»In meinem Traum.
Sie lag dort auf dem Marmor, während Ihr zustacht,
hacktet, sie tranchiert, zerreißt und keucht.
Ihr schlugt den Kopf von ihren Schultern,
stießt Eure Zunge zwischen die feuchten Lippen.
Dann ihre Hände. Die schneeweißen Hände.
Dann riss ihr Mieder und Ihr schnittet die Brüste ab.
Dann fingt Ihr an zu heulen
auf einmal,
packtet den Kopf, ergrifft ihn an den Haaren,
den leuchtend roten Haaren,
und stürztet die Treppe hinauf.
Kaum wart Ihr außer Sicht
floh ich durch die off’ne Tür,
ritt meine Betsy heim, den weißen Weg entlang.«
Alle Augen ruh’n auf mir. Ich stell mein Bier ab
auf dem alten Holz des Tisches.
»So ist es nicht«,
sage ich ihr,
sage es allen.
»So war es nicht, und
Gott bewahre,
dass es je sein sollte.
Nur ein Traum. Doch solche Träume
wünsch ich niemandem.«
»Eh ich aus diesem Schlachthaus floh,
eh ich die arme Betsy heimwärts trieb
und wir den weißen Weg zurückritten,
das Blut noch rot
(und war’s ein Schwein, das Ihr dort schlachtetet, Mister Fox?);
eh ich zu meines Vaters Gasthaus kam
und sprachlos vor ihnen niederfiel,
vor meinem Vater, Brüdern, Freunden …«
Alles ehrliche Männer, Fuchsjäger, Bauern.
Sie stampfen mit den Stiefeln, ihren schwarzen Stiefeln.
»… eh all das geschah, Mister Fox,
nahm ich vom Boden, vom besudelten Marmor
ihre Hand, Mister Fox. Die Hand dieser Frau,
die Ihr vor meinen Augen zerstückeltet.«
»So ist es nicht …«
»Es war kein Traum. Ihr Bestie. Ihr Blaubart.«
»So war es nicht …«
»Ihr Gilles-de-Rais. Ihr Monstrum.«
»Und Gott bewahre, dass es je sein sollte!«
Sie lächelt jetzt, doch freudlos, ohne Wärme.
Das braune Haar gelockt um ihr Gesicht,
Rosen, die ein Fenster umranken.
Zwei rote Flecken brennen hell auf ihren Wangen.
»Seht her, Mister Fox! Die Hand! Die schneeweiße Hand!«
Sie zieht sie aus dem Dekolletee (sommersprossig
hab ich mir ihre Brust erträumt)
und schleudert sie auf den Tisch.
Da liegt sie vor mir.
Ihr Vater, ihre Brüder, Freunde,
sie alle schau’n mich gierig an,
und ich heb das kleine Ding auf.
Rot war das Haar tatsächlich und verfilzt. Ballen und Klauen
waren rau. Ein Ende blutig,
doch das Blut getrocknet.
»Dies ist keine Hand«, sag ich, doch die erste
Faust nimmt mir den Atem,
ein Eichenprügel kracht auf meine Schulter nieder,
und ich taumel,
der erste schwarze Stiefel bringt mich zu Fall.
Dann geht ein Hagel von Schlägen auf mich nieder,
ich mach mich klein und bete und halte
die Pfote ganz fest.
Ich weine vielleicht.
Dann seh ich sie,
die blasse Frau. Das Lächeln hat die Lippen jetzt erreicht,
die langen Röcke wehen, die grauen Augen schimmern,
über die Maßen amüsiert schlüpft sie hinaus.
Weit ist es noch bis zum Bau, wo sie wohnt,
und als sie geht,
seh ich von meinem Platz am Boden
wie einen Besen den roten Schwanz zwischen den Beinen.
Ich will rufen,
doch ich kann nicht mehr sprechen. Heut Nacht wird sie
sicher auf vier Pfoten den weißen Weg beschreiten.
Was, wenn die Jäger kommen?
Was, wenn sie kommen?
Nur Mut, flüstere ich tonlos, eh ich sterbe. Doch des Mutes nicht zu viel …
Das ist das Ende meiner Mär.
Die Messerkönigin
Das Wiedererscheinen der Dame ist eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Will Goldston,
Tricks and Illusions
Als ich ein Junge war, besuchte ich
von Zeit zu Zeit meine Großeltern
(alte Leute: Ich wusste, sie waren alt –
Süßigkeiten blieben bei ihnen
ungegessen, bis ich zu Besuch kam,
das also ist Altern).
Bei Sonnenaufgang machte Großvater immer das Frühstück:
Eine Kanne mit Tee für sie und ihn und mich,
Toast und Orangenmarmelade
(Silberglitzer und Gold). Mittag- und Abendessen
waren Großmutters Ressort, die Küche dann
wieder ihre Domäne, all die Pfannen und Löffel
Der Fleischwolf, Schneebesen und Messer ihre treuen Untertanen.
Sie bereitete das Essen mit ihnen, sang ihre Liedchen dabei
Gänseblümchen, gib mir doch Antwort