Der Pfleger versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber vergeblich. Also geht er mit ihm in die Diele und nimmt seinen Arm, während sie auf den Lift warten. Seit zwei Jahren hat Rajit das Apartment nicht verlassen, selbst vor dem Krebs ging er nie aus. Er ist fast blind.
Der Pfleger geleitet ihn ins gleißende Sonnenlicht hinaus über die Straße und hinunter auf den Sand der Copacabana.
Die Menschen am Strand starren den kahlköpfigen, verfaulten alten Mann in seinem uralten Pyjama an, der sich mit farblosen, einst braunen Augen durch flaschendicke, dunkel umrandete Brillengläser umsieht.
Er erwidert ihr Starren.
Sie sind golden und schön. Manche schlafen in der Sonne. Die meisten sind nackt oder tragen die Art von Badebekleidung, die ihre Nacktheit betont.
Da erkennt Rajit sie.
Später, viel später drehten sie eine zweite Filmbiografie. In der Schlussszene fällt der alte Mann am Strand auf die Knie, so wie es in Wirklichkeit auch geschah, Blut tröpfelt aus dem offenen Schlitz seiner Pyjamahose, verfärbt den ausgebleichten Baumwollstoff und versickert dunkel im weichen Sand. Er starrt sie alle an, schaut voller Ehrfurcht von einem zum anderen wie ein Mann, der gelernt hat, in die Sonne zu blicken.
Er sagte nur ein einziges Wort, als er starb, umgeben von diesen goldenen Menschen, die nicht Männer waren und nicht Frauen.
Er sagte: »Engel.«
Und die Leute, die die Filmbiografie sahen, so golden, so schön, so verwandelt wie die Menschen am Strand, wussten, dass damit alles gesagt war.
Und in jeder Weise, die Rajit hätte begreifen können, war es das auch.
Tochter der Eulen
In The Remains of Gentilisme & Judaisme von John Aubrey, Regiae Societatis Socius (1686–87), (S. 262 f.)
Ich hörte diese Geschichte von meinem Freunde Edmund Wyld, Esquire, welcher sie von Mr. Fahrringdom bekam, der widerum uns sagte, schon zu seiner Zeit sei sie alt gewesen. In der Stadt Dymton wurde eines Nachts ein neu geborenes Mägdelein auf den Stufen zur Kirchentür ausgesetzt, welches der Küster am nächsten Morgen fand, und es hielt ein gar seltsames Ding, videlicet: das Gewölle einer Eule, welches, da man es untersuchte, dem Gewölle einer Kreischeule gleich schien, nämlich aus Haut und Zähnen und Knöchelein bestand.
Die alten Weiber der Stadt sagten, dies Mägdelein sei gewiss die Tochter der Eulen und müsse verbrannt werden, da es von keiner Frau geboren sei. Doch die Weisen und Graubärte verfügten anders und man brachte das Kindelein hinauf ins Kloster (denn all dies geschah kurz nach der Papistenzeit und das Kloster lag verlassen, denn die Leute glaubten, es sei dies ein Ort des Teufels und seiner Diener, und Käuze und Kreischeulen und viele Fledermäuse hatten im Turme ihre Nester gebaut) und dort überließ man es sich selbst. Nur einmal am Tage ging eines der Weiber der Stadt hinauf zum Kloster und fütterte das Kindlein.
Viele sagten vorher, es werde sterben, doch so kam es nicht. Stattdessen wuchs es heran, bis es eine Magd von dreizehn Sommern war. Sie war das liebreizendste Geschöpf, welches ihr je erblicktet, ein wahrhaft schönes Kind, das seine Tage und Nächte hinter hohen Mauern verbrachte und niemanden sah als allein das Weib aus der Stadt, welches an jedem Morgen hinaufging. An einem Markttage schließlich geschah es, dass jenes Weib gar zu laut die Schönheit des Kindes rühmte & auch berichtete, dass es des Sprechens nicht mächtig sei, da man es nie unterwiesen hatte.
Die Männer von Dymton, die Graubärte ebenso wie die Jünglinge, sprachen miteinander und sagten: Wenn wir sie besuchten, wer sollte je davon erfahren? (Und mit besuchen meinten sie, dass sie ihr Gewalt antun wollten).
Und so schmiedeten sie folgenden Plan: dass nämlich das Mannsvolk gemeinsam auf die Jagd gehen sollte, wenn der Mond voll war. Und als jene Nacht kam, schlichen sie sich aus ihren Häusern fort und trafen sich bei jenem Kloster und der Vogt der Stadt sperrte die Pforte auf und einer nach dem anderen schlüpften sie hinein. Sie fanden das Mägdelein im Keller versteckt, denn vom Lärme war ihm ganz bang geworden.
Noch schöner war die Magd, denn sie gehört hatten: ihr Haar war rot, was ungewöhnlich war, und sie trug nichts als ein weißes Hemd und als sie ihrer gewahr wurde, da fürchtete sie sich, denn sie hatte nie zuvor Menschen gesehen bis auf das Weib, welches ihr Speis und Trank brachte. Mit großen Augen starrte sie sie an und stieß schwache Schreie aus, als wolle sie sie anflehen, ihr kein Leid anzutun.
Die Männer der Stadt lachten jedoch nur, denn sie führten Böses im Schilde und waren gemeine, grausame Gesellen und im Lichte des Mondes wollten sie sich an ihr vergehen.
Da fing die Magd an zu schreien und zu wehklagen, doch sie ließen sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Und dann wurde es finster vor dem Gitterfenster, das Licht des Mondes ward ausgesperrt und dann erklang das Rauschen gar mächtiger Schwingen, doch die Männer sahen es nicht, denn sie hatten nur ihr frevlerisches Vorhaben im Sinne.
Den Leuten von Dymton in ihren Betten träumte in dieser Nacht von Rufen und Schreien und Geheul und von großen Vögeln und ihnen träumte, sie alle seien in kleine Mäuse und Ratten verwandelt.
Am Morgen, als die Sonne hoch stand, machten die guten Weiber von Dymton sich auf die Suche nach ihren Männern und Söhnen und da sie zum Kloster kamen, fanden sie am steinernen Boden des Kellers Eulengewölle: und in den Gewöllen entdeckten sie Haare und Schnallen und Münzen und Knöchelchen und auf dem Boden ein wenig Stroh.
Und das Mannsvolk von Dymton ward nie mehr gesehen. Jedoch noch Jahre später hieß es, die Magd sei an hohen Orten gesehen worden wie in Eichenkronen oder auf Kirchtürmen, doch geschah dies immer bei Dämmerung oder des Nachts, sodass niemand beschwören konnte, dass sie es wahrlich gewesen sei.
(Es war eine weiße Gestalt, doch Mr. E. Wyld konnte sich nicht recht entsinnen, ob die Leute sagten, sie habe Kleider getragen oder sie sei nackend gewesen.)
Ob es wahr ist oder nicht, vermag ich nicht zu sagen, doch es ist eine gar launige Geschichte, die ich daher hier niederschrieb.
Shoggoth’s Old Peculiar
Benjamin Lassiter kam langsam zu der unausweichlichen Überzeugung, dass die Frau, die Eine Wanderung entlang der britischen Küsten verfasst hatte, das Buch nämlich, das er in seinem Rucksack trug, niemals eine wie auch immer geartete Wanderung unternommen hatte und dass sie die britische Küste wahrscheinlich auch dann nicht erkennen würde, wenn dieselbe mit einer Blaskapelle durch ihr Schlafzimmer marschierte und mit lauter Stimme »Ich bin die britische Küste« sänge und sich dazu auf einer Flöte begleitete.
Seit fünf Tagen war er ihren Ratschlägen gefolgt und es hatte ihm abgesehen von Blasen und Rückenschmerzen nicht viel eingebracht. Alle englischen Küstenorte verfügen über eine Reihe von Bed-and-Breakfast-Pensionen, wo man Sie in der Nebensaison nur zu gern aufnehmen wird, lautete etwa einer ihrer Ratschläge. Ben hatte ihn durchgestrichen und an den Seitenrand gekritzelt: Alle englischen Küstenorte verfügen über ein paar Bed-and-Breakfast-Pensionen, deren Eigentümer in den letzten Septembertagen ihre Türen absperren, um sich nach Spanien, in die Provence oder sonst wohin zu verflüchtigen.
Er hatte noch einige andere Randbemerkungen geschrieben. So etwa: Bestelle auf keinen Fall je wieder Rühreier in einer Raststätte oder Was ist dieses Fisch-and-Chips-Dings? Und Nein, sind sie nicht. Letzteres stand neben einem Abschnitt, in dem behauptet wurde, die Einwohner der malerischen Dörfer entlang der britischen Küste seien immer hoch erfreut, einen jungen amerikanischen Touristen auf einer Wandertour zu sehen.