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Ben ging zum Tresen mit der Absicht, die Kellnerin um zwei Pints Shoggoth’s Old Peculiar und ein Glas Wasser für sich selbst zu bitten, doch sie hatte schon drei Gläser mit dem dunklen Bier gefüllt. Na ja, warum nicht aufs Ganze gehen, dachte er. Es konnte bestimmt nicht schlimmer schmecken als die Kirschlimonade. Er probierte einen Schluck. Das Bier hatte einen Geschmack, den Werbeleute, so vermutete er, wohl als vollmundig beschreiben würden, obwohl sie bei genauerem Nachfragen einräumen müssten, dass der fragliche Mund wenigstens zur Hälfte mit Ziegenfleisch gefüllt wäre.

Er bezahlte für die drei Biere und brachte die Gläser zu seinen neuen Freunden zurück.

»Und was treiben Sie hier in Innsmouth?«, fragte der Größere. »Ich nehme an, Sie sind einer unserer amerikanischen Vettern und sind gekommen, um sich das berühmteste englische Dorf anzusehen.«

»Das in Amerika wurde nach diesem hier benannt, wissen Sie«, fügte der Kleinere hinzu.

»Gibt es ein Innsmouth in den Staaten?«, fragte Ben.

»Das will ich meinen«, erwiderte der kleine Mann. »Er hat ständig darüber geschrieben. Er, dessen Namen wir nicht nennen.«

»Wie bitte?«, sagte Ben.

Der Kleine sah über die Schulter und zischte dann ziemlich laut: »H.P. Lovecraft!«

»Ich hab dir doch gesagt, du sollst den Namen nicht aussprechen«, schimpfte sein Freund und trank an seinem dunkelbraunen Bier. »H.P. Lovecraft. H.P. Blödmann Lovecraft. H. Blödmann P. Blödmann Love Blödmann craft.« Er unterbrach sich, um Atem zu schöpfen. »Was wusste der schon, he? Ich meine, was wusste der denn schon?«

Ben nippte an seinem Bier. Der Name kam ihm vage bekannt vor. Beim Durchwühlen der alten Vinylschallplatten ganz hinten in der Garage seines Vaters war er darüber gestolpert. »War das nicht eine Rockband?«

»Ich rede von keiner Rockband. Ich meine den Schriftsteller.«

Ben hob die Schultern. »Nie gehört«, gab er zu. »Ich lese eigentlich nur Western. Und technische Handbücher.«

Der kleine Mann stieß seinen Freund an. »Da, Wilf. Hast du das mitgekriegt? Er hat nie von ihm gehört.«

»Na ja. Ist nichts gegen einzuwenden. Ich hab früher auch diesen Zane Grey gelesen«, antwortete der Größere. »Auch wenn das nichts ist, worauf man besonders stolz sein kann. Dieser Kerl … Wie, sagten Sie, war doch gleich Ihr Name?«

»Ben. Ben Lassiter. Und Sie sind …?«

Der kleine Mann lächelte. Er sah furchtbar froschartig aus, dachte Ben. »Ich bin Seth«, stellte er vor. »Und mein Freund hier heißt Wilf.«

»Angenehm«, sagte Wilf.

»Freut mich«, erwiderte Ben.

»Wenn ich ehrlich bin, muss ich Ihnen zustimmen«, meinte der Kleine.

»Ah ja?«, fragte Ben verdutzt.

Der kleine Mann nickte. »Ja. H.P. Lovecraft. Ich weiß nicht, warum so ein Gewese um ihn gemacht wird. Der konnte doch noch nicht mal schreiben.« Er schlürfte sein Bier und leckte sich mit einer langen, beweglichen Zunge den Schaum von den Lippen. »Ich meine, seht euch doch nur mal an, was für Wörter der benutzt hat. Abstrus. Wissen Sie, was abstrus bedeutet?«

Ben schüttelte den Kopf. Wie es schien, saß er mit zwei Fremden in einem englischen Pub, diskutierte über Literatur und trank Bier dabei. Einen Augenblick fragte er sich, ob er sich vielleicht, als er gerade mal nicht hingeschaut hatte, in jemand anders verwandelt hatte. Je weiter der Pegel in seinem Glas absank, umso erträglicher wurde der Geschmack des Biers und langsam vertrieb es den hartnäckigen Nachgeschmack der Kirschlimonade.

»Abstrus. Heißt seltsam. Eigenartig. Komisch. Das bedeutet es. Ich hab’s nachgeschlagen. Im Lexikon. Und sphärenförmig

Ben schüttelte wieder den Kopf.

»Der sphärenförmige Mond. Bedeutet rund. Der Mond war voll. Und wie heißt das Wort noch mal, wie er uns immer genannt hat? Dingsda. Sag schon. Fängt mit b an. Liegt mir auf der Zunge …«

»Bastarde?«, schlug Wilf vor.

»Quatsch. Dings. Du weißt doch. Batrachisch. Das war’s. Soll froschartig heißen.«

»Moment mal«, unterbrach Wilf. »Ich dachte, das hat was mit irgendwelchen Kamelen zu tun.«

Seth schüttelte entschieden den Kopf. »Frösche, hundert pro. Keine Kamele. Frösche.«

Wilf schlürfte sein Shoggoth’s. Ben nippte vorsichtig an seinem, ohne große Lust.

»Und was weiter?«, fragte Ben.

»Sie haben zwei Höcker«, warf Wilf, der größere, ein.

»Frösche?«, fragte Ben.

»Nein, nein. Das Batrachiarkamel. Wohingegen das durchschnittliche Dromedar nur einen Höcker hat. Für die lange Reise durch die Wüste. Das ist es, was sie essen.«

»Frösche?«, fragte Ben.

»Kamelhöcker.« Wilf fixierte Ben mit seinen hervorquellenden, gelblichen Augen. »Jetzt hör mir mal zu, mein Junge: Wenn du mal drei oder vier Wochen in einer unwegsamen Wüste gewesen bist, wird ein Teller Kamelhöcker dir auch ziemlich appetitlich vorkommen.«

Seth schnaubte verächtlich. »Du hast doch noch nie Kamelhöcker gegessen.«

»Hätt ich aber«, entgegnete Wilf.

»Ja, aber hast du nicht. Du bist doch noch nie in der Wüste gewesen.«

»Na ja, aber sagen wir mal, ich wär auf Pilgerfahrt zum Grab von Nyarlathotep …«

»Der schwarze König der Altvordern, der des Nachts aus dem Osten kommt und den du nicht erkennen wirst, meinst du?«

»Natürlich mein ich den.«

»Ich frag ja nur.«

»Blöde Frage, wenn du mich fragst.«

»Du hättest doch jemand anders mit demselben Namen meinen können.«

»Hör mal, das ist nicht gerade ein gebräuchlicher Name, oder? Nyarlathotep. Davon wird’s wohl kaum zwei geben, oder? ›Mein Name ist Nyarlathotep, was für ein Zufall, dich hier zu treffen, ist ja komisch, dass es zwei von uns gibt.‹ Wohl kaum. Wie auch immer, ich irre also durch die endlose Wüste und denk mir: Ich würd alles geben für ein schönes Stück Kamelhöcker …«

»Aber hast du nicht, stimmt’s? Du bist doch noch nie im Leben aus Innsmouth rausgekommen.«

»Ähm … nein.«

»Da hast du’s.« Seth sah Ben triumphierend an. Dann beugte er sich vor und flüsterte Ben ins Ohr: »So ist er eben, wenn er ein paar Bierchen intus hat.«

»Das hab ich gehört«, sagte Wilf.

»Schön«, antwortete Seth. »Wie auch immer. H.P. Lovecraft. Schrieb einen seiner behämmerten Sätze. Etwa: ›Der sphärenförmige Mond hing tief über der abstrusen Welt der batrachischen Einwohner des squamösen Dulwich.‹ Was heißt das? Was heißt das? Ich sag’ euch, was es verdammt noch mal heißt: Es heißt, dass der Mond voll war und alle, die in Dulwich lebten, ein Haufen verrückter Frösche waren. Das soll es bedeuten.«

»Was war das andere Wort, das du gesagt hast?«, fragte Wilf.

»Was?«

»Squamös. Was soll das bedeuten?«

Seth zuckte die Schultern. »Keine Ahnung«, räumte er ein. »Aber er hat es ständig gebraucht.«

Es folgte wieder in kurzes Schweigen.

»Ich bin Student«, eröffnete Ben ihnen. »Ich werde Metallurge.« Irgendwie war es ihm gelungen, sein ganzes Pint Shoggoth’s Old Peculiar auszutrinken. Das erste alkoholische Getränk seines Lebens, erkannte er, auf angenehme Weise schockiert. »Und was macht ihr so?«

»Wir sind Diener«, sagte Wilf.

»Des Großen Cthulhu«, fügte Seth stolz hinzu.

»Ach ja? Und was genau tut ihr?«, wollte Ben wissen.

»Meine Runde«, verkündete Wilf. »Warte einen Moment.« Er ging an die Bar und kam mit drei gefüllten Gläsern zurück. »Nun ja, wir tun nicht gerade besonders viel«, erklärte er dann. »Unser Dienst ist nicht gerade eine Schinderei. Was natürlich daran liegt, dass er schläft. Oder genauer gesagt, er schläft nicht direkt. Wenn du’s ganz genau wissen willst: Er ist tot