»›In seinem Heim im versunkenen R’lyeh liegt Cthulhu tot und träumt‹«, warf Seth ein. »Oder, wie der Dichter sagt: ›Tot ist nicht, was ewig liegen kann …‹«
»›Doch in seltsamen Äonen …‹«, fügte Wilf hinzu.
»Und mit seltsam meint er wirklich verdammt komisch …«
»Genau. Wir reden hier absolut nicht von irgendwelchen gewöhnlichen Äonen.«
»›Doch in seltsamen Äonen mag selbst der Tod sterben.‹«
Ein wenig überrascht stellte Ben fest, dass er offenbar noch ein vollmundiges Shoggoth’s Old Peculiar trank. Irgendwie war der ranzige Ziegengeschmack beim zweiten Glas nicht mehr so schlimm. Und er war selig festzustellen, dass er keinen Hunger mehr hatte, seine blasenübersäten Füße nicht mehr schmerzten und seine Tischnachbarn faszinierende, intelligente Gesprächspartner waren, deren Namen er nicht so richtig auseinander halten konnte. Er hatte nicht genug Erfahrung mit Alkohol, um zu erkennen, dass dies eins der Symptome beim zweiten Glas Shoggoth’s Old Peculiar war.
»Und im Moment ist das Geschäft eher ruhig«, erklärte Seth oder möglicherweise Wilf. »Es besteht hauptsächlich aus warten.«
»Und beten«, fügte Wilf hinzu, wenn es nicht Seth war.
»Und beten. Aber ziemlich bald wird sich das alles ändern.«
»Ah ja?«, fragte Ben. »Wieso?«
»Na ja.« Der Größere lehnte sich vertraulich zu ihm herüber. »Es kann jetzt jeden Tag geschehen, dass der Große Cthulhu (vorübergehend verstorben), der unser Boss ist, in seiner Behausung unter dem Meer aufwacht.«
»Und dann«, fuhr der Kleinere fort, »wird er gähnen und sich rekeln und anziehen …«
»Vermutlich auch zur Toilette gehen, würde mich nicht wundern.«
»Und vielleicht die Zeitung lesen.«
»Und wenn er all das erledigt hat, wird er aus den Tiefen des Ozeans aufsteigen, um die Welt zu verschlingen.«
Ben fand das unbeschreiblich komisch. »Wie ein Ploughman’s«, sagte er.
»Ganz recht, ganz recht. Wohl gesprochen, mein junger amerikanischer Freund. Der Große Cthulhu wird die Welt vertilgen wie ein Ploughman’s Lunch und nichts auf seinem Teller übrig lassen als ein Häuflein Branston Pickle.«
»Das ist das braune Zeug?«, fragte Ben. Sie versicherten ihm, dass es das sei, und er ging an die Bar und holte noch eine Runde Shoggoth’s Old Peculiar.
Er konnte sich später kaum an die Unterhaltung erinnern, die noch folgte. Er entsann sich, dass er sein Glas geleert hatte, und dann hatten seine neuen Freunde ihn zu einem Rundgang durchs Dorf eingeladen und ihm die verschiedenen Sehenswürdigkeiten gezeigt. »Da leihen wir unsere Videos aus und das große Gebäude da drüben ist der Namenlose Tempel Unaussprechlicher Götter und samstagmorgens ist in der Krypta immer ein Trödelmarkt …«
Er erklärte ihnen seine Theorie über seinen Reiseführer und versicherte ihnen überschwänglich, dass Innsmouth sowohl charmant als auch malerisch sei. Er sagte ihnen, sie seien die besten Freunde, die er je gehabt habe, und dass Innsmouth einfach reizend sei.
Der Mond war voll und in seinem bleichen Licht hatten seine neuen Freunde eine frappierende Ähnlichkeit mit riesigen Fröschen. Oder vielleicht auch mit Kamelen.
Die drei spazierten bis zum Ende des verrosteten Piers und Seth und/oder Wilf zeigte Ben die Ruinen des versunkenen R’lyeh draußen in der Bucht, das unter der Wasseroberfläche im Mondlicht schimmerte, und dort überkam Ben ein, wie er zu erklären versuchte, plötzlicher und unvorhersehbarer Anfall von Seekrankheit und er übergab sich heftig und scheinbar endlos über die Metallbrüstung in die schwarze See …
Danach wurde alles ein bisschen eigenartig.
Ben Lassiter erwachte frierend am Hang eines Hügels mit hämmerndem Schädel und einem ekligen Geschmack im Mund. Sein Kopf ruhte auf seinem Rucksack. Felsige Heidelandschaft umgab ihn auf allen Seiten und er entdeckte keinerlei Anzeichen einer Straße oder eines Dorfes, weder malerisch noch charmant oder reizend, nicht einmal pittoresk.
Er taumelte und hinkte fast eine Meile zur nächsten Straße, der er folgte, bis er eine Tankstelle erreichte.
Man sagte ihm, es gebe hier in der Gegend nirgendwo ein Dorf namens Innsmouth. Kein Dorf mit einem Pub, der The Book of Dead Names heiße. Ben berichtete von zwei Männern, Wilf und Seth, und einem Freund von ihnen, der irgendwo unter dem Meer schlief, wenn er nicht tot war. Die Leute von der Tankstelle erklärten ihm, sie hielten keine großen Stücke auf amerikanische Hippies, die hier durch die Gegend streiften und Drogen nahmen, und dass er sich nach einer schönen Tasse Tee und einem Gurken-Thunfisch-Sandwich bestimmt besser fühlen würde, doch für den Fall, dass er darauf bestehe, durch die Gegend zu streifen und Drogen zu nehmen, würde der junge Ernie, der die Nachmittagsschicht hatte, ihm sicher nur zu gern ein Beutelchen mit seinem selbst gezüchteten Cannabis verkaufen, wenn er nach der Mittagspause noch mal wiederkommen könnte.
Ben zog seine Wanderung entlang der britischen Küsten aus der Tasche und versuchte, Innsmouth darin zu finden, um ihnen zu beweisen, dass er es nicht geträumt hatte, aber er konnte die Seite nicht finden. Falls es sie je gegeben hatte. Doch etwa in der Mitte des Buches war eine Seite großteils herausgerissen worden.
Und dann rief Ben sich ein Taxi, das ihn zum Bahnhof in Bootle brachte. Von dort nahm er den Zug nach Manchester, von dort einen Flieger nach Chicago, wo er umstieg nach Dallas, von wo aus er weiter nach Norden flog und schließlich fuhr er mit einem Mietwagen heim.
Er fand die Gewissheit, sechshundert Meilen vom Meer entfernt zu leben, äußerst beruhigend, obwohl er später nach Nebraska zog, um die Entfernung zum Meer zu vergrößern. Es gab Dinge, die er gesehen hatte oder glaubte gesehen zu haben in jener Nacht unter dem alten Pier, die er einfach nicht mehr aus seinem Kopf bekam. Es gab Dinge, die unter grauen Regenmänteln lauerten, die besser kein Mensch wissen sollte. Squamös. Er brauchte es nicht nachzuschlagen. Er wusste es. Sie waren squamös.
Ein paar Wochen nach seiner Heimkehr schickte Ben sein mit Randbemerkungen versehenes Exemplar von Eine Wanderung entlang der britischen Küsten über den Verlag an die Autorin. Er fügte einen ausführlichen Brief mit einer Vielzahl hilfreicher Verbesserungsvorschläge für zukünftige Auflagen bei. Außerdem bat er die Autorin um eine Kopie der Seite, die aus seinem Buch herausgerissen worden war, weil er hoffte, das werde seine Ängste zerstreuen. Doch insgeheim war er erleichtert, als die Tage zu Monaten wurden, Monate zu Jahren und Jahre zu Jahrzehnten, und sie niemals antwortete.
Virus
Es gab ein Computerspiel, ich bekam es geschenkt,
ein Freund gab es mir, er spielte es,
er sagte, es ist super, das musst du spielen,
und das tat ich und das war es.
Ich kopierte es von der Diskette, die er mir gab,
für alle, ich wollte, dass jeder es spielte.
Jeder sollte so viel Spaß haben.
Ich schickte es übers Netz an Bulletin Boards,
doch vor allem schickte ich es all meinen Freunden.
(Persönlicher Kontakt. Auf diesem Weg wurde es mir gegeben.)
Meine Freunde waren wie ich: manche fürchteten Viren,
man bekommt eine Diskette und nächste Woche oder am Freitag dem 13.
formatiert sie deine Festplatte oder infiziert deinen Speicher.