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Aber bei der hier passierte das nicht. Die war todsicher.

Selbst die Freunde, die keine Computer mochten, fingen an zu spielen.

Je besser man wurde, umso schwieriger wurde das Spiel,

vielleicht gewinnt man nie, aber man kann ziemlich gut werden.

Ich bin ziemlich gut.

Natürlich muss ich viel Zeit in das Spiel investieren.

Das tun auch meine Freunde. Und deren Freunde.

Und auch die Leute, die man trifft, man sieht sie

die alten Autobahnen entlanggehen

oder irgendwo Schlange stehen, fort von ihren Computern

oder den Spielsalons, die über Nacht wie Pilze aus dem Boden schossen,

doch sie spielen es in ihren Köpfen weiter,

kombinieren Formen,

rätseln über Konturen, ordnen Farbe zu Farbe,

verschieben Signale in neue Bildschirmabschnitte,

lauschen der Musik.

Ja, die Menschen denken daran, doch vor allem spielen sie es.

Mein Rekord sind achtzehn Stunden nonstop.

40.012 Punkte, 3 Fanfaren.

Man überwindet die Tränen, die schmerzenden Gelenke, den Hunger,

irgendwann wird alles belanglos.

Alles bis auf das Spiel, sollte ich sagen.

In meinem Kopf ist kein Platz mehr, kein Platz für andere Dinge.

Wir kopierten das Spiel, gaben es unseren Freunden.

Es transzendiert Sprache, beansprucht unsere Zeit.

Manchmal kommt es mir vor, als vergäße ich in letzter Zeit allerhand.

Ich frage mich, was aus dem Fernsehen geworden ist. Das gab es früher.

Ich frage mich, was werden soll, wenn ich keine Konserven mehr habe.

Ich frage mich, wohin all die Leute verschwunden sind. Dann erkenne ich:

Wenn ich schnell genug bin, kann ich das schwarze Quadrat an die rote Linie verschieben

es spiegeln und sie drehen, sodass sie beide verschwinden

und der linke Block frei wird

für das Aufsteigen der weißen Blase …

(Sodass sie beide verschwinden.)

Und wird der Strom für immer abgestellt

spiel ich im Kopf weiter, bis mein letzter Vorhang fällt.

Charlotte

1965 war ich neunzehn Jahre alt, trug Röhrenjeans und meine Haare wuchsen langsam und klammheimlich Richtung Hemdkragen. Jedes Mal wenn man das Radio einschaltete, sangen die Beatles Help! und ich wünschte mir, ich wäre John Lennon, ständig einen zynischen Spruch auf den Lippen und Mädchen, die mir hinterherkreischten. Das war das Jahr, als ich mein erstes Penthouse kaufte, an einem kleinen Kiosk in der King’s Road. Ich bezahlte meine paar Schillinge und stopfte die Zeitschrift unter den Pullover. Auf dem Heimweg sah ich hin und wieder an mir runter, um sicherzugehen, dass sie auch keine Löcher in die Wolle brannte.

Die Zeitschrift wurde schon vor langer Zeit weggeworfen, aber ich werde mich immer daran erinnern: gesetzte Beiträge über Zensur, eine Kurzgeschichte von H.E. Bates und ein Interview mit einem amerikanischen Schriftsteller, den ich nicht kannte; ein Modeteil über Mohairanzüge und Paisley-Krawatten, die es in der Carnaby Street zu kaufen gab. Und das Beste von allem waren natürlich die Mädchen; und das beste von allen Mädchen war Charlotte.

Charlotte war auch neunzehn.

Alle Mädchen in dieser längst vergangenen Zeitschrift schienen identisch mit ihrem makellosen Plastikfleisch, jedes Härchen saß perfekt (man konnte das Haarspray förmlich riechen) und sie lächelten treuherzig in die Kamera, während ihre Augen einen durch ein dichtes Wimperngestrüpp hindurch anzwinkerten. Weißer Lippenstift, weiße Zähne, weiße Brüste – bikinigebleicht. Mir fiel überhaupt nicht auf, in welch seltsamen Posen sie sich züchtig arrangierten, um zu verhindern, dass auch nur das kleinste Löckchen oder ein Schatten ihrer Schamhaare zu sehen war – ich hätte sowieso nicht gewusst, was das war. Ich hatte nur Augen für ihre blassen Hinterteile und Brüste, ihre keuschen, aber doch einladenden, auffordernden Blicke.

Dann schlug ich die nächste Seite auf und sah Charlotte. Sie unterschied sich von den anderen. Charlotte war Sex, sie trug Sexualität wie einen durchsichtigen Schleier, wie ein betörendes Parfum.

Neben den Bildern standen Wörter und ich las wie in Trance: »Die bezaubernde Charlotte Reave ist neunzehn … eine aufrührerische Individualistin und Beat-Dichterin … schreibt Beiträge für das FAB Magazine …« Satzfetzen brannten sich in mein Gedächtnis, während ich die zweidimensionalen Bilder studierte. Sie posierte und schmollte in einer Wohnung in Chelsea – die dem Fotografen gehörte, nahm ich an – und ich wusste, dass ich sie brauchte.

Sie war so alt wie ich. Das war Schicksal.

Charlotte.

Charlotte war neunzehn.

Von da an kaufte ich Penthouse regelmäßig in der Hoffnung, sie werde wieder darin auftauchen. Doch das tat sie nicht. Jedenfalls nicht damals.

Sechs Monate später fand meine Mum einen Schuhkarton unter meinem Bett und schaute hinein. Erst machte sie mir eine Szene, dann warf sie die Zeitschriften in den Müll und schließlich mich aus der Wohnung. Am nächsten Tag fand ich einen Job und eine Einzimmerwohnung in Earl’s Court, alles in allem ohne größere Schwierigkeiten.

Ich arbeitete in einem Elektroladen unweit der Edgware Road. Alles, was ich konnte, war, einen Stecker auszuwechseln, aber damals konnten die Leute es sich leisten, für solche Kleinigkeiten einen Elektriker kommen zu lassen. Mein Boss meinte, mit der Zeit werde ich alles andere schon lernen.

Das ging drei Wochen lang gut. Mein erster Kundentermin war ziemlich aufregend: ich musste den Stecker der Nachttischleuchte am Bett eines englischen Filmstars wechseln, der mit seiner Darstellung wortkarger Cockney-Casanovas berühmt geworden war. Als ich dort ankam, lag er mit zwei wunderschönen Mädchen im Bett. Ich wechselte den Stecker aus und verschwand. Alles ging hoch anständig zu. Ich bekam nicht mal den winzigsten Zipfel Brustwarze zu sehen, geschweige denn eine Einladung, mich dem Trio anzuschließen.

Drei Wochen später wurde ich gefeuert und verlor meine Unschuld am selben Tag. Es war ein nobles Haus in Hampstead. Niemand war daheim bis auf das Hausmädchen, eine kleine, dunkelhaarige Frau, die ein paar Jahre älter war als ich. Ich ging runter auf die Knie, um den Stecker auszutauschen, und sie stieg neben mir auf einen Stuhl, um die Oberkante der Tür abzustauben. Ich sah auf: sie trug Strümpfe und Strumpfhalter unter dem Rock und – Gott helfe mir – nichts sonst. So entdeckte ich, was es mit den Partien auf sich hatte, die die Bilder nicht zeigten.

Ich verlor also meine Jungfräulichkeit unter einem Esstisch in Hampstead. Heutzutage sieht man keine Hausmädchen mehr. Sie sind einfach aus der Welt verschwunden wie der Kabinenroller und die Dinosaurier.

Anschließend verlor ich meinen Job. Nicht einmal mein Boss, so felsenfest er auch von meiner kompletten Unfähigkeit überzeugt war, ließ sich weismachen, dass ich drei Stunden gebraucht hatte, um einen Stecker zu wechseln – und ich konnte ihm schlecht erklären, dass ich mich zwei dieser drei Stunden lang unter einem Esstisch hatte verstecken müssen, weil der Herr und die Dame des Hauses früher als erwartet heimgekommen waren, oder?

Danach folgte eine Reihe kurzlebiger Anstellungen, erst als Drucker, dann als Setzer, bis ich schließlich bei einer kleinen Werbeagentur über einem Sandwichladen auf der Old Compton Street landete.

Ich kaufte auch weiterhin das Penthouse. Alle sahen aus wie Statisten in Mit Schirm, Charme und Melone, aber im wirklichen Leben sahen die Leute genauso aus. Artikel über Woody Allen und Sapphos Insel, Batman und Vietnam, Peitschen schwingende Stripperinnen in Aktion, Mode und Prosa und Sex.

Die Anzüge bekamen Samtkragen und die Mädchen verunstalteten sich die Haare. Fetisch war Mode. London swingte, die Titelseiten der Zeitschriften wurden psychedelisch und selbst wenn kein Acid im Leitungswasser war, benahmen wir uns doch zumindest so, als wäre es der Fall.