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Ihr Name, stand dort, sei Lesley. Sie war neunzehn.

Und danach konnte ich mich einfach nicht länger verkriechen. Ich verkaufte die Farm für ein Butterbrot und kam in den letzten Tagen des Jahres 1976 zurück nach London.

Ich lebte von der Stütze, wohnte in einer Sozialwohnung in Victoria, stand gegen Mittag auf, ging in die Pubs, bis sie nachmittags schlossen, las Zeitungen in der Bibliothek, bis sie wieder öffneten, und pilgerte von Pub zu Pub bis zur Sperrstunde. Ich lebte von der Stütze und versoff meine Ersparnisse.

Ich war dreißig und fühlte mich viel älter. Ich zog mit einer blonden Punkerin aus Kanada zusammen, die ich in einem Club an der Greek Street kennen lernte. Sie kellnerte da und eines Abends erzählte sie mir, als sie dicht machte, dass sie ihre Bleibe verloren habe, also bot ich ihr mein Sofa an. Sie war erst sechzehn, stellte sich heraus, und sie schlief keine Nacht auf dem Sofa. Sie hatte kleine Granatapfelbrüste, einen tätowierten Totenschädel auf dem Rücken und trug die Haare wie Frankensteins Braut. Es gebe nichts, was sie nicht schon getan hätte, und nichts, woran sie noch glaubte, sagte sie mir. Manchmal redete sie stundenlang darüber, dass die Welt sich auf einen Zustand totaler Anarchie zubewege, und sie behauptete, es gebe weder Hoffnung noch eine Zukunft, aber sie fickte, als habe sie das Ficken erfunden. Und das gefiel mir.

Mit nichts als einem Dornhalsband aus schwarzem Leder und dickem schwarzen Augen-Make-up kam sie ins Bett. Manchmal spuckte sie, rotzte einfach so auf den Gehweg, wenn wir durch die Stadt liefen, und das fand ich grässlich. Sie nahm mich mit in ihre Punk-Clubs, wo ich ihr beim Rotzen und Fluchen und Pogo zuschauen durfte. Dann fühlte ich mich wirklich alt. Doch wenigstens die Musik gefiel mir teilweise: Peaches, solche Sachen. Und ich sah die Sex Pistols live. Sie waren beschissen.

Dann verkündete die Punkerin, ich sei ein langweiliger alter Sack, und verließ mich für einen extrem molligen arabischen Prinzen.

»Ich dachte, du glaubst an gar nichts«, rief ich ihr nach, als sie in den Rolls stieg, den er geschickt hatte.

»Ich glaube an hundert Ocken für einmal blasen und an Bettlaken aus Nerz«, brüllte sie zurück. Eine Hand spielte mit einer Strähne ihrer Frankensteinlocken. »Und einen goldenen Vibrator. Daran glaub ich.«

So eilte sie dem Ölreichtum und einer neuen Garderobe entgegen und ich machte einen Kassensturz und stellte fest, dass ich absolut abgebrannt war, praktisch keinen Penny mehr besaß. Ich kaufte immer noch gelegentlich ein Penthouse. Meine 60er-Jahre-Seele war sowohl zutiefst schockiert als auch vollkommen hingerissen darüber, wie viel Fleisch man heutzutage zu sehen bekam. Nichts blieb mehr der Fantasie überlassen, was mich manchmal bannte und manchmal abstieß.

Gegen Ende des Jahres 1977 war sie wieder drin.

Meine Charlotte. Ihr Haar war vielfarbig, ihre Lippen so tiefrot, als habe sie Brombeeren gegessen. Sie lag auf einem Satinlaken mit einer Juwelenmaske auf dem Gesicht und einer Hand zwischen den Beinen, ekstatisch, orgastisch, alles, was ich mir je erträumt hatte: Charlotte.

Sie firmierte unter dem Namen Titania und war in Pfauenfedern gehüllt. Die kleinen schwarzen Buchstaben, die wie Insekten um ihre Bilder herumkrochen, besagten, sie arbeite in einem Maklerbüro im Süden. Sie mochte sensible, ehrlich Männer. Sie war neunzehn.

Und Gott verflucht, sie sah aus wie neunzehn. Und ich war abgebrannt und arbeitslos wie über eine Million andere und hatte nichts erreicht.

Ich verkaufte meine Plattensammlung, meine Bücher, meine Penthouse-Sammlung bis auf vier Ausgaben, den Großteil meiner Möbel und erstand eine einigermaßen gute Kamera. Dann rief ich all die Fotografen an, mit denen ich zu tun hatte, als ich fast ein Jahrzehnt zuvor in der Werbung gearbeitet hatte.

Die meisten erinnerten sich nicht an mich oder behaupteten das zumindest. Und selbst die, die sich erinnerten, waren nicht scharf auf einen eifrigen Assistenten, der nicht mehr jung war und keinerlei Erfahrung hatte. Aber ich versuchte es weiter und irgendwann landete ich bei Harry Bleak, einem silbermähnigen alten Knaben mit seinem eigenen Studio in Crouch End und einer Schar kostspieliger kleiner Liebhaber.

Ich erklärte ihm, was ich wollte. Er nahm sich nicht einmal eine Sekunde zum Nachdenken, sondern sagte: »Sei in zwei Stunden hier.«

»Kein Pferdefuß?«

»In zwei Stunden. Das ist alles.«

Ich war da.

Im ersten Jahr machte ich das Studio sauber, malte Kulissen und klapperte die umliegenden Geschäfte und Straßenhändler ab, um Requisiten zu borgen, zu schnorren oder zu kaufen. Im nächsten Jahr durfte ich bei der Beleuchtung helfen, Objekte arrangieren, Rauch und Trockeneis herumwedeln und Tee kochen. Das ist übertrieben. Ich habe nur ein einziges Mal Tee gekocht, denn mein Tee schmeckt fürchterlich. Aber ich lernte unglaublich viel über Fotografie.

Und plötzlich war 1981, die Welt war »New Romantic« und ich war fünfunddreißig und spürte jede einzelne Minute dieser Jahre. Bleak bat mich, das Studio ein paar Wochen zu hüten, während er zu einem Monat wohlverdienter Ausschweifungen nach Marokko aufbrach.

In diesem Monat war sie wieder im Penthouse. Züchtiger, strenger als beim Mal zuvor, erwartete sie mich zwischen Werbeanzeigen für Stereoanlagen und Scotch. Jetzt hieß sie Dawn, aber es war immer noch meine Charlotte, mit Nippeln wie Blutstropfen auf ihrer gebräunten Brust, dem dunklen, lockigen Büschel zwischen ihren kilometerlangen Beinen, aufgenommen an irgendeinem Strand. Sie war erst neunzehn, stand da. Charlotte. Dawn.

Harry Bleak kam auf der Heimreise von Marokko ums Leben: ein Bus fiel auf ihn.

Das war eigentlich nicht witzig. Er war auf der Autofähre von Calais und hatte sich in den Fahrzeugraum hinabgeschlichen, um seine Zigarren zu holen, die er im Handschuhfach seines Mercedes vergessen hatte.

Die See war rau und ein Touristenbus (der einer Genossenschaft in Wigan gehörte, wie ich den Zeitungen und dem ausführlichen Bericht des in Tränen aufgelösten Liebhabers entnahm) war nicht richtig gesichert. Harry wurde zwischen dem Bus und seinem silbernen Mercedes zerquetscht.

Er hatte auf dem Lack nie ein Stäubchen geduldet.

Als das Testament eröffnet wurde, fand ich heraus, dass der alte Bastard mir das Studio vermacht hatte. In dieser Nacht weinte ich mich in den Schlaf, war eine Woche lang sternhagelvoll und dann übernahm ich das Geschäft.

Seither hat sich allerhand ereignet. Ich habe geheiratet. Es hat drei Wochen gehalten, dann zogen wir einen Schlussstrich. Ich schätze, ich bin einfach kein Typ zum Heiraten. Ich wurde mal spät nachts in einem Zug von einem besoffenen Schotten zusammengeschlagen und die anderen Fahrgäste taten so, als wär nichts. Ich kaufte mir zwei Schildkröten und ein Terrarium, brachte sie in die Wohnung über dem Studio und nannte sie Rodney und Kevin. Ich wurde ein einigermaßen guter Fotograf. Ich machte Kalender, Werbeaufnahmen, Mode- und Aktfotografie, kleine Kinder und große Stars – alles, was kam.

Und an einem Frühlingstag im Jahr 1985 begegnete ich Charlotte.

Ich war allein im Studio an diesem Donnerstagmorgen, unrasiert und barfuß. Es war ein Tag ohne Termine und ich wollte ihn damit verbringen, gründlich sauber zu machen und die Zeitungen zu lesen. Ich hatte die Studiotür offen gelassen, damit frische Luft hereinkam und den Gestank nach Zigaretten und verschüttetem Wein vom Shooting des Vorabends ersetzte, als eine Frauenstimme fragte: »Bleak Photographie?«