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Was bedeutete, erkannte er während der Lektüre, dass die Corum-Bücher, die Erikose-Bücher und im Grunde sogar die Dorian-Hawkmoon-Bücher eigentlich auch Elric-Bücher waren, also kaufte er sie. Und es machte ihm Spaß, sie zu lesen.

Doch sie waren nicht so gut wie Elric. Elric war einfach der Beste.

Manchmal saß er da und zeichnete Elric, versuchte, ihn genau zu treffen. Keins der Bilder auf den Buchcovern sah je so aus wie der Elric, der in Richards Kopf lebte. Er zeichnete seine Elrics mit Füller in leere Schulhefte, die er mit betrügerischen Methoden erworben hatte. Vorne drauf schrieb er seinen Namen: Richard Grey. Nicht stehlen.

Manchmal dachte er, er sollte sich seine Elric-Geschichte noch einmal vornehmen und sie zu Ende schreiben. Vielleicht konnte er sie sogar an eine Zeitschrift verkaufen. Aber was, wenn Moorcock das rausbekam? Was, wenn er Ärger bekäme?

Das Klassenzimmer war riesig und stand voller Holzpulte. Jedes Pult war von seinem Besitzer beschnitzt, verschmiert und mit Tintenflecken verziert, ein äußerst wichtiger Prozess. An der Wand hing eine Tafel mit einem Kreidebild: eine einigermaßen naturgetreue Darstellung eines Penis’, der sich auf ein yförmiges Ding zubewegte, das wohl die weiblichen Genitalien darstellen sollte.

Unten schlug die Tür zu und jemand kam die Treppe heraufgerannt.

»Grey, du Spasti, was treibst du hier oben? Wir müssten längst unten auf dem Lower Acre sein. Du bist heute zum Fußballspielen eingeteilt.«

»Wirklich?«

»Es wurde heute Morgen bei den Ankündigungen vorgelesen. Und die Liste hängt am Schwarzen Brett.« J.B.C. MacBride war flachsblond, bebrillt und nur unwesentlich praktischer oder lebenstüchtiger als Richard Grey. Es gab allerdings zwei J. MacBrides, darum führte er seine Initialen vollzählig.

»Oh.«

Grey hob das Buch auf (Tarzan am Mittelpunkt der Erde) und folgte ihm hinaus. Dunkelgraue Wolken bedeckten den Himmel und versprachen Regen und Schnee.

Richard verpasste ständig irgendwelche Ankündigungen. Andauernd fand er sich in leeren Klassenzimmern, verpasste angesetzte Sportveranstaltungen und kam an Tagen zur Schule, wo alle anderen zu Hause blieben. Manchmal hatte er das Gefühl, er lebe in einer völlig anderen Welt als die anderen Menschen.

Als er aufs Fußballfeld hinauskam, steckte Tarzan am Mittelpunkt der Erde hinten in seinen kratzigen blauen Fußballshorts.

Er hasste die Duschen und Bäder. Er konnte nie begreifen, warum sie beide benutzen mussten, aber so war es nun einmal.

Er fror erbärmlich und er machte keine gute Figur auf dem Platz. Inzwischen betrachtete er es mit einem perversen Stolz, dass er in all den Jahren an der Schule bislang nicht ein einziges Tor geschossen oder einen einzigen Punkt beim Kricket gemacht oder überhaupt irgendetwas getan hatte, außer herumzustehen und immer der Letzte zu sein, der ins Team gewählt wurde.

Elric, stolzer, bleicher Prinz der Melnibonéer, hätte niemals mitten im Winter auf dem Rasen herumstehen und das Ende des Spiels herbeisehnen müssen.

Dampf quoll aus dem Duschraum und die Innenseiten von Richards Oberschenkeln waren ganz wund und gerötet. Nackt und schlotternd standen die Jungen in einer Reihe und warteten darauf, dass sie erst in den Duschen und dann im Bad an die Reihe kamen.

Mr. Murchinson mit seinem wilden Blick, dem ledrigen, runzeligen Gesicht und dem fast kahlen Schädel, stand mitten im Umkleideraum und dirigierte nackte Jungen unter die Duschen, raus aus der Dusche und ins Bad. »He, du, Junge! Du kleiner Dummkopf. Jamieson. Unter die Dusche, Jamieson. Atkinson, du Waschlappen, stell dich ganz drunter. Smiggins, ins Bad. Goring, du nimmst seinen Platz unter der Dusche …«

Die Duschen waren zu heiß. Das Badewasser war eisig kalt und trüb vor Dreck.

Sobald Mr. Murchinson ihnen den Rücken kehrte, gingen die Jungen mit Handtüchern aufeinander los, lachten über die Penisse der anderen oder darüber, wer Schamhaare hatte und wer nicht.

»Sei doch kein Idiot«, zischte jemand in Richards Nähe. »Was, wenn Murch zurückkommt? Der bringt dich um.« Ein nervöses Kichern erhob sich.

Richard drehte sich um. Ein älterer Junge hatte eine Erektion, hatte die Hand darumgelegt und bewegte sie auf und ab, führte sein Prachtstück voller Stolz den anderen vor.

Richard wandte sich ab.

Das Fälschen war wirklich zu einfach.

Richard brachte beispielsweise eine passable Imitation von Mr. Murchinsons Unterschrift zustande, und auf die Handschrift und Unterschrift seines Hauslehrers verstand er sich ganz besonders gut. Sein Hauslehrer war ein großer, kahler, trockener Mann namens Trellis. Sie verabscheuten einander seit Jahren.

Richard missbrauchte seine Unterschrift, um sich Schulhefte aus dem Schreibwarenbüro zu ergaunern. Dort bekam man Papier, Bleistifte, Kulis oder Lineale, wenn man eine von einem Lehrer unterzeichnete Notiz vorlegte.

Richard schrieb Geschichten und Gedichte und malte Bilder in die Hefte.

Nach dem Bad rubbelte Richard sich ab und zog sich hastig an, denn sein Buch und die verlorene Welt darin warteten auf ihn.

Langsam verließ er das Gebäude. Die Krawatte hing auf Halbmast und das Hemd aus der Hose. Er las über Lord Greystoke und fragte sich, ob es wirklich eine Welt im Innern der Welt gab, wo Dinosaurier lebten und es niemals Nacht wurde.

Das Tageslicht begann zu schwinden, aber es waren noch einige Jungen draußen, die vor der Schule mit Tennisbällen spielten, eine andere Gruppe hatte sich nahe der Bank zusammengeschart und spielte Kastanienzertrümmern. Richard lehnte an der roten Backsteinmauer und las, die Welt um ihn herum ausgesperrt, die Entwürdigungen des Umkleideraums vergessen.

»Du bist der reinste Schandfleck, Grey.«

Ich?

»Sieh dich doch mal an. Deine Krawatte sitzt völlig schief. Du bist eine Schande für die Schule, genau das bist du.«

Der Junge hieß Lindfield. Er war zwei Klassen über Richard, aber schon so groß wie ein Erwachsener. »Schau dir die Krawatte an. Ich meine, schau sie dir doch mal an.« Lindfield zerrte an Richards grüner Krawatte und zog sie zu einem kleinen, engen Knoten fest. »Jämmerlich.«

Lindfield und seine Freunde schlenderten davon.

Elric von Melniboné stand an der roten Backsteinmauer des Schulgebäudes und starrte ihn an. Richard zog an dem Krawattenknoten und versuchte, ihn zu lockern. Er schnürte ihm die Kehle zu.

Seine Hände tasteten über seinen Hals.

Er konnte nicht atmen, aber atmen war nicht sein größtes Problem. Es war das Stehen, das ihm Sorgen bereitete. Richard hatte plötzlich vergessen, wie man stand. Es war eine Erleichterung festzustellen, wie weich der gepflasterte Weg war, auf dem er gestanden hatte und der jetzt langsam emporschwebte, um ihn zu umfangen.

Sie standen zusammen unter einem Nachthimmel, der von tausenden riesiger Sterne übersät war. Vor ihnen erhob sich eine Ruine, die vielleicht vor langer Zeit einmal ein Tempel gewesen war.

Elrics Rubinaugen starrten auf ihn hinab. Sie sahen aus wie die Augen eines besonders gemeinen weißen Kaninchens, das Richard einmal besessen hatte, ehe es den Maschendraht seines Käfigs durchgebissen hatte und ins ländliche Sussex geflüchtet war, um unschuldige Füchse in Angst und Schrecken zu versetzen. Seine Haut war vollkommen weiß, seine verzierte, elegante Rüstung mit dem verschnörkelten Muster vollkommen schwarz. Das feine weiße Haar umwehte seine Schultern, dabei war es völlig windstill.

Du möchtest also ein Gefährte der Helden sein? fragte er. Seine Stimme klang sanfter, als Richard sie sich vorgestellt hatte.