vertrautes Gefühl, und mein Atem formt Dampfwolken in der Luft.
Kalt wie ein Todeshauch diese Tage in London,
man soll nicht denken, dass erst November ist,
und unter der Erde hört man das Rumpeln von Zügen.
Seltsam: UBahnen sind beinah Legende heutzutage,
halten nur noch für Jungfrauen und jene, die reinen Herzens sind;
nächster Halt Avalon, Lyonesse oder die Inseln der Seligen. Vielleicht
kriegst du eine Postkarte, vielleicht auch nicht.
Wie dem auch sei, ein Blick in den Abgrund beweist:
unter London ist kein Platz mehr für Züge;
Ich wärme mir die Hände über einem Schlund.
Flammen züngeln herauf.
Dort unten ist ein grinsender Dämon, er sieht mich, winkt, formt Worte,
überdeutlich, als sei ich taub, weit fort oder Ausländer.
Seine Verkaufsveranstaltung ist perfekt: Er mimt einen Dwarror Clone,
mimt Software jenseits meiner Vorstellungskraft,
Albertuns Magnus ARChived auf drei Disketten,
Claviculae Solomon für VGA, CGA, Vierfarb oder Monochrome,
mimt
und mimt
und mimt.
Die Touristen lehnen sich über die Balustraden der Hölle,
begaffen die Verdammten
(vielleicht das Schlimmste an der Verdammnis;
ewige Qualen kann man in würdevollem Schweigen ertragen, allein,
doch ein Publikum, das Chips und Pommes und Maronen frisst,
ein Publikum, das nur mäßig interessiert ist …
Sie müssen sich vorkommen wie Tiere im Zoo,
die Verdammten).
Tauben flattern in der Hölle umher, segeln mit dem aufsteigenden Luftstrom,
ihr kollektives Gedächtnis sagt ihnen vielleicht,
dass hier irgendwo vier Löwen sein sollten,
ungefrorenes Wasser, ein Steinmann darüber;
umringt von Touristen.
Einer macht ein Geschäft mit dem Dämon: ein Zehnerpack Blankodisketten für seine Seele.
Eine hat einen Verwandten in den Flammen entdeckt und winkt:
»Huhu! Huhu! Onkel Joseph! Guck mal, Nerissa, dein Großonkel Joe,
der gestorben ist, eh du zur Welt kamst,
das ist er da unten im Modder, bis zu den Augen im kochenden Schleim
und Würmer kriechen ihm übers Gesicht.
So ein netter Mann.
Wir haben alle geweint bei seiner Beerdigung.
Wink deinem Onkel, Nerissa, wink deinem Onkel.«
Der Taubenmann stellt seine Fallen auf dem rissigen Gehweg
streut Brotkrumen aus und wartet.
Er lüpft seinen Hut vor mir.
»Ich hoffe, die Taube entsprach Ihren Wünschen, Sir?«
Ich versich’re, das tat sie, und geb ihm einen Goldschilling
(den er verstohlen an seinen eisernen Handschuh schlägt,
um sich zu vergewissern, dass er auch echt ist).
Dienstags, sag ich ihm. Kommen Sie dienstags.
III.
Vogelbeinige Häuschen und Hütten verstopfen die Straßen der Stadt,
steigen staksend über Taxis, scheißen Asche auf Passanten,
bilden Schlangen hinter den Bussen,
tschacktschacktschacktschacktschurk murmeln sie.
Alte Frauen mit Eisenzähnen schauen aus den Fenstern
eh sie sich wieder den Zauberspiegeln zuwenden
oder der Hausarbeit,
Hoover, die gute Wahl gegen schmutzige Luft.
IV.
Sechzehn Uhr in Old Soho,
diesem Trödelmarkt verlorener Technologie.
Das Knirschen der Federn in alten Zauberkästen, aufgezogen
mit silbernen Uhrwerksschlüsseln,
ertönt schnarrend aus jeder Engel- und
Uhrmacherwerkstatt, den Zaubertrank- und Tabakläden.
Es regnet.
BBS-Kids in Schlapphüten fahren Zuhälterschlitten,
moderne Luden,
Könige im Reich von Signal to Noise,
und all ihre neongepunkteten Pferdchen flirten und drehen sich
unter den Lichtern,
Sukkuben und Inkuben mit Verfallsdatum und Chip-Card-Augen.
Sie sind dein – wenn du deinen PIN-Code weißt,
dein Gültigkeitsdatum und all dieses Zeug.
Eine zwinkerte mir zu
(blinkt an, an-aus, aus-aus-an),
Noise schluckt Signal in Fummelfellatio.
(Ich kreuze die Finger,
ein binärer Schutz gegen Hexen,
wirkt als Supraleiter genauso wie gegen Aberglauben.)
Zwei Poltergeister essen aus Pappschachteln. Old Soho macht mich immer nervös.
Brewer Street: Ein Zischen aus einer Gasse: Mephisto öffnet seinen braunen Mantel,
zeigt mir das Futter (eine Datenbank alter Beschwörungen,
Priester treiben’s mit Geistern – im Diagramm) flucht und fragt mich:
Einen Feind ausschalten?
Eine Ernte vernichten?
Eine Leibesfrucht verdorren?
Eine Unschuld verderben?
Eine Party ruinieren …?
Wie wär’s, Sir? Nein, Sir? Überlegen Sie es sich.
Nur ein Tropfen Ihres Blutes auf diesen Printout geträufelt
und Sie werden stolzer Besitzer eines neuen Voice-Synthesizers. Hören Sie nur …
Er stellt einen tragbaren Zenith auf den alten Koffer, der ihm als Tisch dient,
lockt damit eine Zuschauerschar, verkabelt die Voicebox,
gibt ein
C: GO
und eine klare, reine Stimme zitiert:
Orientis princeps Beelzebub, inferni irredentista menarche et demigorgon, propitiamus vos …
Ich eile weiter, die Straße hinab,
Papiergeister wirbeln umher, alte Computerdrucke,
und immer noch hör ich ihn wie einen Marktschreier:
Nicht zwanzig
nicht achtzehn
nicht fünfzehn
Hat mich zwölf gekostet, Lady, so wahr Satan mir helfe.
Doch weil Sie so hübsch sind und
um Sie aufzumuntern, kriegen Sie es für
Fünf.
Ganz recht.
Fünf
Verkauft an die Dame mit den schönen Augen …
V.
Grünlich grau kauert der Erzbischof, blind in der Dunkelheit auf der Mauer von St. Paul’s,
klein, vogelhaft, leuchtend summt er: Input/Output, Input/Output.
Es ist schon fast sechs und der Stoßverkehr aus gestohlenen Träumen
und erweitertem Speicher verstopft den Gehweg unter uns.
Ich reich dem Mann mein Glas.
Er nimmt es behutsam und schlurft in den lauernden Schatten der Kathedrale.
Als er zurückkommt, ist das Glas wieder voll.
»Garantiert heilig?«, frag ich im Scherz.
Er zieht Buchstaben in den gefrorenen Dreck: wysiwyg
Und lächelt nicht mal.
(Wisiwig. Whiskey weg.)
Er hustet milchig grauen Schleim,
spuckt auf die Stufen.
Was ich in dem Glas sehe, scheint in der Tat heilig, doch man weiß ja nie,
wenn man nicht selbst eine Sirene ist oder ein Geist,
der aus dem Telecom-Mundstück herausflockt, den Piepston reitet,
eine Anrufung, eine ganz Falsche Nummer, dann erkennt man das Unheilige.
Ich hab schon früher Telefone in dem Zeug versenkt,
sah Dinge sich formen
dann zischen und schmelzen, als das Wasser wirkte:
gereinigt, geläutert, die Letzte Segnung.
Eines Nachmittags
hatte ich eine ganze Schlange von ihnen auf meiner Mailbox:
Ich hab sie auf Diskette kopiert und abgelegt.
Wollen Sie?
Hör’n Sie, für Geld gibt es alles.
Der Priester ist unrasiert und er hat das Zittern.
Sein weinbeflecktes Ornat hält ihn nicht warm.
Ich geb ihm Geld.
(Nicht viel. Immerhin
ist es nur Wasser, manche Leute sind so blöd,