Elizabeth und ich waren im zweiten Monat in Ko-ro-ba eingetroffen, und sie verließ die Stadt wieder am zweiten Tag der zweiten Passage-Hand, die dem zweiten Monat folgt. Wir schätzten daß sie sich zur Zeit der Dritten Passage-Hand im Hause Clark befinden würde. Wenn alles gutging, rechneten wir mit ihrer Ankunft in Ar und im Hause des Cernus gegen Ende des vierten Monats, der En'Var genannt wird.
Ich hatte beschlossen, bis zur vierten Passage-Hand zu warten, der Periode nach En'Var, und dann auf dem Tarnrücken nach Ar zu fliegen, wo ich als Tarnsöldner auftreten und mir im Hause des Cernus Arbeit suchen wollte. Doch als der Krieger aus Thentis, der mir ähnlich sah, Anfang En'Var erstochen wurde, beschloß ich die Verkleidung eines Attentäters anzulegen und auf dem Rücken eines Tharlarion zu reisen, denn Attentäter sind in der Regel keine Tarnreiter. Außerdem hielt ich es für wünschenswert, daß die Bewohner Ars Tarl Cabot für tot hielten. Im übrigen war ich ja wirklich als Rächer unterwegs, denn ich durfte den thentischen Krieger nicht vergessen, der auf einer Brücke Ko-ro-bas unschuldig an meiner Stelle gestorben war und dessen Blut gewißlich die Gerechtigkeit des Schwerts erforderte. Es ging nicht nur darum, daß Thentis mit Ko-ro-ba verbündet war, sondern dieser Krieger hatte sein Leben für das meine gegeben, so daß es meine Pflicht war, ihn zu rächen.
»Ich hab's geschafft«, sagte Elizabeth, die meinen Signaturknoten geübt hatte.
»Gut«, sagte ich.
Ich selbst beschäftigte mich schon einige Zeit mit dem Knoten, den sie erfunden hatte und der – das mußte ich zugeben – ganz schön kompliziert war. Es mag zwar seltsam klingen, doch ihr Knoten hatte etwas von ihrer Persönlichkeit, von ihrem ästhetischen Empfinden.
Elizabeth hatte fünfundfünfzig Windungen geschlungen, während ich es bei meinem Knoten auf siebenundfünfzig gebracht hatte.
»Ausgezeichnet«, sagte ich. »Nun mußt du dir aber auch mein Gesellenstück ansehen.«
Sie beugte sich über das Ergebnis meiner Bemühungen. »Kuurus«, sagte sie, »es sieht so aus, als hättest du meinen Knoten ordentlich hinbekommen, wenn er auch etwas grober ausgefallen ist, als mir lieb ist.«
»Hauptsache, daß er richtig geknüpft ist«, antwortete ich.
Sie zuckte die Achseln. »Das mag wohl stimmen.«
»Und deine Arbeit«, sagte ich gekränkt, »ist auch etwas lässiger ausgefallen, als ich mir wünschen würde.«
»Da irrst du dich aber«, versicherte mir Elizabeth. »Ich bin nur sauberer, einfacher und geradliniger.«
»Oh«, bemerkte ich.
»Ich kann doch nichts dafür, wenn ich deinen Knoten besser hinkriege als du.«
»Knoten scheinen dir zu gefallen«, bemerkte ich.
Sie zuckte die Achseln.
»Möchtest du noch einige andere sehen?« fragte ich.
»Signaturknoten?« fragte sie.
»Nein, einfache goreanische Knoten.«
»Ja«, sagte sie.
»Dann bring mir doch ein Paar Schnürsenkel.«
Sie gehorchte und kniete vor mir nieder, während ich einen Schnürsenkel zur Hand nahm.
»Das ist die Korbschlaufe«, sagte ich und gab ihr ein Zeichen, die Hand auszustrecken. »Sie wird benutzt, um Körbe an Tarnsätteln zu befestigen.«
Ich führte ihr weitere Knoten vor – so den karischen Ankerknoten, die Nadelschlaufe, die doppelte Nadelschlaufe, den Baumeisterbogen und den einfachen Knoten dieser Kaste.
»Jetzt leg mal deine Handgelenke über Kreuz.«
Ich schlang einen Schnürsenkel zweimal um ihr Handgelenk, knüpfte dann einen doppelten Knoten mit einfacher Drehung.
»O je«, sagte sie und bewegte die Hände. »Das hast du aber schnell gemacht.«
Ich sagte ihr natürlich nicht, daß jeder Krieger diesen Knoten kennt.
»An deiner Stelle würde ich mich nicht bewegen«, sagte ich, »denn sonst ziehst du die Schnur nur noch fester an.«
»Ein interessanter Knoten«, sagte sie und musterte die Schnur. »Wie heißt er?«
»Der Sklavenknoten.«
»Oh.«
»Tarl«, sagte sie.
»Kuurus!« ermahnte ich sie.
Sie lehnte sich zurück. »Du hast mich hereingelegt.«
»Und dies«, sagte ich, »sichert eine Sklavin noch mehr.«
Ich löste ihre Fesseln, drehte sie herum und verknotete ihr die Hände mit demselben Knoten auf dem Rücken. Dann zerrte ich sie zur Couch und legte ihr noch den schwarzen Sklavenkragen um den Hals.
»Ja«, sagte Elizabeth. »Du hast sicher recht. Aber jetzt mach mich los.«
»Ich muß darüber nachdenken.«
»Bitte!«
»So, deine Knoten sind also besser als meine?«
»Ganz eindeutig. Und jetzt mach mich los!«
»Vielleicht morgen früh. Und beweg dich lieber nicht!«
»Aber!« rief sie aufgebracht. Dann starrte sich mich wütend an. »Also gut!« sagte sie. »Deine Knoten sind besser!«
Ich beugte mich vor, um sie loszubinden, als plötzlich ein lautes Klopfen an der Tür ertönte. Wir warfen uns hastige Blicke zu.
Wieder wurde geklopft.
»Wer ist da?« fragte ich.
»Ho-Tu, Oberaufseher!« lautete die Antwort, durch die dicke Tür kaum zu verstehen.
Ich gab Elizabeth einen flüchtigen Kuß, drehte sie am Fuß der Couch herum und ließ sie liegen. Dann ging ich zur Tür und öffnete.
Ho-Tu war ein kleiner, korpulenter Mann mit breiten Schultern und bloßem Oberkörper. Er hatte unruhige schwarze Augen in einem glattrasierten Kopf. Der Schnurrbart hing ihm zu beiden Seiten des Mundes herab. Um den Hals trug er ein unförmiges Schmuckstück, eine weite Eisenkette mit einem eisernen Medaillon, das Symbol des Hauses des Cernus. Um seine Hüfte wand sich ein breiter Ledergürtel mit vier Haltern. An diesem Gürtel hing eine Hakenklinge, die in ihrer Scheide ruhte, und eine Sklavenpfeife, mit der Sklaven gerufen werden konnten.
Auf der anderen Seite des Gürtels hing ein Sklavenstab, der nach dem gleichen Prinzip funktionierte wie ein Tarnstab. Er war in gemeinsamer Arbeit von der Kaste der Ärzte und der Kaste der Baumeister entwickelt worden – wobei die Ärzte ihr Wissen um die Schmerzschwelle des Menschen und über das Netzwerk der Nervenenden beisteuerten, die Baumeister dagegen jene Prinzipien, die bei der Her-Stellung der Energielampen Anwendung fanden. Im Gegensatz zum Tarnstab, der einen einfachen Schalter hat, arbeitet der Sklavenstab neben dem Schalter auch mit einem Feineinsteller, der die Ladung von kaum spürbar bis absolut tödlich steigern kann. Der Sklavenstab, der in den meisten goreanischen Städten gänzlich unbekannt ist, wird gewöhnlich nur von Sklavenhändlern benutzt, schon aus Kostengründen.
Ho-Tu sah sich in meinem Quartier um, erblickte Elizabeth und lächelte das Lächeln eines Sklavenhändlers.
»Ich sehe, du weißt, wie man mit einer Sklavin umgeht«, bemerkte er.
Ich zuckte die Achseln.
»Wenn sie dir Ärger macht, schicken wir sie in die Gewölbe.«
»Ich erziehe meine Sklaven gern selbst«, sagte ich.
»Natürlich«, erwiderte er und senkte den Kopf.
In diesem Augenblick wurde irgendwo im Haus rhythmisch gegen eine große Eisenstange geschlagen. Das Geräusch pflanzte sich durch die Korridore fort und wurde in verschiedenen Etagen durch andere Hammerschläger aufgenommen. Wie ich schon festgestellt hatte, wurde der Tag durch solche Signale unterteilt. Das Leben im Haus eines Sklavenhändlers hat Methode.