Ich starrte wortlos in die Luxuszelle.
»Du scheinst das Haus des Cernus nicht sehr zu mögen«, bemerkte Ho-Tu.
»Und du – Oberaufseher?«
Er sah mich überrascht an. »Ich werde gut bezahlt.« Dann zuckte er die Achseln. »Den größten Teil des Hauses hast du jetzt gesehen – es fehlen nur noch die Ausbildungsräume, die Käfige und Gehege, die Vorbereitungsräume und so weiter.«
»Wo sind die Frauen, die gestern abend aus dem schwarzen Schiff in den Voltai- Bergen gebracht wurden?«
»In den Gehegen. Folge mir.«
Auf dem Wege in die unteren Regionen des Zylinders, die teilweise auch unter der Erdoberfläche lagen, kamen wir am Büro des Caprus vorbei.
Ich sah Elizabeth im Korridor, einen Stapel Schriftrollen im Arm.
Als sie mich erblickte, fiel sie auf die Knie und senkte den Kopf.
»Ich sehe, deine Ausbildung hat noch nicht einmal angefangen«, sagte ich streng.
»Ihre Ausbildung beginnt bald«, schaltete sich Ho-Tu ein.
»Was soll die Verzögerung?« fragte ich.
»Cernus' Anweisung«, sagte Ho-Tu. »Er möchte zunächst eine kleine Gruppe Barbarensklavinnen ausbilden lassen. Sie kommt zu dieser Gruppe.«
»Die Mädchen von gestern abend?« fragte ich.
»Nur zwei davon kommen in ihre Gruppe. Die anderen acht werden in zwei größere Gruppen aufgeteilt und getrennt trainiert.«
»Wie ich gehört habe, lassen sich Barbarinnen nur schlecht ausbilden.«
»Das bleibt abzuwarten.«
»Und wenn das Experiment positiv verläuft, hat das Haus des Cernus offenbar das größte Angebot solcher Mädchen.«
»Natürlich«, lächelte Ho-Tu. »Und bei jedem Rendezvous kommen neue hinzu.«
»Wann fängt das Training an?«
»Sobald die beiden neuen Mädchen durch die Gehege sind. Mädchen, die im Training stehen, werden allgemein besser behandelt und ernährt, und wenn sie gute Fortschritte machen, dürfen sie sogar in die Stadt, um sich Anregungen zu holen.« Elizabeth lächelte.
»Damit sie bessere Preise bringen«, fügte Ho-Tu hinzu. Elizabeth senkte den Kopf.
In diesem Augenblick ertönte das Zeichen der fünfzehnten Stunde. Das Mädchen sah mich fragend an, und ich gestattete ihr, sich zu entfernen.
Sie sprang sofort auf, brachte Caprus die Schriftrollen und lief mit schnellen Schritten davon.
»Bei dem Tempo«, sagte Ho-Tu lächelnd, »ist sie bestimmt nicht die letzte an den Trögen.«
Ich erwiderte Ho-Tus Blick; seine schwarzen Augen blieben ruhig und gleichmütig. Schließlich kratzte er sich an der linken Schulter und grinste.
»Du bist ein seltsamer Attentäter«, sagte er kopfschüttelnd. »Gehen wir nun zu den Gehegen?«
»Es ist die fünfzehnte Stunde. Essen wir erst etwas. Danach zeige ich dir die Gehege.«
Im sandbestreuten Ring in der großen Halle fanden heute abend mehrere Kämpfe statt; wieder ein Duell mit Hakenklingen, dann ein Peitschenkampf und schließlich ein Boxkampf mit nagelbesetzten Handschuhen. Cernus saß wieder über sein Spielbrett gebeugt und blieb diesmal sehr lange, auch nachdem Paga und Ka-la-na- Wein serviert worden waren.
Ich wandte mich an Ho-Tu, den ich während des Tages ein wenig besser kennengelernt hatte: »Wie kommt es, daß du immer nur deinen Brei ißt, auch wenn die anderen Ka-la-na und Fleisch und Honig zu sich nehmen?«
Ho-Tu schob die Schale zurück. »Das hat nichts zu besagen«, meinte er.
»Gut«, erwiderte ich.
Der Hornlöffel zerbrach in seinen Händen, und er warf die Stücke ärgerlich in die Schale. »Es tut mir leid«, sagte ich.
Er starrte mich verwirrt an. In seinen schwarzen Augen blitzte es. »Hat nichts zu besagen«, wiederholte er. »Ich bringe dich jetzt zu den Gehegen.«
Ich deutete auf die Seitentür, durch die gestern abend der gefesselte Sklave geführt worden war. Der Sieger des vergangenen Abends saß heute wieder am unteren Ende der Tafel. Er trug keinen Kragen mehr und war also vermutlich freigelassen worden.
»Das Wesen, das ihr das Ungeheuer nennt«, sagte ich, »lebt hinter dieser Tür?«
Ho-Tu musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. »Ja«, sagte er.
»Ich würde es gern sehen.«
Ho-Tu erbleichte. »Bete zu den Priesterkönigen, daß du es nie sehen mußt.«
»Weißt du etwas über das Ungeheuer?« fragte ich.
»Cernus und gewisse andere Persönlichkeiten des Hauses dürfen es sehen – sie allein.« Er musterte mich eingehend. »Sei nicht zu neugierig, Attentäter, denn gewöhnlich bekommt man dieses Wesen nur im Augenblick des Todes zu Gesicht.«
»Ich hoffe, es befindet sich in einem sicheren Käfig.«
Ho-Tu lächelte. »Das hoffe ich auch«, sagte er.
»Wie oft wird es gefüttert?«
»Es kann mehrmals am Tag essen«, sagte Ho-Tu, »aber es kommt auch lange Perioden ohne Nahrung aus. Gewöhnlich geben wir ihm alle zehn Tage einen Sklaven.«
»Einen lebendigen Sklaven?«
»Es tötet gern selbst.«
»Solange es in seinem Käfig ist, besteht doch wohl keine Gefahr.«
»Die Angst vor dem Ungeheuer sorgt im Hause des Cernus für Ordnung.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
9
Nachdem wir mehrere Eisentüren durchschritten hatten, stiegen wir eine metallene Wendeltreppe hinab und erreichten schließlich die sogenannten Gehege, die mehrere Stockwerke umfaßten. Es handelte sich um die Aufbewahrungs- und Strafräume für die gewöhnlichen Sklaven, einfache Steinzellen oder feste Käfige aus Metallstangen. Ho-Tu führte mich über zahlreiche Gehsteige, unter denen sich die Gehege erstreckten. Sklaven und Sklavinnen starrten dumpf zu uns herauf.
»Paß auf, wohin du trittst«, warnte mich Ho-Tu.
Auf jedem Käfig sah ich eine dünne Metallplatte, auf der zahlreiche Nummern standen. Einige Nummern bezogen sich auf die Käfigbewohner, doch andere Zahlen waren kodierte Anweisungen für die Aufseher – hinsichtlich Ernährung, Besonderheiten, Datum des Erwerbs und des beabsichtigten Verkaufs. Einige Ziffern waren ausgekratzt, andere waren neu in die Platten hineingehämmert, die von Zeit zu Zeit ausgetauscht wurden.
Eine warme, brütende Atmosphäre herrschte hier unten. Die sanitäre Einrichtung bestand aus einem offenen Metallgitter, unter dem sich etwa anderthalb Meter tiefer ein Zementboden erstreckte, der von den Sklaven einmal am Tag gereinigt wurde. An einer Käfigwand verlief ein Fütterungstrog und entlang der anderen eine Wasserwanne, die beide durch Röhren vom Gehsteig aus gefüllt wurden.
Ich versuchte nicht, die Käfige zu zählen, die wir passierten, dabei stiegen wir noch zwei weitere Stockwerke tiefer, die ähnlich ausgestattet waren. In der vierten unterirdischen Etage machten wir halt, obwohl es noch drei weitere Etagen geben sollte, die im wesentlichen aber nichts Neues boten. Die vierte Etage diente weitgehend der Auswahl, Registration, Zuordnung, Befragung und Untersuchung von Sklaven; sie ist unabhängig durch eine Rampe zu erreichen und durch einen Tunnel, der nicht durch die Käfigstockwerke führt. Auch die Küchen für die Gehege befinden sich hier, ebenso die Krankenstation und die Werkstätten der Schmiede; und Ho-Tu hatte hier sein Büro. Auch wurden hier die Strafen ausgeteilt, wie ich aus dem Vorhandensein von Ketten und Streckbänken schloß.
»Ich zeige dir jetzt die Mädchen – die aus den Voltai-Bergen«, sagte Ho-Tu.
Ich folgte ihm in einen großen Raum, der mit einer schweren Eisentür versehen war. In einer Tonne flackerte ein großes Feuer. Kettenstücke lagen herum. Zwei Schmiede waren am Werk. Ein Wächter stand tatenlos in einer Ecke. Auch erblickte ich einen Mann in der grünen Kleidung der Kaste der Ärzte. Er machte sich auf einem Stück Papier Notizen. Er war ein großer, glattrasierter Mann. Ich sah ein Brandgestell und stellte fest, daß verschiedene Brandeisen im Feuer ruhten. Daneben erhob sich ein Amboß auf einem großen Holzbock. An einer Seite des Raums zogen sich dreißig kleine Sklavenkäfige hin, fünf Reihen zu je sechs Zellen übereinander.
Der Arzt hob den Kopf. »Sei gegrüßt, Ho-Tu«, sagte er.
»Und auch du, Flaminius«, erwiderte Ho-Tu. »Ich möchte dir Kuurus vorstellen, der von der schwarzen Kaste ist, aber in unseren Diensten steht.«