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Am ersten Tag des En'Kara war das alte Jahr fast vergessen – aber es gab Menschen, die nicht so leicht vergessen konnten: Portus, der angekettet in den Verliesen des Zentralzylinders lag, Claudia Tentia Hinrabia, die wieder frei war, aber die Schande der Sklaverei erlebt hatte, und schließlich Tarl Cabot, der von seinen Zielen ebensoweit entfernt schien wie am ersten Tage seines Aufenthaltes in der Stadt.

Während der Wartenden Hand hatte ich mich Caprus erneut genähert und wütend verlangt, er solle uns nun endlich sein Material überlassen.

Doch er versicherte mir, daß Cernus erst vor kurzem neue wichtige Dokumente und Landkarten erhalten hätte, die vielleicht entscheidende Informationen enthielten, und die Priesterkönige wären sicherlich enttäuscht, wenn er nicht auch Kopien dieser Papiere beschaffte. Er wiederholte, daß er keine Unterlagen aus der Hand gäbe, bis seine Arbeit vollendet sei und er sich gleichzeitig in Sicherheit bringen könne.

Ich war wütend, konnte jedoch nichts machen.

Die Spiele und Rennen begannen unter großer Anteilnahme des Publikums. Murmilius kehrte in die Arena zurück und wurde seinem Ruf wieder einmal gerecht. In einem aufregenden Kampf besiegte er gleich zwei Gegner auf einmal. Bei den Rennen trugen die Gelben die meisten Siege davon, angeführt von Menicius aus Port Kar, dem berühmtesten Reiter seit Melipolus aus Cos, der zu seinen Lebzeiten schon eine Legende gewesen sein soll. Die Gelben gewannen sieben Rennen, bei denen fünfmal Menicius der Reiter war, die Grünen gewannen drei von elf Wettbewerben.

An diesem Tage wurde es Elizabeth, Virginia und Phyllis zum erstenmal gestattet, das Haus zu verlassen, wobei sie natürlich angemessen bewacht werden mußten. Ich hatte die Führung dieser Expedition übernommen, nur um Elizabeth keinem anderen überlassen zu müssen, und erhielt von Ho-Tu ein Ledersäckchen mit Silber- und Kupfermünzen, mit denen die Kosten des Tages bestritten werden sollten. Die beiden anderen abkommandierten Wächter waren zur Überraschung der Mädchen Relius und Ho-Sorl.

Die Sklavinnen wurden mit Handfesseln an uns befestigt, und gemeinsam verließen wir das Haus.

Als wir um eine Ecke gebogen waren, nahm ich Elizabeth den störenden Armreifen ab.

»Warum hast du das getan?« wollte Ho-Sorl wissen.

»So hat sie es bequemer«, sagte ich.

»Du kannst mir das Armband ja auch abnehmen«, sagte Phyllis von oben herab. »Ich greife dich schon nicht an.« Sie reichte Ho-Sorl den Arm hin, wobei sie hochmütig den Kopf abwandte.

»Also, ich möchte ja umnichts in der Welt angegriffen werden«, sagte Ho-Sorl.

Phyllis stampfte mit dem Fuß auf.

Relius musterte Virginia und hob mit einer Hand ihr Kinn an, und zum erstenmal begegneten ihre dunkelgrauen, schüchternen Augen seinem Blick. »Wenn ich dir das Armband abnehme«, sagte Relius, »dann wirst du mir doch nicht davonlaufen?«

»Nein«, sagte sie leise und setzte noch leiser hinzu: »Herr.«

Sekunden später war ihre Fessel beseitigt. »Danke, Herr«, sagte sie und senkte den Kopf.

»Schöne Sklavin«, brummte Relius anerkennend.

Ohne den Kopf zu heben, lächelte sie. »Hübscher Herr«, erwiderte sie.

Ich war verblüfft. Das sah Virginia Kent so gar nicht ähnlich.

Relius lachte und setzte sich in Bewegung. Virginia folgte ihm in zwei Schritten Abstand, den Kopf gesenkt, lächelnd.

Ho-Sorl wandte sich an Phyllis. »Ich nehme dir auch die Fessel ab.«

Als sie befreit war, rieb sich das Mädchen die Handgelenke. »Jetzt willst du wahrscheinlich mein Versprechen haben, daß ich nicht zu fliehen versuche.«

»Das ist nicht nötig«, erwiderte Ho-Sorl und ging Relius nach. »Du wirst nicht fliehen!«

»Oh!« rief Phyllis und eilte ihm nach.

Ich reichte Elizabeth den Arm, und wir folgten ihnen.

Wir nahmen unsere Plätze auf den Tribünen ein, und Virginia kniete zufrieden neben Relius nieder, der ihr den Arm um die Schultern legte.

So verfolgten sie ein Rennen nach dem anderen und sahen sich dabei oft an.

Nach etwa vier Rennen gab Ho-Sorl Phyllis eine Münze und befahl ihr, etwas Sa-Tarna-Brot für ihn zu kaufen. Ein seltsamer Ausdruck erschien auf Phyllis' Gesicht, ehe sie gehorsam verschwand.

Ich blickte Ho-Sorl an. »Sie wird fliehen wollen«, sagte ich.

Der schwarzhaarige Krieger lächelte. »Natürlich.«

»Wenn es ihr gelingt«, sägte ich, »wird Cernus dich aufspießen lassen.«

»Zweifellos. Aber mach dir keine Sorgen.«

Unauffällig beobachtete er Phyllis, wie sie sich an zwei Verkäufern mit Sa-Tarna-Brot vorbeidrückte. »Siehst du?« fragte er.

»Ja, ich seh's.«

Mit verstohlenem Seitenblick machte Phyllis plötzlich kehrt und verschwand auf einer der Rampen, die nach unten führten.

Ho-Sorl sprang auf und eilte ihr nach. Ich wartete einen Augenblick und wandte mich dann an Elizabeth. »Bleib hier!«

Ich ließ Elizabeth, Relius und Virginia zurück und eilte Ho-Sorl und Phyllis nach. Dreimal klang die Schiedsrichterglocke auf, zum Zeichen, daß die Tarns nun für das nächste Rennen in die Startpositionen gebracht wurden.

Ich hatte mich kaum fünfzig Meter durch die Menge gedrängt, als ich den entsetzten Schrei eines Mädchens hörte. Ich eilte weiter, stieß Männer und Frauen zur Seite und rannte zu der dunklen Passage, in der Phyllis verschwunden war. Von dort hörte ich nun ärgerliche Rufe und den Lärm eines Kampfes.

Ich kam gerade noch rechtzeitig, um einen jungen Mann davon abzuhalten, Ho-Sorl von hinten anzugreifen, der noch mit einem anderen Gegner beschäftigt war. Links und rechts lagen mit blutenden Nasen zwei weitere junge Männer, Phyllis stand mit halb zerrissener Tunika an ein Geländer gefesselt; sie zitterte und atmete heftig. Ho-Sorls Handschelle hielt sie am Geländer fest. Wahrscheinlich war er zwischen die Männer gesprungen, die das Mädchen überfallen wollten, hatte sie zurückgetrieben, Phyllis schnell gefesselt, damit sie nicht wieder davonlaufen konnte, und sich dann in den Kampf gestürzt.

Als ich nun in die Auseinandersetzung eingriff, war der Streit schnell beendet; die vier Gestalten ergriffen mehr oder weniger humpelnd die Flucht. Ho-Sorl löste die Fessel des Mädchens.

»So«, sagte er, »du wolltest also fliehen? Aber wohin wolltest du denn?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Phyllis entsetzt. »Ich weiß es nicht.« Ho-Sorl schlug sie nicht, sondern nahm die Münze auf, die sie verloren hatte und schickte sie noch einmal los. Wir kehrten zu unseren Plätzen auf der Tribüne zurück, und kurz darauf kam auch Phyllis und brachte Ho-Sorl sein Brot und zwei kupferne Tarnmünzen als Wechselgeld.

Ein Rennen folgte auf das andere, und schließlich hörten wir das Zeichen zum elften Rennen, zum letzten des Tages.

»Was hältst du von den Stählernen?« fragte Relius und beugte sich vor.

Die Stählernen waren eine neue Mannschaft in Ar, die die blaugraue Farbe zeigte. Sie hatte jedoch noch keine Anhängerschaft. Tatsächlich hatte noch kein Tarn der Stählernen an einem Rennen teilgenommen.