Ich hatte jedoch gehört, daß dieses Rennen, das elfte des Tages, die Premiere sein sollte. Ich wußte auch, daß die Stählernen im Se'Var einen Tarnstall gemietet und Reiter angeworben hatten. Die Herkunft der Mannschaft war ein wenig seltsam. Es war nicht klar, welches Gold hinter den Leuten stand. Eine Mannschaft zu finanzieren, ist stets eine große Investition. Oft werden Mannschaften gegründet, doch viele Versuche verlaufen erfolglos. Wenn in den ersten beiden Rennperioden nicht viele Rennen gewonnen werden, wird der Mannschaft nach den strengen Vorschriften die Rennlizenz aberkannt. Das investierte Geld unterliegt einem hohen Risiko – es geht ja nicht nur um die Tarnställe, um die Tarns, die Reiter und Tarnzüchter und die sonstigen Angehörigen der Organisation – auch die Renngebühr für neue Mannschaften ist sehr hoch, besonders in den ersten beiden Probejahren. Auch eingeführte Mannschaften müssen mit höheren Gebühren rechnen, wenn ihre letzte Saison sehr schlecht ausgefallen ist. Außerdem ist das auftauchen neuer Mannschaften eine Bedrohung für die alteingesessenen Gruppen, denn jeder Sieg der Neuen gilt als Verlust für alle anderen. Es ist also zu aller Vorteil, daß die Zahl der Mannschaften gering gehalten wird, und so kommt es, daß manche Reiter, auch wenn sie nicht selbst Siegen können, oft zu verhindern suchen, daß Reiter einer neuen Mannschaft gute Rennen fliegen. Außerdem ist es bei alten Mannschaften üblich, keine Reiter einzustellen, die für neue Gruppen gearbeitet haben, obwohl diese Praxis natürlich manchmal bei besonders guten Leuten umgangen wird.
»Was hältst du von den Stählernen?« fragte Relius noch einmal.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich weiß kaum etwas über sie.« Der Unterton in seiner Stimme verblüffte mich. Auch sah mich Ho-Sorl seltsam von der Seite an. Diese beiden jungen Leute gaben mir manches Rätsel auf. Sie hatten sich nicht gerade mit mir angefreundet, doch waren sie mir auch nicht aus dem Weg gegangen.
»Das ist aber ein Vogel!« rief Ho-Sorl, als die niedrigen Plattformen auf die Rennbahn gezogen wurden.
Ich hörte die Menge überrascht aufschreien.
Ich blickte hinab und brachte kein Wort mehr heraus. Wie angewurzelt saß ich auf meinem Platz. Der Atem wollte mir in der Kehle stocken.
Durch das Stadion gellte plötzlich, die anderen Tarns aufscheuchend, der schrille, herausfordernde Schrei eines Tarn, eines Riesenvogels, eines schwarzgefiederten Vogelmonstrums, eines Prachtexemplars dieses wildesten, schönsten Raubtiers der Gegenerde.
»Das ist ja nicht einmal ein Renntarn«, sagte ein Mann in der Nähe.
Ich war aufgestanden und starrte wie betäubt auf die Wagen, auf die Vögel, die nun auf die Stangen gehoben wurden.
»Es heißt«, sagte Relius, »daß der Vogel aus Ko-ro-ba kommt.«
Wortlos stand ich auf, und mir wurde schwach. Hinter mir hörte ich Virginia und Phyllis laut aufschreien. Ich wandte mich um und sah, daß Ho-Sorl je eine Hand im Haar der beiden Mädchen vergraben hatte.
»Sklavinnen«, sagte er. »Ihr werdet nicht, von dem sprechen, was ihr heute seht.«
»Nein, Herr!« sagte Virginia.
»Nein, nein!« versicherte Phyllis.
Ich wandte mich nach links, ging an den Sitzen entlang, bis ich zu einer schmalen Treppe kam, die nach unten führte.
Ich hörte Relius hinter mir sagen: »Nimm das!« Er schob mir etwas in die Hand, etwas, das sich wie ein zusammengefaltetes Ledertuch anfühlte. Am Geländer der vordersten Reihe blieb ich stehen.
Ich war noch etwa vierzig Meter von dem Tier entfernt.
Als suchten sie nur mich in der Menge, in all dem Durcheinander aus Gesichtern und Farben, aus Lärm und Geschrei, richteten sich die glitzernden Augen des Tarn auf mich. Diese bösartigen schwarzen Augen, rund und schimmernd, ruhten auf mir. Die Federkrone auf dem Kopf schien sich zu heben, die Muskeln des gewaltigen Körpers schienen sich anzuspannen. Die langen schwarzen Schwingen, breit und gewaltig, öffneten sich und schlugen Luft, erzeugten einen Sturm, der Schmutz und Sand hochwarf, stießen fast den kleinen Tarnwächter vom Wagen. Dann warf der Tarn den Kopf zurück und kreischte erneut auf, wild, unheimlich, ein Schrei, der einem Larl Entsetzen eingeflößt hätte, doch ich fürchtete ihn nicht. Ich sah, daß die Krallen des Tarn mit Stahl versetzt waren. Er war natürlich ein Kriegstarn.
Ich blickte auf das Lederknäuel in meiner Hand, öffnete es und setzte die Haube auf, die mein Gesicht verhüllte. Dann sprang ich über das Geländer und näherte mich dem Vogel.
»Sei gegrüßt«, sagte ich zu Mip und stieg auf die Plattform.
»Du bist Gladius aus Cos«, sagte er.
Ich nickte. »Aber was soll das alles?« fragte ich.
»Du reitest für die Stählernen«, antwortete er.
Ich hob den Arm und berührte den Schnabel des mächtigen Vogels. Ich zog ihn heran und drückte meinen Kopf gegen das Gefieder unter dem runden schimmernden Auge – und unter der Lederhaube begann ich zu weinen. »Es ist lange her, Ubar des Himmels«, sagte ich. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«
Wie aus weiter Ferne drang das Lärmen von Menschen an mein Ohr, knappe Befehle, das Kreischen von Sattem, die bestiegen wurden.
Ich spürte Mip neben mir.
»Vergiß nicht, was ich dir im Stadion der Tarns beigebracht habe«, sagte er.
»O nein«, sagte ich.
»Steig auf«, befahl Mip.
Ich kletterte in den Tarnsattel, und als Mip die Fußfessel des Tiers entfernte, sprang es auf die Startstange.
15
»Kajuralia!« rief das Sklavenmädchen und schüttete einen Eimer warmes Wasser über mir aus. Sie warf mir einen Handkuß zu und entfloh.
Ein Baumeister, dessen Robe von allerlei Fruchtgeschossen befleckt war, eilte hastig vorbei. »Bei Kajuralia sollte man zu Hause bleiben.«
Ich duckte mich gerade noch rechtzeitig, um einer Larmafrucht zu entgehen, die an der Wand des Zylinders hinter mir zerplatzte.
An der nächsten Straßenecke klirrten Töpfe, gefolgt von wütendem Geschrei, dann klang das Gelächter von Mädchen auf.
Ich kam zu dem Schluß, daß ich am besten sofort in das Haus des Cernus zurückkehrte.
Ich wandte mich in eine andere Straße, stieß dort jedoch auf eine Gruppe aus fünfzehn oder zwanzig Mädchen, die lachend über mich herfielen und mich mit einer Halsschlinge fesselten.
»Gefangener!« riefen sie.
Die Schlinge zog sich unangenehm zusammen, als ich weitergezerrt wurde. Ein schwarzhaariges Mädchen hatte das Kommando an sich gerissen.
»Sei gegrüßt, Krieger«, sagte sie. Drohend zog sie an dem Seil. »Du bist nun Sklave der Mädchen aus der Straße der Töpfe.«
»Was tun wir mit dem Gefangenen?« wurde gefragt.
Verschiedene mehr oder weniger unangenehme Vorschläge wurden laut. Schließlich brachte man mich in einen großen Raum, in dem sich zahlreiche Körbe und Kisten befanden. Es handelte sich offenbar um eine Art Lagerraum. An einer Wand standen zwei Männer, ebenfalls gefesselt, ein Krieger und ein gutaussehender junger Tarnzüchter.
»Kajuralia«, sagte der Krieger mit schiefem Lächeln.
»Kajuralia«, erwiderte ich säuerlich.
»Kein schlechter Fang«, sagte das schwarzhaarige Mädchen, und die anderen Sklavinnen lachten. Einige sprangen auf und nieder und klatschten in die Hände.
»Jetzt werdet ihr uns dienen, Sklaven!« verkündete die Anführerin.
Wir wurden freigelassen und bekamen kleine Krüge in die Hand gedrückt. Dann mußten wir den Mädchen verdünnten Ka-la-na-Wein servieren, den sie wahrscheinlich irgendwo gestohlen hatten.
Als ich mich mit meiner Schale der Anführerin näherte, blitzte sie mich an und sagte: »Auf die Knie!«
Die anderen Mädchen schienen den Atem anzuhalten.
Mit gesenktem Kopf näherte ich mich der langbeinigen Anführerin der Bande, hielt ihr die Weinschale hin, ergriff, als sie die Hände danach ausstreckte, ihre Handgelenke und zog sie an mich. Die anderen kreischten auf, und das Sklavenmädchen versuchte, sich zu befreien, doch mit schneller Bewegung warf ich sie mir über die Schulter, eilte mit ihr in einen Nebenraum und verriegelte die Tür. Ich hörte die wütenden Schreie der anderen und das Hämmern ihrer Fäuste an der Tür, doch der Lärm ließ schnell nach und wurde von anderen entsetzten Lauten abgelöst, als seien Sklavenhäscher über sie hergefallen. Ich löste meine restlichen Fesseln und lauschte. Nach etwa fünf Ehn war auf der anderen Türseite nur noch leises Schluchzen zu hören.