Vorsichtig öffnete ich die Tür und stellte zu meiner Freude fest, daß der Tarnzüchter und der Krieger die Überraschung meines Angriffs zu nutzen gewußt und die anderen Mädchen aus der Straße der Töpfe überwältigt hatten.
Ich brachte das schwarzhaarige Mädchen in den großen Lagerraum zurück.
»Kajuralia!« sagte der Krieger fröhlich und überprüfte noch einmal die Fesseln aller Gefangenen.
»Nehmt euch vor den Mädchen aus der Straße der Töpfe in acht«, erwiderte ich seinen Gruß.
Niedergeschlagen musterte mich die schwarzhaarige Schönheit. »Ich bringe dir Wein, Herr«, sagte sie.
»Nein.«
Sie starrte mich ratlos an.
»Nein«, sagte ich. »Ich gebe dir Wein.«
Sie riß ungläubig die Augen auf, als ich eine Weinschale nahm, sie füllte und ihr das Getränk reichte. Ihre Hand zitterte, als sie trank.
Ich nahm ihr die Schale schließlich ab, warf sie zur Seite und nahm das Mädchen in die Arme.
Der Krieger, der Tarnzüchter und ich verbrachten den größten Teil des Tages bei den Mädchen aus der Straße der Töpfe, die mit uns Kajuralia, den Ferientag der Sklaven, feierten. Die meisten zivilisierten Städte des erforschten Gor kennen diesen Feiertag, wenn er auch zu verschiedenen Zeiten begangen wird; in Ar fiel er stets auf den letzten Tag des fünften Monats, den Tag vor dem Liebesfest.
Es war ein seltsamer und ereignisreicher Sommer gewesen, der für mich manche phantastischen Aspekte hatte. Woche um Woche wurde Ar wilder und gesetzloser. Herden zogen durch die Straßen, offenbar unbehelligt von den Kriegern, offenbar außerhalb dem Zugriff des Gesetzes. Zur gleichen Zeit nahm das öffentliche Interesse an den Rennen und den Spielen immer mehr zu, fast als wollte man sich von den Ungesetzlichkeiten ablenken. Es war eine Art böses Fieber.
Das Duell um die Spitzenposition beim Rennen fand zwischen drei Mannschaften statt – zwischen den Grünen, den Gelben und den Stählernen, der neuen Mannschaft. Die Erfolge und der verblüffende Aufstieg der Stählernen hatten mit dem ersten Tag der Rennen ihren Anfang genommen, als beim elften Wettbewerb Gladius aus Cos auf einem Riesentarn das starke Feld klar besiegte. Sein riesiger Vogel war kein Renntarn, doch er bewegte sich auf der Bahn mit einer Schnelligkeit und Sicherheit und einer Flugkraft:, die alle Kontrahenten weit abschlug.
Das Tier hatte noch kein einziges Rennen verloren, und auch viele andere Tarns der Stählernen waren keine gezüchteten Renntarns, sondern Kriegstarns, von unbekannten Reitern gelenkt, geheimnisvollen Gestalten, die angeblich aus fernen Städten kamen. Die neue Mannschaft, die die etablierten Gruppen Ars herausforderte, gab ein Schauspiel ab, das die Phantasie der Bürger anfeuerte. Tausende von Anhängern, die aus diesem oder jenem Grunde enttäuscht von ihrer Mannschaft waren oder etwas Neues suchten oder an dem großen Kampf teilnehmen wollten, nähten sich das blaugraue Tuch auf ihre Kleidung, den Mannschaftsstreifen der Stählernen.
Unter der entstellenden Ledermaske hatte ich immer wieder den großen schwarzen Tarn für die Stählerne Mannschaft geritten. Der Name Gladius aus Cos hatte in der Stadt einen guten, wenn auch geheimnisvollen Klang; niemand kannte das Aussehen dieses Mannes.
Ich ritt für die Stählernen, weil sich mein Tarn dort befand, und weil Mip, den ich mochte, das so wünschte. Ich wußte, daß ich mich auf gefährliche Spiele einließ, doch ich machte mit, auch wenn ich das Endziel nicht recht begriff. Relius und Ho-Sorl halfen mir oft. Ich begann zu vermuten, daß sie nicht zufällig im Haus des Cernus aufgetaucht waren. Nach jedem Rennen besprach Mip in allen Einzelheiten das Rennen mit mir und gab mir wertvolle Ratschläge, auch über meine nächsten Konkurrenten, über die Angewohnheiten der Reiter und Eigenarten der Vögel, die gegen mich antraten.
Gladius aus Cos wurde in seinem Ruhm nur noch von dem Schwertkämpfer Murmilius übertroffen, der sich bei den Kämpfen im Stadion der Klingen wieder hervortat. Seit Anfang E n'Kara hatte er bei hundertundzwanzig Kämpfen gesiegt, ohne einen Gegner zu töten, so sehr die Menge das auch verlangt hatte. Einige der besten Schwertkämpfer der Stadt, sogar aus Hoher Kaste, fühlten sich herausgefordert und waren begierig, den geheimnisvollen Murmilius zu besiegen, hatten sich gegen ihn in die Arena gewagt, doch jeden dieser kühnen Herren hatte er mit größerer Verachtung behandelt als seine sonstigen Gegner niedrigen Standes, hatte mit ihnen gespielt und dann spielerisch ihren Schwertarm verletzt, so daß manche von ihnen nie wieder kämpfen würden. Verurteilte Verbrecher und Männer aus niederer Kaste, die um Geld oder Freiheit kämpften, behandelte er mit der groben Höflichkeit, die zwischen Schwertbrüdern üblich ist. Das Publikum geriet bei jedem seiner Kämpfe vor Begeisterung außer Rand und Band Inzwischen begannen sich die Intrigen des Cernus mit den Ereignissen des Frühlings und Frühsommers zu entwickeln. In einer Pagataverne sah ich einmal einen Mann, in dem ich einen der Wächter aus den Gehegeräumen im Hause des Cernus wiedererkannte. Jetzt jedoch trug er die Tunika eines Lederarbeiters und erklärte, daß die Stadt als Administrator nicht nur einen Baumeister, sondern einen Krieger benötigte, damit das Gesetz wieder Gewicht erhalte.
»Aber welchen Krieger stellst du dir vor?«
»Cernus – aus dem Haus des Cernus«, sagte der verkleidete Wächter.
»Er ist doch aber Sklavenhändler.«
»Er weiß, was Ar braucht. Er wäre besser als ein Hinrabier.«
»Er hat viele Rennen finanziert«, gab ein Weinhändler zu.
»Und das Haus des Cernus hat mir oft den Eintritt bezahlt«, bemerkte ein Müller.
»Ich würde meinen«, sagte der verkleidete Wächter, »es könnte Ar schlechter ergehen als einen solchen Mann auf dem Thron zu haben.«
Mehrere am Tisch nickten zustimmend.
»Ar steht im Krieg mit sich selbst«, sagte ein Schriftgelehrter.
»In diesen Tagen brauchen wir vielleicht wirklich einen Ubar mit dem Schwert.«
»Das meine ich ja«, sagte der Wächter. »Cernus sollte Ubar von Ar werden!«
Die Männer am Tisch begannen zu diskutieren. »Bringt Paga!« rief der Verkleidete und winkte eine Sklavin herbei, die einen Großen Pagakrug trug. Ich wußte daß das Geld, das hier so großzügig ausgegeben wurde, im Büro des Caprus sorgfältig gezählt und ausbezahlt worden war. Das hatte mir Elizabeth erzählt. Ich wandte mich um und ging, als die Männer am Tisch unter der Anleitung des Wächters ihre Schalen auf das Wohl Cernus' aus dem Hause Cernus erhoben. »Auf daß Cernus, aus dem Hause Cernus, Ubar in Ar werde.«
Als ich die Taverne verließ, erblickte ich einen Mann, der ebenfalls gegangen war. Ich drehte mich um und sah mich Ho-Tu gegenüber.
»Ich dachte, du trinkst keinen Paga«, sagte ich.
»Tue ich auch nicht«, sagte Ho-Tu.
»Wie kommt es, daß du dann in einer Pagataverne bist?« fragte ich.
»Ich habe gesehen, wie Falarius das Haus verließ – in der Verkleidung eines Lederarbeiters. Da bin ich neugierig geworden.«
»Sieht so aus, als handelte er im Interesse des Cernus«, sagte ich.
»Ja.«
»Hast du gehört, wie sie von Cernus als möglichem Ubar dieser Stadt sprachen?«
Ho-Tu sah mich an. »Cernus«, sagte er, »dürfte nicht Ubar sein.«
Ich zuckte die Achseln.
Ho-Tu machte kehrt und verschwand zwischen den Häusern.
Während die Männer Cernus' in den Pagatavernen ihre Arbeit verrichteten und ebenso in den Straßen, auf den Märkten und Rampen und Tribünen bei den Spielen und Rennen, übten das Gold und der Stahl des Cernus offenbar ihren Einfluß auch anderweitig aus. Seine Kredite an die Hinrabier, eine reiche Familie, doch offenbar unfähig, die ständige finanzielle Last der Spiele und Rennen zu tragen, wurden kleiner und hörten schließlich ganz auf. Mit großer Zurückhaltung, ein Bedürfnis vorschützend, drängte Cernus bald auf die Rückzahlung kleiner, doch wichtiger Teile seiner Kredite. Da diese aus den Privatschatullen der Hinrabier bezahlt werden konnten, verlangte er schließlich immer größere Zahlungen, forderte immer größere Teile seiner Außenstände zurück.