Ich pfiff vor mich hin. Die Dinge entwickelten sich gut. Ich bedauerte nur, daß ich noch nicht in Erfahrung gebracht hatte, wer den Krieger aus Thentis erstochen hatte.
Cernus kehrte gelegentlich in sein Haus zurück, um dort an der Abendtafel zu speisen und – wie immer – mit Caprus ein Spielchen zu machen, um sich in den Bewegungen der roten und gelben Spielfiguren auf dem großen Brett zu verlieren.
Es war der Abend der Kajuralia.
Lebhaftes Treiben herrschte in der Halle des Hauses, und obwohl es noch früh war, flössen Paga und Ka-la-na in Strömen.
Ho-Tu warf angewidert den Löffel hin und grinste mich schief an.
Sein Brei war so sehr versalzen worden, daß er nicht weiteressen mochte; mürrisch starrte er auf das nasse Gemisch aus Weizenkeimen und Salz.
»Kajuralia, Herr«, sagte Elizabeth Cardwell zu Ho-Tu und lächelte ihn süß an. Ho-Tu packte sie am Arm.
»Was ist los, Herr?« fragte das Mädchen unschuldig.
»Wenn ich annehmen müßte, daß du meinen Brei versalzen hast«, knurrte der Oberaufseher, »müßtest du die Nacht über auf einem Sklavenstab sitzen!«
»So etwas würde mir nie einfallen«, protestierte Elizabeth mit weit aufgerissenen Augen.
Ho-Tu knurrte. Dann grinste er. »Kajuralia, Kleine«, sagte er.
Elizabeth lächelte, wandte sich ab und setzte ihre Arbeit fort.
»Kleine Schönheit!« rief Relius. »Ich möchte bedient werden!«
Virginia Kent eilte mit ihrem Krug Ka-la-na herbei.
»Was ist los, meine Kleine?« fragte Relius, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte.
»Ich werde morgen verkauft«, sagte sie betrübt.
»Vielleicht findest du einen freundlichen Herrn, kleine Sklavin.«
Das Mädchen legte den Kopf an seine Schulter und weinte. »Ich möchte nicht verkauft werden, wenn Relius mich nicht kauft.«
»Möchtest du wirklich meine Sklavin sein?«
»Ja!«
»Aber du bist mir leider zu teuer«, sagte Relius und drückte sie an sich.
Ich wandte mich ab.
An der Sandfläche knieten mehrere Sklavenmädchen und klatschten rhythmisch in die Hände. In der kleinen Arena vollführte ein betrunkener Wächter einen Schiffstanz, wobei seine Beine auf plastische Weise das Schwanken eines Bootes nachmachten; seine Hände bewegten sich, als hole er ein Seil, als spleiße er es oder mache komplizierte Knoten. Ich wußte, daß der Mann aus Port Kar stammte. Er war ein Halsabschneider, doch nun standen ihm Tränen in den Augen, als er herumhüpfte. Es heißt, daß Männer, die einmal die Thassa gesehen haben, nie davon loskommen, daß jene, die dem Meer dennoch den Rücken kehren, niemals wieder wirklich glücklich werden. Einen Augenblick später sprang ein anderer Wächter vor und begann einen Tanz der Larljäger, gefolgt von zwei oder drei anderen, die mit ihm pantomimisch eine Jagd darstellten.
»Bring mir Wein«, wandte sich Ho-Sorl an Phyllis Robertson, obwohl sie sich gerade auf der anderen Seite des Raums aufhielt.
Ich hörte Caprus mit staunender Stimme sagen: »Ich schlage deinen Heimstein in drei Zügen!«
Cernus grinste und schlug dem Schriftgelehrten eine Hand auf die Schulter. »Kajuralia!« lachteer. »Ka juralia!«
»Kajuralia«, murmelte Caprus etwas deprimiert und machte seinen ersten Zug, allerdings ohne rechten Schwung.
»Was ist denn das?« rief Ho-Sorl entrüstet.
»Boskmilch«, informierte ihn Phyllis. »Die ist gut für dich.«
Ho-Sorl brüllte wütend auf.
»Kajuralia«, sagte Phyllis und wandte sich ab.
Ho-Sorl sprang über den Tisch und verschüttete dabei die Milch. Er warf sich das Mädchen über die Schulter. Phyllis kreischte auf und begann mit den Fäusten seinen Rücken zu bearbeiten.
Ho-Sorl schleppte sie zu Ho-Tu.
»Ich zahle den Unterschied zwischen ihrem Erlös als Sklavin von Weißer Seide und von Roter Seide!«
Ho-Tu tat, als überlegte er.
»Nein! Nein!« schrie das Mädchen.
»Morgen abend bist du vielleicht sowieso schon von Roter Seide!«
»Wo willst du sie zu Roter Seide machen?« wollte Ho-Tu wissen.
»Hier in der Sandarena!«
Phyllis begann zu jammern.
»Ein interessanter Vorschlag – aber meinetwegen.«
Ho-Sorl trug die kreischende Phyllis Robertson in das Sandviereck und ließ sie zu Boden fallen. Dann stand er über ihr, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie stützte sich auf die Ellbogen und starrte ihn entsetzt an.
Er lachte und beugte sich vor, und sie schrie auf und versuchte zu fliehen. Doch er drückte sie wieder zu Boden.
Seine Hand tastete sich zu dem Knoten ihrer Sklaventunika an der Schulter, und sie erschauderte und wandte den Kopf.
Doch anstatt den Knoten zu lösen, hob er das Mädchen hoch und setzte sie auf einen Stuhl, wo sie ihn verständnislos und verwundert anstarrte.
»Kajuralia!« lachte Ho-Sorl und kehrte zu seinem Platz zurück.
Ho-Tu lachte jetzt womöglich am lautesten und hämmerte mit der Faust auf die Tischplatte. Sogar Cernus blickte von seinem Spiel auf und lächelte.
Phyllis rappelte sich wie betäubt auf.
»Ihr seid ja grausam!« rief Virginia Kent.
Wütend nahm sie Ho-Tus Schale zur Hand und klatschte ihm seinen Brei auf den Kopf.
»Kajuralia«, sagte sie.
Relius sprang entsetzt auf.
Ho-Tu erstickte das Lachen in der Kehle.
Plötzlich spürte ich, wie es auf meinem Kopf feucht wurde und mir Wein über Stirn und Nacken rann. Elizabeth hatte ihren Krug über mir ausgeleert. »Kajuralia, Herr«, sagte sie und marschierte hoch aufgerichtet davon.
Nun begann Ho-Tu heftig zu lachen, daß ihm das Wasser in die Augen trat. Er nahm die Schale vom Kopf und wischte sich das Gesicht mit dem Unterarm ab. Dann begann er mit den Fäusten auf die Tischplatte zu trommeln. Andere fielen in das Gelächter ein, bis schließlich der ganze Saal widerhallte.
Ich trocknete mich ab und folgte Elizabeth in eine Ecke des Raums, wo sie ihren Weinkrug wieder füllte.
»Hast du Ho-Tu den Brei versalzen?«
»Möglich«, sagte sie.
»Heute nacht sind wir zum letzenmal beisammen, paß nur auf!«
Sie lachte. »Nein, das ist vorbei! Heute schon komme ich in die Wartezellen. Morgen werden wir versteigert.«
Ich stöhnte.
»Freust du dich schon darauf? Auf die Lichter, die Sägespäne, die Gebote?«
»Ich möchte wissen, welchen Preis ich bringe. Ich hoffe nur, ich bekomme einen hübschen Herrn.«
Ich küßte sie.
Wir hörten Ho-Tus Stimme durch den Saal dröhnen: »Die achtzehnte Ahn ist vorbei! Sklaven in die Zellen!«
Rufe der Enttäuschung klangen auf.
»Vielleicht sehen wir uns schon morgen abend wieder«, sagte sie.
Ich bezweifelte das. Der Agent der Priesterkönige wollte sie wahrscheinlich sofort aus der Stadt bringen. Doch erst wenn meine Arbeit mit Caprus beendet war, konnte ich ihr nachreisen. Elizabeth löste sich von mir und folgte der Gruppe von Sklavinnen, die langsam den Saal verließ.
Ich sah mich um. Nur noch Wächter und Bedienstete waren zurückgeblieben. Es war wohl am besten, wenn ich gleich in mein Quartier zurückkehrte. Elizabeth würde mir fehlen.
Plötzlich traten zwei Wächter ein, die eine Frau zwischen sich führten.
Ich sah, wie Ho-Tu aufblickte und erbleichte. Seine Hand berührte die Hakenklinge an seinem Gürtel.
Die Frau wurde vor Cernus' Tisch gestoßen; die Hände waren ihr auf dem Rücken gefesselt, und ihr wirres Haar hing ihr ins Gesicht. Sie trug keinen Sklavenstab mehr.
Ho-Tu sprang auf. »Laßt sie in ihr Quartier zurückkehren. Sie hat uns gut gedient. Sie ist die beste Trainerin in Ar.«
»Sie soll daran erinnert werden«, sagte Cernus eisig, »daß sie nur ein Sklavin ist.«