Söller.
Desto schlimmer!
Schlägt's nicht am Herzen an, so sieht das Frauenzimmer
Gern, daß man sonst kuriert.
Sophie, die sich auf Alcestens Arm lehnt.
Mein Freund!
Söller beängstigt.
Bald geht's zu weit!
Zum Parterre.
Es ist mein großes Glück, daß ihr da unten seid;
Da schämen sie sich noch.
Alcest umarmt Sophien.
Nein! Er wird zu verwegen!
Ich führ ihm gern an Kopf, hätt er nur keinen Degen.
Sophie ängstlich.
Grausamer, laß mich gehn!
Söller außer sich.
Verflucht! Wie sie sich ziert!
Grausamer! Laß mich gehn! Das ist kapituliert.
Pfui, schämen Sie sich doch! Die abgedroschne Leier,
Wenn's schon bergunter geht! Wer gibt mir einen Dreier
Für ihre Tugend?
Sophie.
Freund, noch diesen letzten Kuß,
Und dann leb wohl!
Alcest.
Du gehst?
Sophie.
Ich gehe, denn ich muß.
Alcest.
Du liebst mich, und du gehst?
Sophie.
Ich geh, weil ich dich liebe.
Ich würde einen Freund verlieren, wenn ich bliebe.
Es strömt der Klagen Lauf am liebsten in der Nacht,
An einem sichern Ort, wo nichts uns zittern macht.
Man wird vertraulicher, je ruhiger man klaget;
Allein für mein Geschlecht ist's stets zu viel gewaget.
Die Liebe nennet sich zuerst Vertraulichkeit.
Ein schmerzerweichtes Herz in dieser sichern Zeit
Versagt dem Freunde nicht den Mund zu Freundschaftsküssen.
Ein Freund ist auch ein Mensch.
Söller.
Sie scheint es gut zu wissen.
Sophie.
Leb wohl!
Alcest.
Vergiß es nie, daß ich der Deine sei.
Söller erholt.
Das Ungewitter zieht mir nah am Kopf vorbei.
Sophie geht ab. Alcest begleitet sie zur Haupttüre hinaus.
Fünfter Auftritt
Söller im Alkoven.
O Tod! Er geht mit ihr! Weh mir, ich bin verloren!
Heraus aus deinem Nest!
Er wagt sich halb aus dem Alkoven und horcht.
Ich bin auf beiden Ohren
Entweder wirklich taub — Sie ist doch noch nicht fort!
Und dennoch rührt sich nichts, ich höre nicht ein Wort.
Wie wär es, wenn ich mich ein bißchen näher machte?
Er wagt sich langsam an die große Türe.
Sie reden noch! Ganz leis! — Zum Henker!
Er meint, es käme jemand, und fährt wie ein Blitz in den Alkoven.
Sachte! Sachte!
Es kömmt kein Mensch.
Er will wieder heraus.
Versuch's!
Er traut nicht.
Das ist zu viel gewagt.
In der äußersten Karikatur von Verlegenheit.
Was fang ich an! Ich bin ein Hahnrei!
Er rennt mit dem Kopf wider die Wand.
Ah! es ragt
An meiner Stirne schon das Zeichen meiner Würde
Hervor. Was ist zu tun?
Er schlägt auf die Tasche.
Komm, meine teure Bürde!
Komm, rette dich mit mir, und leite mich zum Wein,
Solang man trinken kann, läßt sich's noch glücklich sein.
Der wohlgekrönte Stand ist keiner von den bösten;
Als Hahnrei kann man sich eh als am Galgen trösten.
Eilig durch die Nebentüre fort.
Sechster Auftritt
Alcest.
Ihr großen Geister sagt, daß keine Tugend sei
Und Liebe Sinnlichkeit und Freundschaft Heuchelei,
Daß man kein einzig Herz mit festen Mauern finde,
Daß nur Gelegenheit die Stärksten überwinde,
Daß es, wenn man in uns das Laster je vermißt,
Beim Jüngling Blödigkeit und Furcht beim Mädchen ist.
Es zittert, spottet ihr, die unerfahrne Jugend.
Doch ist dies Zittern nicht selbst ein Gefühl von Tugend?
Ist diese Sympathie, dies schwimmende Gefühl,
Dem man sich schwer entreißt, nichts als ein Fibernspiel?
Wie süß verträumt ich nicht die jugendlichen Stunden
Einst in Sophiens Arm. Ich hatte nichts empfunden,
Bis mir der Druck der Hand, ihr Blick, ihr Kuß entdeckt,
Wie's einem Neuling ist, wenn er die Wollust schmeckt.
Uns führte keine Wahl mit klugem Rat zusammen,
Wir sahn einander an, und standen schon in Flammen.
Bist du der Liebe wert, ward da nicht lang gefragt;
Es war erst halb gefühlt, und war schon ganz gesagt.
Wir lebten lange so die süßen Augenblicke;
Zuletzt verschlug es sich. Ich fluchte dem Geschicke,
Und schwur, daß Freundschaft, Lieb und Zärtlichkeit und Treu
Der Maskeradenputz verkappter Laster sei.
Und sucht in dem Gewühl der körperlichen Triebe
Den Tod des Vorurteils, von Tugend und von Liebe.
Zuletzt verhärteten mich Wollust, Stolz und Zeit;
Ich glaubte mich geschützt vor aller Zärtlichkeit.
Stolz kehrt ich zu Sophien. Wie schön war sie geworden!
Ich stutzte.»Ha, ihr Mann ist doch vom großen Orden
Schon lange Ritter! Doch sie hat der Freunde mehr.
Es sei drum! Wenn du kommst, so macht sie dir's nicht schwer.
Ihr Sperren rührt mich nur, daß ich die Nase rümpfe:
Gnung! Das gewohnte Spiel vom Faun und von der Nymphe.»
So dacht ich, sah sie oft, allein da fühlt ich was,
Ihr liederlichen Herrn, erklärt mir, was ist das?
Das hier mich immer schilt, hier immer für sie redet,
Mir alle Kühnheit raubt, und jeden Anschlag tötet.
Sie nennt mich ihren Freund, eröffnet mir ihr Herz;
Ich schwur die Freundschaft ab, doch teil ich ihren Schmerz.
Sie sagt, sie habe mich als alle Menschen lieber;
Ha! denk ich, Lieb ist Tand, und freu mich doch darüber.
Sie liebt mich und verläßt doch ihre Tugend nie;
Die Tugend glaub ich nicht, und doch verehr ich sie.
Heut hofft ich ziemlich viel und wagte nichts zu nehmen.
So bös und doch so feig! Ich muß mich wahrlich schämen.
Entweder nennet mich Weib! Tückisch ohne Kraft!
Wo nicht, so bin ich noch nicht völlig lasterhaft.
Was ist's? was treibt dich an, ihr Leben zu versüßen?
Ist's Lieb? Ist's Eigennutz? Gedenkst du zu genießen,
Und willst es kaufen? Nein! Ich weiß, es fehlt ihr Geld,
Und sie vertraut mir's nicht, das ist's, was mir gefällt.
Ich sinne jetzo nur auf ein versteckt Geschenke;
Ich habe just noch Geld. Gut, daß ich gleich dran denke.
Ich muß es zählen.
Er öffnet die Schatulle.
Was! Was seh ich! Teufel! Leer!
Von hundert Spezies kaum fünfundzwanzig mehr!
Seit heute nachmittag! Wer konnte sie entwenden?