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Als alles still war, schlich sich Helene in die Küche, sie wusch ihre Hände, setzte Wasser auf und mischte in der Emailleschüssel das heiße mit dem kalten, ein Schuss Essig, sie hockte sich über die Schüssel und wusch sich. Ein wenig Seife sollte nicht schaden, vielleicht etwas Jod? Mit der hohlen Hand schöpfte sie das Wasser und tastete nach ihren Lippen, ihrer Öffnung, den zarten und glatten Falten, spülte sich aus, spülte seins aus sich heraus. Weiches Wasser, hartes Wasser. Sie wusch sich lange, bis das Wasser kalt war, dann wusch sie am Ausguss ihre Hände.

Zurück im Bett blieben die Füße kalt. Sie konnte ohnehin nicht schlafen, sie stand gerne auf und bereitete das Frühstück vor. Sie hatte Eier gekauft, Wilhelm mochte Eier, sie durften nur nicht zu weich sein. Ob er mit ihr sprechen würde? Was würde er sagen?

Die erste halbe Stunde, in der Wilhelm aufgestanden war, sich gewaschen, rasiert und gekämmt hatte, sah es aus, als würde er nicht mehr mit ihr sprechen, vielleicht nie mehr. Helene überlegte, welche Zettel sie ihm in Zukunft schreiben würde und er ihr. Sie konnten die Gebärdensprache üben. Er würde ihr Zettel schreiben, auf denen stand, was sie für ihn erledigen sollte und welches Abendessen er sich wünschte. Sie würde ihm schreiben, warum sie keinen Aal bekommen hatte und dass die Fischfrau ihre Schollen heute im Angebot hatte. Helene konnte gut schweigen, er würde schon sehen.

Wilhelm hatte sich an den Tisch gesetzt und einen Schluck Kaffee probiert. Ist das Bohnenkaffee? Das sagte er plötzlich und sie nickte. Sie wusste, dass er kaum etwas so sehr wie Bohnenkaffee schätzte. Bohnenkaffee kam unmittelbar nach den Automobilen, gewiss noch vor den Funkmasten der Schiffe, nur mit dem Rang der Ruderer und Skispringer war sie sich etwas unsicher.

Zur Feier des Tages, dachte ich. Der erste Morgen in der Ehe.

Guter Gedanke, sagte er, nickte mit gespielter Anerkennung und musste lächeln. Er lächelte für sich, er hob den Blick nicht zu ihr.

Riecht es nach geröstetem Brot, oder täusche ich mich?

Du täuschst dich nicht, sagte Helene, setzte einen Schritt zur Seite, öffnete die Klappe des Rösters und reichte ihm das schwarzbraune Brot.

Vielleicht setzt du dich?

Helene gehorchte, sie zog ihren Stuhl zurück und setzte sich ihm gegenüber.

Da hab ich mir was eingefangen, stellte Wilhelm fest. Die Katze im Sack. Er schüttelte den Kopf. Keinen Begriff von Ehre. Und dafür habe ich mir die Hände schmutzig gemacht, Papiere gefälscht, dir eine verfluchte Identität besorgt. Wilhelm schüttelte den Kopf und biss in das geröstete Brot.

Helene ahnte jetzt, welche Schmach er empfinden musste.

Wir versuchen es trotzdem. Helene sagte den Satz, in der Hoffnung, dass ihm das Jungfräuliche bald lächerlich erschien.

Wilhelm nickte. Hörner aufsetzen lasse ich mir nicht, damit das klar ist. Er hielt ihr die Tasse entgegen, damit sie ihm Milch eingoss.

Wilhelm hatte ihr die Papiere besorgt, er hatte sich strafbar gemacht, sie konnten jetzt einander fürchten, jeder konnte den anderen auffliegen lassen. Zum ersten Mal begriff Helene, was sie beide grundsätzlich unterschied. Er gehörte zur Gesellschaft, er war wer, er hatte sich etwas aufgebaut. Wilhelm hatte etwas zu verlieren, sein Ansehen, seine Ehre, zu der gewiss die Ehrbarkeit seiner Frau zählte, seinen Glauben, seine Vereinbarungen mit einem Volk, einer deutschen Nation, zu der sein Blut gehörte und der er mit seinem Blut dienen wollte.

Wir könnten heute hinausfahren nach Swinemünde, Helene begann den Satz aus lauter Schreck, weil sie fürchtete, dass Wilhelm sonst erkennen könnte, welche Gedanken sich in ihr ausbreiteten, wie Entsetzen sie erfasste und Scham und nichts.

Tu mir einen Gefallen, Alice, schone mich heute. Ich weiß, du liebst das Meer, den Hafen. Sag bloß, die Rundfahrt gestern genügte nicht.

Die Nacht war nicht leicht, sagte Helene. Sie wollte Verständnis zeigen.

Vergessen. Die Nacht ist vergessen, hörst du? Wilhelm kämpfte um eine feste Stimme und Helene entdeckte Tränen in seinen Augen. Es tat ihr leid. Ich wusste nicht, dass…

Was? Was wusstest du nicht?

Helene konnte es ihm nicht sagen. Sie schämte sich für ihre Unbesonnenheit. Keinen Augenblick war ihr der Gedanke gekommen, dass seine Liebe auf ihre Unschuld bauen könnte.

Ich war schon mit Frauen zusammen. Aber die Ehe ist, Wilhelm schüttelte den Kopf ohne Helene anzusehen, ist etwas anderes. Wilhelm biss sich auf die Lippe, er ahnte wohl, dass sich darüber nachträglich kein Konsens mehr finden ließ. Es gab heute Nacht Augenblicke, da warst du wie ein Tier, eine wilde Katze.

Die Träne löste sich aus seinem Auge. Aus dem Auge eines Mannes, den Helene noch nie weinen gesehen hatte.

Sie hätte ihn umarmen wollen, aber welchen Trost hatte sie?

So warst du wohl schon mit vielen? Jetzt blickte Wilhelm sie abfällig an, sie konnte seinen Blick nur schwer ertragen, sein Blick wurde weicher, ein Flehen sprach aus seinen Augen, er wollte offensichtlich, dass sie ihm sagte, er sei einzigartig, was für ein großartiger Liebhaber, nicht einer, der, der einzige.

Helene streckte ihre Finger, krümmte sie, streckte sie, es knackte unhörbar. Sie wollte ihre Hände waschen. Was machte es schon aus, ein bisschen lügen? Sie sah ihn über den Tisch hinweg an, noch hatte sie Zeit. Es war einfach. Er würde es nicht merken. Sie schüttelte den Kopf und schlug die Augen nieder. Als sie die Augen vorsichtig öffnete, sah sie, dass er ihr glauben wollte.

Wilhelm stand auf, er trug das Hemd, das sie heute morgen frisch gebügelt hatte. Er sah aus, als müsse er zur Arbeit gehen. Er berührte ihre Schulter, dankbar und zugleich wütend. Tief atmete er ein und aus, dann klopfte er ihren Rücken. Mein Mädel. Er sah auf die Uhr. Ich muss nachher nochmal raus zur Baustelle, die Arbeiter machen am Wochenende alle schlapp. Es ist eine geheime Besprechung vorgesehen, wenn du im Wagen wartest, darfst du mit.

Helene nickte, Wilhelm griff ihr Handgelenk. Aber zuerst gehen wir ins Bett. Ein feiner Triumph stand in seinem Gesicht. War das der Kränkung entsprungene Willkür in seinen Augen, Trotz und Lust? Und hatte ein Mann nicht ein Recht auf seine Frau? Er schob sie vor sich her ins Schlafzimmer, zog die Vorhänge zu, öffnete mit einer Hand seine Hose und griff mit der anderen nach ihrem Rock. Heb den Rock hoch, sagte er.

Helene hob ihren Rock, was nicht einfach war. Sie hatte sich den Rock erst vor einigen Wochen nach einem Muster aus Mode und Wäsche genäht, er wurde nach unten hin schmaler und hatte nur einen kurzen Schlitz, sie hatte einen schönen Stoff gefunden, cremefarbene Baumwolle mit blauen Blüten bedruckt, es war ein gewagter Rock, der schlank zwischen Wade und Knöchel endete. Wilhelm wurde ungeduldig, er atmete tief durch. Gleich würde sie es geschafft haben und der Rock hoch genug sein. Sie musste daran denken, dass die Wäsche zu lange in der Lauge lag, dass sie für das Mittagessen noch den Fisch ausnehmen und bald die Suppe aufsetzen musste, wenn sie am Abend Bohneneintopf haben wollten, dass sie kein Bohnenkraut bekommen hatte. Wilhelm sagte ihr, sie solle sich auf das Bett knien.

Mit dem 27. September kam der große Tag. Es war der Tag, dem nicht nur Wilhelm entgegenfieberte wie keinem sonst, es war der Tag, auf den ganz Deutschland wartete.

Schon am Morgen, Helene hatte sich gerade angezogen, fiel Wilhelms Blick auf ihren Hintern. Er umfasste ihre Hüfte und fuhr mit der Zunge über ihren Mund. Du bist die erste Frau, die ich gerne küsse, weißt du das? Helene lächelte unsicher, sie griff nach ihrer Handtasche. Wilhelm mochte es von Tag zu Tag mehr, sie unsicher zu sehen. Da sie seine entstandene Vorliebe kannte, gab sie sich hin und wieder unsicher. Nichts leichter als das. Zeig mir deine Strumpfbänder, trägst du die mit den kleinen Ankern? Wilhelm tastete durch den festen Wollstoff nach ihrem Strumpfhalter.