„Lauf!“ rief Kershaul, „lauf zu Welibus’ Büro und sperr dich dort ein!“
Jetzt rannte Thissell aber, der Waldschrat verfolgte ihn ein Stück und schickte ihm ein paar böse Hornstöße nach, während die Menge verächtlich das hymerkin schlug.
Da ihn niemand mehr verfolgte, suchte Thissell auch nicht Zuflucht in Welibus’ Büro, sondern ging weiter zum Dock, wo sein Hausboot lag. Kurz vor Einbruch der Dämmerung war er an Bord. Toby und Rex hockten auf dem Vordeck, umgeben von den eingekauften Vorräten: Binsenkörbe voll Obst und Getreidekorn, Krüge aus blauem Glas, die Wein enthielten, Öl und scharfriechende Säfte, und in einem Weidenställchen hatten sie drei junge Schweine. Sie knackten Nüsse mit den Zähnen und spuckten die Schalen zur Seite. Als sie Thissell sahen, standen sie beiläufiger als sonst auf; Toby murmelte etwas, Rex unterdrückte ein Kichern.
Ärgerlich ließ Thissell sein hymerkin erklingen. „Nehmt das Boot vom Strand, heute bleiben wir in Fan“, sang er.
In seiner Kabine nahm er die Mondmotte ab und schaute in den Spiegel. Er kannte sich fast selber nicht mehr. Er mochte diese Maske nicht, die pelzige graue Haut, die bläulichen Adern darin, die lächerlichen Spitzenflügel. Nein, das war keine würdige Maske für einen Konsularvertreter der Heimatplaneten. Falls er diese Stellung überhaupt noch hatte, wenn man zu Hause hörte, daß Angmark noch immer frei herumlief!
Thissell warf sich in einen Sessel und starrte düster ins Weite.
Er hatte heute viel Rückschläge erlitten, doch entmutigt war er nicht. Morgen würde er Kershaul besuchen und mit ihm besprechen, wie sie am besten Angmark finden könnten. Ein Außenweltlerhaushalt konnte sich, wie Kershaul richtig bemerkte, nicht so leicht verstecken. Haxo Angmarks Identität würde sich bald erweisen. Und morgen mußte er sich eine andere Maske besorgen. Nichts Glorreiches oder Außergewöhnliches, aber eine Maske, die der Würde seines Amtes und seiner Selbstachtung entsprach.
Früh am nächsten Morgen, als noch halbe Dämmerung herrschte, ruderten die Sklaven das Hausboot zurück an den Dockabschnitt, der für Außenweltler reserviert war. Rolver, Welibus oder Kershaul waren noch nicht da, und Thissell wartete ungeduldig. Nach einer Stunde kam endlich Welibus, doch mit dem wollte er nicht sprechen, und so blieb Thissell in seiner Kabine.
Dann war Rolvers Boot da, der gleich darauf in seiner üblichen Tarnvogelmaske auf das Dock kletterte. Dort traf er sich mit einem Mann in einer gelbfelligen Sandtigermaske, der auf seinem gomapard eine Begleitung spielte zu dem, was er Rolver zu melden hatte.
Rolver schien erstaunt und besorgt zu sein. Nach kurzem Überlegen zupfte er selbst an seinem gomapard herum, und als er sang, deutete er auf Thissells Hausboot. Dann verbeugte er sich und ging.
Der Sandtigermaskenmann kletterte voll Würde auf ein Floß und klopfte am Schanzkleid von Thissells Hausboot. Die sirenische Etikette forderte nicht, daß Thissell diesen Besucher an Bord bat, also stellte er nur eine Frage mit seinem zachinko.
Der Sandtiger antwortete mit dem gomapard und sang:
„Die Dämmerung über der Bucht von Fan ist eine blendende Gelegenheit. Der Himmel ist weiß mit gelben und grünen Farben, und wenn Mireille aufgeht, so verbrennen die Nebel und züngeln wie Flammen. Der Sänger zieht großes Vergnügen aus dieser Stunde, wenn die schwimmende Leiche eines Außenweltlers nicht erscheint und die schöne Aussicht verdirbt.“
Thissells zachinko stellte eine verblüffte Frage aus sich selbst heraus, der Sandtiger verbeugte sich voll Würde. „Der Sänger bestätigt, daß er nicht am Stehvermögen zweifelt, jedoch er will sich nicht peinigen lassen von einem unzufriedenen Geist.
Deshalb hat er seine Sklaven angewiesen, einen Lederriemen am Fußknöchel der Leiche zu befestigen, und während die Unterhaltung fortging, wurde die Leiche festgemacht am Heck des Hausboots. Du willst sicher gewisse Riten vollziehen, wie sie in deiner Außenwelt gebräuchlich sind. Jener, der singt, wünscht dir einen guten Morgen und scheidet nun von dir.“
Thissell rannte zum Heck seines Hausboots und entdeckte die maskenlose, fast nackte Leiche eines ausgewachsenen Mannes, die oben schwamm, weil seine Hosen mit Luft gefüllt waren.
Thissell musterte das tote Gesicht, das ihm ausdruckslos erschien; vielleicht war dies eine Folge des Maskentragens.
Der Körper war von mittlerer Größe und angemessenem Gewicht, er mochte zwischen fünfundvierzig und fünfzig Jahre alt sein. Das Haar war unansehnlich braun, das Gesicht vom Wasser aufgedunsen. Nichts wies darauf hin, wie der Mann gestorben war.
Das war wohl Haxo Angmark, meinte Thissell. Wer sonst könnte es sein? Mathew Kershaul? Warum nicht? Rolver und Welibus hatten bereits ihre Boote verlassen und gingen ihren Geschäften nach. Er suchte die Bucht nach Kershauls Hausboot ab und entdeckte es, als es am Dock anlegte.
Kershaul sprang heraus und trug seine Höhleneulenmaske.
Er schien sehr in Gedanken versunken zu sein, denn er ging an Thissells Hausboot vorbei, ohne aufzuschauen.
Thissell wandte sich wieder der Leiche zu. Also wohl Angmark. Von den Hausbooten waren doch Rolver, Welibus und Kershaul in ihren charakteristischen Masken gekommen… Also Angmark… Aber diese Lösung erschien Thissell als zu einfach. Kershaul hatte gesagt, jeder Außenweltler sei schnell zu identifizieren. Wie sollte Angmark sich selbst… Thissell schob den Gedanken von sich, denn die Leiche war offensichtlich Angmark.
Und doch… Er rief seine Sklaven und erteilte den Befehl, ein geeigneter Behälter sei zum Dock zu bringen, damit die Leiche zu einem passenden Ruheplatz gebracht werden könne. Begeistert waren die Sklaven darüber nicht, und Thissell mußte gewaltig donnern und das hymerkin schlagen.
Dann ging er am Dock entlang zur Esplanade, vorbei an Christofer Welibus’ Büro und weiter zum Landefeld. Dort entdeckte er, daß Rolver noch nicht erschienen war. Ein Obersklave, gekennzeichnet durch eine gelbe Rosette an seiner schwarzen Stoffmaske, fragte Thissell, wie er ihm zu Diensten sein könne; dieser wollte eine Mitteilung nach Polypolis durchgeben.
Der Sklave versicherte ihm, das sei nicht schwierig, er möge nur seine Mitteilung in Blockbuchstaben aufschreiben. Das tat Thissell wie folgt:
AUSSENWELTLER TOT AUFGEFUNDEN, MÖGLICH ANGMARK, ALTER 48, MITTLERER KÖRPERBAU, BRAUNES HAAR. WEITERE IDENTIFIZIERUNGSMÖGLICHKEITEN FEHLEN. ERWARTE BESTÄTIGUNG UND/ODER WEISUNGEN.
Adressiert wurde diese Mitteilung an Castel Cromartin in Polypolis. Er reichte sie dem Obersklaven. Einen Moment später hörte er das charakteristische Knattern einer Raumsendung.
Eine Stunde verging, Rolver war noch immer nicht da.
Thissell lief unruhig auf und ab. Es ließ sich auch nicht sagen, wie lange er auf Antwort warten mußte, denn die Übertragungszeiten waren recht unterschiedlich. Manchmal kam eine Meldung in Mikrosekunden durch, manchmal dauerte es Stunden, und aus unerfindlichen Gründen gab es sogar Mitteilungen, die am Empfangsort eingingen, ehe sie überhaupt gesendet worden waren.
Endlich, nach eineinhalb Stunden, kam Rolver und trug seinen gewohnten Tarnvogel. Gleichzeitig hörte Thissell das Zischen der ankommenden Antwort.
„Was bringt dich so früh hier heraus?“ fragte Rolver erstaunt. Thissell erklärte ihm: „Es geht um die Leiche, von der du diesen Morgen sprachst. Ich habe dies meinen Vorgesetzten mitgeteilt.“
Rolver lauschte dem Geräusch der einlaufenden Antwort.
„Das ist wohl die deine? Ich kümmere mich besser darum.“
„Warum denn? Dein Sklave scheint recht tüchtig zu sein.“
„Es ist meine Arbeit“, erklärte Rolver. „Ich bin verantwortlich für die korrekte Übertragung und den Empfang aller Raumgramme.“
„Ich komme mit. Es hat mich schon immer interessiert, wie diese Geräte arbeiten.“