„Das geht nicht, fürchte ich“, widersprach Rolver und begab sich zum inneren Büro. Fünf Minuten später kam er mit einem kleinen gelben Umschlag zurück. „Keine besonders guten Nachrichten“, meldete er vorab.
Thissel riß den Umschlag auf und las:
LEICHE NICHT ANGMARK. ER HAT SCHWARZES HAAR. WARUM WARST DU NICHT BEI LANDUNG?
ERNSTE LAGE, SEHR UNZUFRIEDEN. RÜCKKEHR NACH POLYPOLIS MIT NÄCHSTER GELEGENHEIT BEFOHLEN.
Thissel schob die Mitteilung in die Tasche. „Darf ich nach deiner Haarfarbe fragen?“ bat er.
Rolver spielte einen erstaunten Triller auf seinem kiv. „Ich bin ziemlich blond. Warum willst du das wissen?“
„Ich bin nur neugierig.“
Rolver spielte einen neuen Lauf auf dem kiv. „Jetzt verstehe ich. Mein lieber Freund, du bist von sehr mißtrauischer Natur!
Schau.“ Er drehte sich um und teilte am Nacken die Falten seiner Maske. Rolver war tatsächlich blond. „Bist du jetzt zufrieden?“
„O ja. Sag mal, hättest du etwa eine andere Maske, die du mir leihen könntest? Ich habe diese Mondmotte allmählich satt.“
„Ich fürchte nein“, antwortete Rolver. „Du brauchst jedoch nur in einen Maskenmacherladen zu gehen und eine auszuwählen.“
„Ja, natürlich…“ Er verabschiedete sich von Rolver und kehrte nach Fan zurück. Als er an Welibus’ Büro vorbeikam, zögerte er, dann trat er ein. Heute trug Welibus eine erstaunliche Schöpfung aus grünen Glasprismen und Silberperlen, eine Maske, die Thissell noch nie gesehen hatte.
Welibus begrüßte ihn mit vorsichtiger Begleitung. „Guten Morgen, Ser Mondmotte.“
„Ich will dir nicht viel Zeit stehlen“, sagte Thissell, „aber ich habe dir eine ziemlich persönliche Frage zu stellen. Welche Farbe hat dein Haar?“
Welibus zögerte einen Sekundenbruchteil, dann drehte er sich um und hob die Klappe seiner Maske an. Thissell sah dicke schwarze Locken. „Ist damit deine Frage beantwortet?“ erkundigte sich Welibus.
„Völlig“, erwiderte Thissell, überquerte die Esplanade und ging weiter zu Kershauls Hausboot. Der begrüßte ihn ohne jede Begeisterung, lud ihn jedoch ein, auf das Boot zu kommen.
„Ich möchte dir eine Frage stellen“, sagte Thissell. „Welche Farbe hat dein Haar?“
„Der klägliche Rest ist schwarz. Warum willst du das wissen?“
„Aus Neugier.“
„Na, komm schon, da steckt doch mehr dahinter“, hielt ihm Kershaul voll ungewohnter Schroffheit vor. Das gab Thissell zu, weil er Rat brauchte. „Es ist so: Ein toter Außenweltler wurde diesen Morgen im Hafen gefunden. Sein Haar war braun. Ich bin nicht ganz sicher, aber es steht drei zu zwei, daß Angmarks Haar schwarz ist.“
„Wie kommst du zu dieser Annahme?“
„Diese Information erhielt ich über Rolver. Er hat blondes Haar. Wenn Angmark Rolvers Identität angenommen hätte, würde er natürlich auch alle Informationen ändern, die ich diesen Morgen bekam. Ihr beide, du und Welibus, ihr gebt zu, schwarzes Haar zu haben.“
„Hm“, meinte Kershaul. „Sehen wir mal, ob ich deiner Logik richtig folge. Du glaubst, Haxo Angmark habe entweder Rolver, Welibus oder mich getötet und des Toten Identität angenommen. Ja?“
Thissell schaute ihn erstaunt an. „Du selbst sagtest doch, Angmark würde sich selbst verraten, würde er sich einen Außenweltlerhaushalt einrichten. Erinnerst du dich?“
„Oh, gewiß. Rolver übergab dir eine Botschaft, daß Angmark dunkel sei, und sagte, er selbst sei blond.“
„Ja. Kannst du das bestätigen? Ich meine, für den alten Rolver?“
„Nein“, erwiderte Kershaul traurig. „Ich habe weder Rolver noch Welibus je ohne Maske gesehen.“
„Ist Rolver nicht Angmark, und wenn Angmark wirklich schwarzes Haar hat, so bist du ebenso im Verdacht wie Welibus.“
„Sehr interessant“, antwortete Kershaul und musterte Thissell mißtrauisch. „Auch du selbst könntest Angmark sein. Wie ist deine Haarfarbe?“
„Braun“, erwiderte Thissel kurz und hob am Hinterkopf den grauen Pelz der Mondmotte an.
„Aber du kannst mich ja wegen des Textes der Mitteilung belügen.“
„Tu ich nicht. Wenn du willst, kannst du das bei Rolver nachprüfen.“
Kershaul schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Ich glaube dir.
Aber noch etwas: Du hast uns doch alle gehört, ehe Angmark ankam. Gibt es in den Stimmen keine Hinweise?“
„Nein. Ihr klingt doch alle ganz verschieden voneinander, und außerdem dämpft die Maske jede Stimme.“
Kershaul zupfte an seinem Ziegenbärtchen. „Ich sehe keine sofortige Lösung dieses Problems.“ Er lachte leise. „Ist die denn auch nötig? Vor Angmarks Ankunft gab es Rolver, Welibus, Kershaul und Thissell. Und jetzt gibt es aus praktischen Gründen noch immer Rolver, Welibus, Kershaul und Thissell. Wer wollte behaupten, das neue Mitglied sei nicht eine Verbesserung gegenüber dem alten?“
„Ein interessanter Gedanke“, gab Thissell zu, „aber ich habe zufällig ein persönliches Interesse an Angmarks Identifizierung. Meine Karriere steht auf dem Spiel.“
„Ah, ich verstehe“, murmelte Kershaul. „Die Sache spielt also zwischen dir und Angmark.“
„Willst du mir helfen?“
„Nicht aktiv. Der sirenische Individualismus hat mich schon verdorben. Ich denke, Rolver und Welibus reagieren ähnlich.“
Er seufzte. „Wir sind alle schon zu lange hier.“
Thissell stand in Gedanken versunken da, und Kershaul wartete geduldig eine ganze Weile. „Hast du sonst noch Fragen?“
„Nein. Ich muß dich nur um einen Gefallen bitten.“
„Den erfülle ich dir gerne, wenn es mir möglich ist“, versprach Kershaul höflich.
„Gib oder leih mir einen deiner Sklaven, nur für eine Woche oder zwei.“ Kershaul spielte auf der ganga einen amüsierten Triller. „Ich mag mich kaum von einem meiner Sklaven trennen. Sie kennen mich und meine Art…“
„Du bekommst ihn zurück, sobald ich Angmark habe.“
„Na, schön.“ Er ratterte auf seinem hymerkin einen Ruf, und ein Sklave erschien. „Anthony“, sang Kershaul, „du gehst mit Ser Thissell und dienst ihm für eine kurze Zeit.“
Thissell nahm Anthony mit zu seinem Hausboot und fragte ihn umständlich aus. Ein paar Antworten notierte er auf eine Karte. Dann verpflichtete er Anthony, nichts von dem zu sagen, was geschehen war, und übertrug ihn der Fürsorge von Toby und Rex. Er gab noch Anweisung, das Hausboot vom Dock wegzubringen und bis zu seiner Rückkehr keinen Menschen an Bord zu lassen.
Wieder einmal machte er sich auf den Weg zum Landefeld und fand Rolver bei einem Gericht aus gewürztem Fisch; dazu aß er die zerrupfte Rinde des Salatbaums und eine Schüssel heimischer Beeren. Rolver schlug einen Befehl auf dem hymerkin an, worauf ein Sklave sofort ein Gedeck für Thissell brachte. „Wie geht es mit deinen Ermittlungen voran?“ fragte er.
„Gar nicht besonders“, erwiderte Thissell. „Könnte ich vielleicht auf deine Hilfe rechnen?“
Rolver lachte kurz. „Du hast meine guten Wünsche.“
„Konkret gesagt, ich möchte mir von dir für kurze Zeit einen Sklaven ausborgen. Nur vorübergehend.“
Rolver hörte zu essen auf. „Wofür denn?“
„Das erkläre ich lieber nicht. Aber es ist keine müßige Bitte.“
Rolver rief einen Sklaven herbei und übergab ihn etwas mürrisch an Thissell.
Auf dem Rückweg zu seinem Hausboot hielt Thissell bei Welibus’ Büro an. Der schaute von seiner Arbeit auf. „Guten Nachmittag, Ser Thissell.“ Dieser kam sofort zum Zweck seiner Vorsprache. „Ser Welibus, willst du mir für ein paar Tage einen Sklaven leihen?“
Der zuckte die Schultern. „Warum nicht?“ Er schlug sein hymerkin, ein Sklave erschien. „Ist er richtig? Oder hättest du lieber ein junges Weib?“ Er lachte dazu vielsagend.
„Er genügt schon. In ein paar Tagen bringe ich ihn zurück.“