„Hat keine Eile.“ Welibus winkte ab und begab sich wieder an seine Arbeit.
Auf seinem Hausboot fragte Thissell die beiden neuen Sklaven getrennt voneinander aus und machte auf der Karte ein paar Notizen.
Dann senkte sich eine weiche Dämmerung auf den Titanic herab. Toby und Rex ruderten das Hausboot weg vom Dock, hinaus in das seidige Wasser. Thissell saß auf dem Deck und hörte den leisen Stimmen zu, dem Schwirren und Klingeln der Musikinstrumente; die Lichter von den anderen Hausbooten glühten gelb und wassermelonenrot. Die Küste lag dunkel da.
Später würden dann die Nachtmänner herumschleichen, den Abfall durchwühlen und voll Neid über das Wasser starren.
In neun Tagen würde die Buenaventura an Sirene fahrplanmäßig vorbeikommen. Thissell hatte Befehl, nach Polypolis zurückzukehren. Konnte er in diesen neun Tagen Haxo Angmark finden?
Zwei Tage vergingen, dann drei, vier und fünf. Täglich ging Thissell an den Strand und besuchte wenigstens einmal täglich Rolver, Welibus und Kershaul.
Alle reagierten unterschiedlich auf seine Anwesenheit.
Rolver tat höhnisch und gereizt, Welibus formell und wenigstens oberflächlich liebenswürdig, Kershaul mild und freundlich, jedoch unpersönlich und Abstand wahrend. Thissell blieb gleichmütig bei Rolvers säuerlichen Witzen, Welibus’ Lustigkeit und Kershauls Distanz. Und jeden Tag machte er, sobald er auf sein Hausboot zurückkehrte, Notizen auf seiner Karte.
Der sechste, siebente und achte Tag verging. Rolver fragte voll direkter Brutalität, ob Thissell mit der Buenaventura reisen wolle. Thissell überlegte und sagte: „Ja, du solltest mir besser eine Passage reservieren.“
„Zurück also zur Welt der Gesichter.“ Rolver schüttelte sich.
„Gesichter! Überall diese blassen, fischäugigen Gesichter!
Münder wie Mus, Nasen wie Rüben und mit groben Poren, platte, labbrige Gesichter. Ich glaube, das könnte ich nach einem Leben hier nicht mehr ertragen. Zum Glück bist du noch kein richtiger Sireneser geworden.“
„Ich gehe aber nicht zurück“, erklärte Thissell.
„Ich dachte, ich sollte eine Passage reservieren.“
„Sicher. Für Haxo Angmark. Er wird mit der Brigg nach Polypolis zurückkehren.“
„Na, schön. Du hast ihn also gefunden.“
„Natürlich. Du nicht?“
Rolver zuckte die Schultern. „Er ist entweder Welibus oder Kershaul, noch genauer kann ich’s nicht sagen. Solange er seine Maske trägt und sich Welibus oder Kershaul nennt, ist mir’s egal.“
„Mir nicht. Um welche Zeit morgen startet der Leichter?“
„Elfzweiundzwanzig, ganz genau. Wenn Haxo Angmark abreist, dann sag ihm, er soll pünktlich sein.“
„Er wird hier sein“, antwortete Thissell.
Dann machte er seinen üblichen Besuch bei Welibus und Kershaul, kehrte zu seinem Hausboot zurück und setzte drei letzte Vermerke auf seine Karte.
Der Beweis war ganz eindeutig; nicht absolut unbezweifelbar, jedoch ausreichend für einen entscheidenden Schritt. Er prüfte seine Pistole nach. Morgen war der Tag der Entscheidung. Einen Irrtum konnte er sich nicht leisten.
Der neue Tag stieg klar herauf, der Himmel schimmerte wie die Innenseite einer Austernschale. Mireille erhob sich aus perlfarbenen Nebeln. Toby und Rex ruderten das Hausboot zum Dock. Die anderen drei Außenweltlerhausboote schaukelten ruhig auf der leichten Dünung.
Ein Boot beobachtete Thissell ganz besonders, das nämlich, dessen Besitzer Haxo Angmark getötet und in den Hafen geworfen hatte. Dieses Boot bewegte sich nun auch auf die Küste zu, und Haxo Angmark stand am Vordeck. Er trug eine Maske, die Thissell noch nie vorher gesehen hatte: eine Schöpfung aus scharlachroten Federn, schwarzem Glas und grünem, zu Spitzen gewachstem Haar.
Thissell mußte seine Haltung bewundern. Ein gerissener Plan, der klug ausgeführt war, doch eine unüberwindliche Schwierigkeit verdarb ihn.
Angmark kehrte ins Boot zurück, ehe es am Dock anlegte.
Sklaven warfen die Haltetaue aus und ließen die Gangplanken herab. Thissell hatte seine Pistole in der Taschenklappe seiner Kleidung, ging das Dock entlang und betrat das Boot. Er stieß die Tür zum Salon auf. Der Mann am Tisch hob erstaunt die rot-schwarz-grüne Maske.
Thissell sagte: „Angmark, mach bitte keine Geschichten.“
Von rückwärts her stieß ihn etwas Hartes, Schweres nach vorne, er stürzte zu Boden, die Waffe wurde ihm geschickt entwunden. Hinter ihm klimperte das hymerkin. Eine Stimme sang: „Bindet die Arme des Narren!“
Der am Tisch sitzende Mann stand auf, nahm die rot- schwarz-grüne Maske ab und enthüllte die schwarze Stoffmaske eines Sklaven. Thissell verdrehte den Kopf. Über ihm stand Haxo Angmark mit der Maske eines Drachenzähmers, die aus schwarzem Metall bestand, eine messerscharfe Nase und dicke Augenlider hatte, und über den ganzen Skalp liefen drei Kammwülste.
Der Ausdruck der Maske war unbestimmbar, doch Angmarks Stimme klang triumphierend: „Ah, ich lockte dich leicht in die Falle!“
„Ja, das ist richtig“, gab Thissell zu. Der Sklave knotete seine Handgelenke zusammen. Angmarks hymerkin schickte ihn mit Geklapper weg. „Steh auf und setz dich in diesen Stuhl“, sagte Angmark.
„Worauf wartest du noch?“ fragte Thissell.
„Zwei von unseren Leuten bleiben draußen auf dem Wasser.
Wir brauchen sie nicht für das, was wir vorhaben.“
„Und das ist was?“
„Du wirst es rechtzeitig erfahren. Wir haben noch etwa eine Stunde Zeit.“
Thissell probierte seine Fesseln, doch die waren sicher.
Angmark setzte sich. „Wie bist du auf mich gekommen?“
fragte er. „Ich bin neugierig… Komm, komm… Willst du nicht anerkennen, daß ich dich übertölpelt habe? Du machst die Sache nur viel unangenehmer für dich selbst.“
Thissell zuckte die Schultern. „Ich arbeitete nach einem Grundprinzip. Ein Mann kann sein Gesicht maskieren, jedoch nicht seine Persönlichkeit.“
„Aha. Wie interessant. Nun, sprich weiter.“
„Ich borgte mir einen Sklaven von dir und den beiden anderen Außenweltlern und fragte sie sorgfältig aus. Welche Masken hatten ihre Herren getragen in dem Monat vor deiner Ankunft? Ich legte eine Karte an und notierte ihre Antworten.
Rolver trug den Tarnvogel zu achtzig Prozent der Zeit, den Rest teilte er auf zwischen der Sophisten-Abstraktion und der Schwarzen Intrikation. Welibus hatte mehr Geschmack für die Helden des Kan-Dachan-Kreises. Er trug den Chalekun, den Prinzen Intrepid, den Seavain an sechs von acht Tagen. Die anderen beiden Tage wählte er Südwind oder seinen Fröhlichen Gesellen. Kershaul war konservativer, er zog die Höhleneule oder den Sternenwanderer vor, und gelegentlich trug er noch zwei oder drei andere Masken.
Diese Informationen erhielt ich von den Sklaven, der genauesten Quelle. Mein nächster Schritt war der, euch drei genau zu beobachten. Täglich notierte ich, welche Masken ihr trugt, und verglich alles mit meiner Karte. Rolver trug den Tarnvogel sechsmal, die Schwarze Intrikation zweimal.
Kershaul fünfmal seine Höhleneule, den Sternenwanderer einmal, den Quincunx auch einmal, und sein Ideal der Perfektion einmal. Welibus hatte zweimal den Smaragdberg, dreimal den Dreifachen Phönix, den Prinzen Intrepid einmal, den Haigott zweimal.“
Angmark nickte nachdenklich. „Ich sehe meinen Fehler. Ich wählte eine von Welibus’ Masken, aber nach meinem eigenen Geschmack, und damit verriet ich mich, doch nur dir gegenüber.“ Er ging zum Fenster. „Kershaul und Rolver kommen nun an die Küste. Bald gehen sie ihren Geschäften nach, wenn ich auch daran zweifle, daß sie sich einmischen werden. Beide sind gute Sirener geworden.“
Thissell wartete schweigend. Zehn Minuten vergingen. Dann nahm Angmark ein Messer von einem Brett und sah Thissell an. „Steh auf!“ befahl er.
Langsam erhob sich Thissell. Angmark kam von der Seite her und hob Thissells Mondmottenmaske vom Gesicht. Thissell machte den vergeblichen Versuch, sie festzuhalten. Zu spät.