Der dumpfe Knall wiederholte sich. Stefan taumelte stärker, prallte gegen die Wand und begann zusammenzubrechen. Die Flammen leckten zischend an der schwarz wog enden Masse empor, und plötzlich war die Luft vom Gestank verschmorenden Fleisches erfüllt. Trotzdem fing der Schlauch kein Feuer. Lebendes Gewebe brannte nicht so schnell. Stefan sackte in sich zusammen, aber noch immer war Bewegung in ihm. Seine verbrannten Hände tasteten über den Boden, suchten nach Halt, um sich wieder in die Höhe zu ziehen.
»Geh'n Sie zur Seite!«
Liz reagierte ganz automatisch. Sie trat von der Treppe fort, so nahe an die Wand, wie sie gerade noch konnte, ohne sie zu berühren, und sah nach oben.
Belderson stand da wie ein leibhaftig gewordener Racheengel. Sein Gesicht loderte rot im Widerschein der zuckenden Flammen, und in seinen Augen flackerte etwas, das jenseits aller Furcht war, ein Grauen, das nicht einmal Liz wirklich nachempfinden konnte. Aber seine Hände waren ganz ruhig, während er den Lauf des schweren Schrotgewehres herabknickte und zwei frische Patronen in die rauchende Öffnung schob.
Er schoß wieder. Die Schrotladungen hämmerten in Stefans Körper, mit einem Zischen, als schlügen sie in nassen Lehm, und wieder wurde er zurückgeschleudert. Und wieder. Und wieder.
Belderson schoß fast zwei Dutzend Mal auf ihn, ehe er endlich aufhörte, sich zu bewegen.
45.
Die Treppe war wieder eine Treppe. Das Haus wieder ein Haus. Draußen im Wald hatte der Schrei der Banshee aufgehört, und die Stille, die ihm folgte, hatte etwas Endgültiges. Es war vorbei.
Sie wußte nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis sie endlich die Kraft aufbrachte, sich herum zudrehen und dem verkrüppelten alten Mann entgegenzublicken, der hinter ihr die Stufen herabgehumpelt kam. Sicher nur Sekunden, aber die Zeit hatte ihre Bedeutung verloren, war zu einem weiteren sinnlosen Wort in der langen Kette sinnloser Begriffe geworden, die alles war, was von ihrer Welt, ihrem Leben, ihr selbst noch übriggeblieben war.
Es war vorbei.
Das Haus war wieder ein Haus, mehr nicht. Nichts als ein leeres, häßliches altes Gebäude, in dem es absolut nichts Übernatürliches mehr gab.
Sie begann zu weinen, leise, schluchzend und qualvoll, lehnte sich gegen die Wand und schlug die Hände gegen das Gesicht. Plötzlich spürte sie jede einzelne Wunde, die sie in der letzten halben Stunde davongetragen hatte, jede winzige Verbrennung, jeden Kratzer, den entsetzlichen Schnitt in ihrer Seite. Es war vorbei. Vielleicht würde sie sterben.
Liz sah auf, als die Schritte neben ihr abbrachen. Belderson stand ganz dicht neben ihr, das rauchende Gewehr noch in der Arm beuge, ein gedrungener kleiner Mann, der plötzlich große Ähnlichkeit mit Ohlsberg zu haben schien. Sein Gesicht war voller Brandblasen, und der Anblick sagte ihr, daß das Haus auch dort oben brannte, wo er sich versteckt hatte; der flammende Regen hatte das Dach entzündet. Gut. Sie würden es niederbrennen lassen.
»Es tut mir so leid«, sagte er. Seine Stimme war ganz leise, aber voller Trauer. »Das müssen Sie mir glauben.«
»Muß ich das?« fragte Liz. Sie versuchte vergeblich, so etwas wie Erleichterung zu empfinden. Oder gar Dankbarkeit.
»Sie hätten auf mich hören sollen«, sagte Belderson leise. »Und auf Ohlsberg.«
»Sie hätten mich warnen können«, murmelte Liz. Ihre Worte kamen ihr selbst lächerlich vor. Sie hatten sie gewarnt, mehr als einmal. Ohlsberg sogar mehr, als er gedurft hätte. Er hatte dafür bezahlt.
Einen entsetzlichen Preis.
»Und jetzt?« fragte sie, als Belderson nicht antwortete. »Ist es vorbei?«
Belderson nickte.
»Haben wir es besiegt?«
»Niemand besiegt es«, antwortete er leise. »Nicht endgültig. Wir können es nur bewachen. Versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Manchmal gelingt es uns.« Wie bei den Leuten, die vor ihnen auf diesem Hof gelebt hatten, dachte Liz. Jenes irische Ehepaar, das Eversmoor so überhastet verlassen hatte, hatte auf die Warnungen gehört. Es war geflohen, ehe es zum Schlimmsten kam. Es hatte auf die Warnungen der Menschen aus Schwarzenmoor gehört, die nichts anderes waren als die Wächter dieses entsetzlichen menschenfressenden Hauses. Eine Aufgabe, die sie vielleicht seit Jahrhunderten erfüllten. Die der einzige Zweck ihres Daseins war.
»Ja«, sagte sie ganz leise. »Ich hätte auf Sie hören sollen.«
Sie wollte antworten, aber in diesem Moment hörte sie das leise Klicken der Uhr, deren Zeiger um eine Winzigkeit weiterrückten, und irgend etwas war an diesem Geräusch, das sie aufsehen ließ.
Sie erstarrte.
Es war sechs Minuten nach sechs.
Die Warnung, die sie bekommen hatte: The Number Of The Beast von Sinn er. Oh, ja, es hatte ihr jede Chance gegeben. Sie war gewarnt worden, mehr als nur einmal. Sie hätte alles wissen können. Sechs. Sechs Minuten nach sechs, am sechsten sechsten. Stefanie: Es sind nur noch drei Tage, bis...
Die Zahl des Tieres war erreicht. Sechs Sechs Sechs. Was hatte sie gedacht, vor Augenblicken? Es war nur ein Spiel gewesen. Hoffnung, um sie um so härter treffen zu können. Und jetzt - endlich - begriff sie.
Sie hörte, wie sich das brennende zuckende Bündel hinter ihr wieder zu bewegen begann. Der Boden unter ihren Füßen weichte auf. Sie war in einem Schlauch, mit nassen, schwarzen Wänden, aber sie sah nichts von alldem, sondern starrte Belderson an, Belderson mit seinem verbrannten Gesicht, das nun für alle Zeit ebenso entstellt sein würde wie seine rechte Hand. Der Hof hatte eine weitere Narbe bekommen. »Es... es war zu leicht, nicht?« sagte sie. »Ich hätte ihn nie besiegen können. Es war viel zu leicht.«
»Ja. Das war es«, sagte Belderson. Das war, ganz kurz bevor seine Augen auseinander platzten und dünne schwarze Fäden aus den blutigen Höhlen quollen.
ENDE