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Sie trat näher an den Zeitungsständer heran und musterte kritisch die Titel der wenigen Bücher, die darunter aufgereiht waren. Beldersen, der Ladeninhaber, versah neben einem Dutzend anderer Aufgaben auch noch die des Bibliothekars im Ort, aber seine Auswahl war nicht berauschend.

Einer der Bände war neu.

Sie beugte sich vor, angelte das Buch aus dem Ständer und schlug es auf. Türme, las sie auf dem Deckblatt. Roman von Stefan König. Gleichermaßen erstaunt wie erfreut, begann sie indem Band zu blättern. Tatsächlich - es war Stefans neuester Roman, noch dazu die teure Lederausgabe, von der bisher nur wenige hundert Exemplare verkauft worden waren.

»Ah, Frau König. Schön, Sie wieder einmal bei uns zusehen.«

Sie drehte sich um, stellte das Buch mit einer hastigen Bewegung an seinen Platz zurück und erwiderte Beldersens Kopfnicken. Absurd erweise machte es sie verlegen, daß Beldersen sie mit einem von Stefans Büchern in der Hand überrascht hatte - obwohl er es zweifellos zu keinem anderen Zweck als genau diesem hier aufgestellt hatte. Sie spürte, daß sie eigentlich hätte antworten müssen, aber wie stets fühlte sie sich in seiner Gegenwart verunsichert.

Der Mann war eigentlich freundlich, und im Grunde hatte sie von ihm noch kein Wort gehört, das nicht nett oder zuvorkommend war - wenn sie es ganz genau nahm, war er einer der wenigen Menschen in Schwarzenmoor, die bisher wirklich freundlich zu Stefan und ihr gewesen waren -, aber sie mochte ihn nicht. Irgend etwas an ihm stieß sie ab. Sie wußte nicht, was es war, aber das Gefühl war zu deutlich, um es zu ignorieren; wie ein übler Geruch, den man nicht bewußt wahrnahm, der einen aber nachhaltig ab stieß. Dabei war Beldersen sogar ein gut aussehender Mann, auf seine Art: er war alt, sicherlich weit über sechzig, dabei aber noch immer stark und sehr viel breitschultriger, als Stefan es jemals sein würde. Seine Stimme war sehr tief, und mit Ausnahme Ohlsbergs war er wohl der einzige in Schwarzenmoor, der keinen Akzent sprach. Seine linke Hand war verkrüppelt und bestand nur noch aus Daumen und zwei Dritteln des Zeigefingers. Die anderen Glieder waren verschwunden, Opfer einer schrecklichen Brandwunde, die Jahrzehnte alt sein mußte, denn was von seiner Hand übrig war, sah so unappetitlich aus, daß es einfach aus der Zeit vor der Erfindung der plastischen Chirurgie stammen mußte.Aber Beldersen hatte ein solches Geschick entwickelt, daß seine Behinderung kaum auffiel. Und Liz war zu taktvoll - oder feige? - gewesen, ihn nach der Herkunft seiner Verletzung zu fragen.

Und das war es auch gar nicht, was sie ab stieß. Er war ihr unheimlich. Sie wußte, daß das Gefühl ungerecht war, und die Schuldgefühle, die dieses Wissen in ihr auslöste, vertieften ihre Abneigung Beldersen gegenüber noch mehr, einer jener alltäglichen kleinen Teufelskreise, aus denen es kau mein Entrinnen gab; vor allem, weil sie einfach zu unwichtig schienen, um große Energien auf ihre Überwindung zu verschwenden.

Über Beldersens Gesicht flog die Andeutung eines Lächelns, als er sah, wie sie das Buch zurückstellte. »Sie haben es schon gesehen«, stellte er fest. Sie wußte, daß er jetzt eine ganz bestimmte Antwort erwartete, vielleicht auch ein Zeichen von Freude, von Geschmeichelt sein, eine Frage. Gott, wenn er wüßte, wie sehr sie diese Szenen haßte, dieses ungläubige: Ach, das sind wirklich Sie? Es gab wenig, was so schnell und so gründlich lästig werden konnte wie Ruhm.

Betont kühl wandte sie sich wieder zu ihm um. »Ja. Ich war ehrlich gesagt überrascht, das Buch hier zu finden.«

»So?« Beldersen lächelte erneut. »Ich finde, wenn ein so kleiner Ort wie der unsere schon einen so berühmten Einwohner hat, sollten wir wenigstens mitreden können, wenn über seine Bücher gesprochen wird.«

Liz bezweifelte, daß Beldersen das konnte - selbst wenn er das Buch lesen würde. »Haben Sie es gelesen?« fragte sie, nicht aus wirklichem Interesse, sondern nur, um ihm einen Gefallen zu tun. Sie bezweifelte, daß Beldersen in seinem ganzen Leben irgendetwas anderes gelesen hatte als die Bibel, seine Schuhkarton-buchführung und die Einkaufs listen seiner Kunden. Und wie sie erwartet hatte, schüttelte Beldersen den Kopf. Sein Gesicht lag halb im Schatten, so daß sie den Ausdruck darauf nicht genau zu erkennen vermochte, aber sie glaubte fast, so etwas wie ein abfälliges Glitzern in seinen Augen wahrzunehmen. Machte er sich über sie lustig?

»Noch nicht, Frau König. Aber ich denke, ich werde es mir in den nächsten Tagen vornehmen. Wenn es mir gefällt, kaufe ich vielleicht noch ein paar Exemplare dazu.« Er lächelte, und obwohl an diesem Lächeln nichts Unechtes war, vertiefte es ihre instinktive Abneigung gegen ihn noch. »Ich verstehe nichts von Literatur, wissen Sie, aber die Leute fragen mich schon mal um Rat, wenn sie ein Buch kaufen, um es zu verschenken; zu Weihnachten oder zur Konfirmation. Ist es gut?«

Liz zögerte. Einen Moment lang war sie fast versucht, ihm wahrheitsgemäß zu sagen, daß sie noch nicht eine Zeile von dem gelesen hatte, was Stefan schrieb, ließ es aber dann bleiben. Stefan mochte es nicht, wenn sie es herum erzählte, obwohl es die Wahrheit war. Er selbst ließ keine Gelegenheit aus, sich bitterlich darüber zu beschweren, daß seine eigene Frau nichts von dem las, was er schrieb, aber er mochte es nicht, wenn sie es jemandem erzählte. »Sie... Sie können gerne ein paar handsignierte Exemplare von uns haben«, sagte sie ausweichend. »Verbilligt. Stefan ... mein Mann bekommt sie zum halben Preis.« Beldersen zuckte die Achseln und überlegte einen Moment, so daß sie schon fast befürchtete, zu viel gesagt zu haben. Aber dann nickte er, trat einen Schritt aus dem Schatten hinter der Theke hervor und legte die Hände auf die zernarbte Platte. Seine linke, verkrüppelte Hand verursachte dabei ein sonderbares, unangenehmes Geräusch, ein sattes, feuchtes Platschen, als fiele ein Klumpen rohes Fleisch in feuchten Lehm. Ein leises Gefühl von Ekel machte sich in Liz breit.

»Was kann ich sonst noch für Sie tun?« Der plötzliche Stimmungswechsel überraschte sie, aber sie ließ sich nichts anmerken. Letztlich konnte sie nicht verlangen, daß sich die Leute hier von einem Tag auf den anderen änderten, schon gar nicht Beldersen, der ihre Abneigung spüren mußte. Aber immerhin - der Anfang schien gemacht zu sein. Sie rasselte den ersten Teil ihrer Bestellung herunter und sah zu, wie er die gewünschten Dinge mit schnellen, zielsicheren Bewegungen aus dem Chaos in seinen Regalen heraussuchte. Es versetzte sie immer wieder in Erstaunen, ihm dabei zuzusehen. Irgendwie mußte Beldersen es nämlich fertiggebracht haben, gewisse Grundsätze der Physik außer Kraft zu setzen - vor allem den, daß das Innere eines Raumes niemals größer sein konnte als sein Äußeres. Sein Laden war kaum größer als ihr eigenes Wohnzimmer, aber erbrachte es spielend fertig, selbst mit dem Warenangebot eines Supermarktes zu konkurrieren. Wenn sie nicht gerade Dinge wie gegrillte Heuschrecken oder Ameisen in Preißelbeergelee verlangte, so existierten die Worte: habe ich nicht für Beldersen nicht.