»Oh, das macht nichts... Ich bin stark, Madam. Auch wenn das nicht so aussieht. Aber ich kann alles tun, was es an Arbeit gibt. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich bin gesund. Und ich habe den Hof meines ... Herrn die letzten Jahre fast allein geführt.«
»Ihres Herren!« wiederholte Liz betont. Sie schüttelte den Kopf. »Den können Sie vergessen, Peter«, sagte sie, mit einem zuckersüßen Lächeln in Ohlsbergs Richtung. »Wir halten keine Sklaven.«
Peter blickte sie nun vollends verwirrt an, und auch zwischen Ohlsbergs Brauen entstand eine tiefe Falte, während er die Pfeife aus dem Mund nahm. Er setzte dazu an, etwas zusagen, und allein sein Gesichtsausdruck sagte Liz, daß es nichts allzu Freundliches sein würde. Aber Stefan kam ihm zuvor. »Was soll das?« fragte er scharf - und auf französisch, wie sie erst nach einigen Augenblicken begriff. »Willst du ihn vergraulen, oder was? Ich bin froh, daß Ohlsberg jemanden gefunden hat. Hör endlich auf.«
Er machte eine rasche, befehlende Handbewegung, drehte sich um und wandte sich wieder an den Bürgermeister. »Ich denke, wir sind uns einig. Ich bringe nur rasch meine Frau zurück zum Hof. Dann komme ich wieder und hole Peter ab.« Liz' Finger krampften sich so fest um das Bierglas, daß die Knöchel weiß hervortraten. Sie spürte, daß sie gleich explodieren würde. Stefans Verhalten hatte die Grenzen des Erträglichen erreicht. Sie konnte zur Not noch verstehen, daß Ohlsberg sich so benahm - schließlich mußte sie ihm zugute halten, daß er ein Idiot war. Aber Stefan... begriff er eigentlich nicht, wie sehr sein Benehmen - schon allein dieser ganz offene Wechsel zu einer fremden Sprache, der Heyning mehr verletzen mußte, als wenn er die Worte verstanden hätte - die Würde dieses Menschen mit Füßen trat?
Ohlsberg winkte ab. »Das ist nicht nötig. Er hat noch einen Teil seines Gepäcks auf dem Hof, den muß er sowieso erst holen.«
»Das kann Stefan mit dem Wagen machen«, sagte Liz.
Ohlsberg überging den Einwurf. »Das Zeug paßt sowieso nicht alles in Ihren kleinen Wagen. Ich denke, er kann die paar Kilometer ganz gut zu Fuß gehen.«
»Es sind fünf Kilometer, nicht ein paar!« protestierte Liz. »Stefan kann zweimal fahren, wenn es nötig ist. Zu Fuß ist man ja den ganzen Tag unterwegs.«
»Sie machen sich entschieden zu viel Umstände«, sagte Ohlsberg ruhig. »Peter kann ganz gut zu Fuß kommen. Er ist es gewöhnt, nicht wahr, Peter?«
Heyning nickte, eine Spur zu hastig, wie Liz fand. »Sicher, Madam. Morgen früh bin ich bei Ihnen, bestimmt. Es... es macht mir nichts aus, zu Fuß zu gehen. Ich bin das gewohnt, wirklich.«
»Ich muß sowieso noch einmal kommen«, sagte Liz. »Ich muß noch ein paar Dinge aus Beldersens Laden holen, die nicht mehr in den Wagen passen.«
»Er kommt zu Fuß«, sagte Ohlsberg bestimmend.
Liz wandte sich hilfesuchend an Stefan. Aber ihr Mann sah weg.
5.
»Warum hast du das zugelassen?« fragte Liz. Sie saßen wieder im Wagen und waren auf dem Heimweg. Schwarzenmoor fiel in der Mittagsglut rasch hinter ihnen zurück, und Stefan fuhr wie immer viel zu schnell. Aber diesmal achtete Liz nicht auf das Stampfen und Schütteln des Wagens. Ihr Zorn saß so tief, daß er selbst die Furcht überdeckte, die sie sonst jedes mal ergriff, vor allem wenn sie auf dem Rückweg waren, auf dem Stefan immer sehr viel schneller fuhr.
»Was?« fragte Stefan mit einiger Verspätung. Er schaltete. Der Jaguar machte einen Satz, schoß über eine bei normalem Tempo kaum spürbare Anhöhe hinweg und verlor für Bruchteile von Sekunden mit allen Rädern den Kontakt zum Boden. Der Schlag, mit dem er wieder aufsetzte, ließ eine der Tüten auf Liz' Schoß platzen; eine Mehltüte, Dosen mit püriertem Tomatenmark, Zigaretten und eine Anzahl Soßenwürfel quollen heraus und verteilten sich auf ihrem Rock. Der Anblick machte sie noch wütender.
Sie schürzte wütend die Lippen, riß mit einer unnötig heftigen Bewegung die Sonnenblende herunter und begann sich die Wangen zu pudern, eine Angewohnheit, in die sie immer verfiel, wenn sie nervös oder besonders aufgeregt war. »Du weißt ganz genau, was ich meine«, sagte sie mit mühsam beherrschter Stimme.
»Du meinst, daß Heyning zu Fuß kommt?«
»Genau das meine ich!« antwortete sie zornig - nein, sie schrie fast. »Was ist so schlimm daran, den Weg noch einmal zu fahren?«
»Nichts«, begann Stefan, »aber...«, er warf ihr einen raschen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Aber war es wirklich nötig, Ohlsberg gleich den Krieg zu erklären?« Liz tat so, als hätte sie die Frage nicht gehört.
»Wenn es dir wirklich so viel ausgemacht hätte, hätte ich es getan«, fauchte sie aufgebracht. »Aber darum geht es gar nicht, nicht wahr? Und das weißt du genau. Ganz genau.«
Stefan antwortete nicht. Aber sie sah, wie sich seine Wangenmuskeln spannten. Ihre Worte hatten getroffen, und sie fühlte mit einem Mal ein fast sadistisches Vergnügen daran, tiefer in der Wunde zu bohren und das Messer genüßlich herumzudrehen. Ein paar mal. »Du fährst doch so gerne Auto!«
»Ein reines Vergnügen ist es nun auch wieder nicht«, maulte Stefan. »Diese Scheißstraße ...«
»Weich mir nicht aus«, fuhr Liz auf.
»Ich weiche dir nicht aus«, sagte Stefan mit einer Ruhe, die sie noch wütender machte. »Aber du spielst die Sache unnötig hoch. Peter ist kein verweichlichter Großstädter wie du und ich. Wir würden doch noch mit dem Wagen ins Schlafzimmer fahren, wenn das ginge. Es macht ihm nicht viel aus, ein paar Kilometer zu Fuß zu gehen.«
»Es sind nicht nur ein paar Kilometer«, entgegnete Liz angriffslustig. »Und es ist mir auch vollkommen egal, ob es Heyning etwas ausmacht oder nicht. Mir macht es nämlich etwas aus, wenn mir irgend so ein da hergelaufener Dorftrottel vorschreibt, wie ich mein Personal zu behandeln habe. Und es macht mir noch mehr aus«, fügte sie nach einer winzigen Pause hinzu, in der sie nicht nur einen neuen Pfeil aus dem Köcher nahm, sondern ihn noch dazu genüßlich vergiftete, »ob mir mein Mann bei einer Auseinandersetzung mit besagtem Dorftrottel in den Rücken fällt oder nicht.«
»Ich bin dir nicht in den Rücken gefallen«, gab Stefan ruhig zurück. »Und überdies ist Ohlsberg bei den Leuten hier gut angesehen. Er ist alles andere als ein Dorftrottel.« Er ging mit dem Tempo herunter und sah sie an. »Oder vielleicht doch«, sagte er plötzlich. »Verdammt, ja, vielleicht hast du tatsächlich recht, und Ohlsberg ist wirklich der eingebildete alte Idiot, für den du ihn hältst. Aber zum Teufel, mußt du es ihm so deutlich zeigen?« Liz antwortete nicht, und Stefan fuhr, in fast flehendem Tonfall, fort: »Siehst du, Schatz, das ist einer der Gründe, warum du mit den Leuten hier bisher nicht so richtig warm wirst. Man muß sich anpassen. Kompromisse schließen.«
»Kompromisse«, zischte sie. »Das, was du unter einem Kompromiß verstehst, ist nichts anderes als ein anderes Wort für Feigheit!«
»Das ist es nicht«, sagte Stefan überzeugt. »Du willst es nur so sehen - das ist alles.«
»Ach, glaubst du?« sagte sie. »Vielleicht irre ich auch, vielleicht ist es keine Feigheit, sondern Bequemlichkeit. Aber ich weiß nicht, was schlimmer ist. Nenn es, wie du willst, es kommt auf eins raus.«
»Du bist ungerecht«, sagte Stefan. »Ich ...«
»Ungerecht!« Liz lachte schrill auf. »Ich bin ungerecht, ja, natürlich! Und wieso, bitteschön? Weil ich es nicht gut finde, von meinem eigenen Mann in aller Öffentlichkeit heruntergeputzt zu werden, nur weil er zu feige ist, sich gegen diesen schmierigen alten Mann durchzusetzen? Aber es ist ja viel leichter, sich mit seiner Frau auseinanderzusetzen als mit Ohlsberg, nicht wahr? Was zwischen uns geschieht, sieht ja keiner. Hauptsache, du wahrst dein Gesicht in der Öffentlichkeit. Dein sogenannter Kompromiß ist nichts als feige Kriecherei. Anpassen - ha! Was kommt als nächstes? Willst du deinen Wagen verkaufen und dir statt dessen ein Pferd anschaffen? Mir das Rauchen in der Öffentlichkeit verbieten?« Sie griff mit zitternden Fingern in die Jackentasche, zog eine Zigarette aus der zerknautschten Packung und versuchte das Feuerzeug anzuschnippen, aber der Fahrtwind blies die Flamme immer wieder aus. Stefan beugte sich vor und drückte den Zigarettenanzünder. Liz funkelte ihn an und schleuderte die Zigarette in hohem Bogen aus dem Wagen. »Demnächst wirst du von mir verlangen, daß ich mich so kleide wie diese Dorfschlampen, in der Öffentlichkeit nicht mehr rauche und kein Bier mehr trinke!« fauchte sie.