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Das war nicht der freundliche Märchenwald aus ihrer Kindheit, in dessen Schatten Träume und Märchen geboren wurden, in dem Einhörner und Feen ihre neckischen Spiele spielten, in dem die Tiere sprechen konnten und selbst die Dunkelheit freundlich war und in dem kleine lustige Gnome darauf warteten, mit ihren Wünschen Ball zu spielen. Sie hätte beinahe aufgeschrien, als sie die Veränderung bemerkte. Sie hatte sich nicht eingeschlichen, war nicht wie ein Alptraum oder das Produkt ihrer überreizten Nerven auf leisen Sohlen in ihre Gedanken gekrochen, sondern kam warnungslos, abrupt und mit der Wucht eines Hammerschlages, der sie vom Bruchteil einer Sekunde auf die andere in dieses alptraumhafte Etwas schleuderte. Der friedliche Wald von Schwarzenmoor war so übergangslos verschwunden, als habe irgendwo jemand irgendwo über (oder unter?)ihr einen gigantischen Hebel umgelegt, ihn einfach abgeschaltet.

Dieser Wald hier war anders.

Böse.

Hart.

Dunkel.

Die Stämme der Bäume beiderseits des Weges wirkten seltsam glatt und hart, Bäume aus Stahl und mattschwarzem Chrom, wie aus einem fremdartigen, lichtschluckenden Material gegossen, und die dunklen, verfilzten Kronen über ihr bildeten einen undurchdringlichen Schirm, durch den nichts, absolut nichts hin durchkam.

Sie schüttelte ein paar mal heftig den Kopf, krampfte die Hände um das Lenkrad und versuchte, sich selbst zu beruhigen. Aber es ging nicht. Im Gegenteil. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Instinktiv trat sie das Gaspedal weiter durch. Der Motor heulte auf. Der Wagen machte einen Satz und preschte mit wahnwitziger Geschwindigkeit los. Bäume und Unterholz flogen vorüber, wurden zu huschen den, grauen Schemen. Die Bäume kamen ihr mit einem Mal niedriger vor, gedrungener und stärker. Keine... Bäume mehr, sondern Alptraumriesen, vom Fluch einer bösen Fee zu etwas anderem, unsagbar Bösem geworden, lauernd, noch regungslos, aber bereit. Ihre Äste schienen jetzt tiefer zuhängen. Gierigen Armen gleich, die nach dem winzigen Wagen tasteten. Herrgott, wie tief war dieser Wald? Wie lange fuhr sie jetzt schon? Eine Stunde? Ewigkeiten mußten vergangen sein, seit sie den Wagen bestiegen und den Hof verlassen hatte, verdammte Närrin, die sie war. Und der Weg nahm kein Ende.

Sie spürte, daß er sich noch weit, weit, unendlich weit vor ihr erstreckte, Hunderte von Kilometern, Lichtjahre, geradewegs in die Ewigkeit führend. Und sie spürte, wie die Finsternis sich zu verdichten begann, nicht mehr die bloße Abwesenheit von Licht bedeutete, sondern Masse, Materie wurde, ein eigenständiges, von pulsierendem Leben erfülltes Etwas, das sich schwarz und kriechend enger und enger um den Wagen zusammen zog, dunkle Tentakel aus Finsternis nach ihr ausstreckte, die mit Geräuschen wie bleiche Knochenfinger über das Blech des Jaguars kratzten. Sie schrie auf, drückte den Knopf, der das automatische Verdeck hoch fuhr, aber der kleine Elektromotor blieb stumm. Statt dessen leuchtete auf dem Armaturenbrett eine winzige rote Lampe auf. Verdammt! Warum mußte dieses Ding ausgerechnet jetzt kaputtgehen! Zufall? Nein. Es gab keine Zufälle. Der Wunsch zu schreien wurde übermächtig. Die Scheinwerfer strahlen vor ihr fraßen zwei weiße asymmetrische Lichtsplitter aus der Finsternis, aber das grelle Halogenlicht schien die Dunkelheit eher noch zu verstärken. Irgend etwas rührte sich in der Schwärze dahinter, eine wogende, ungreifbare Bewegung, die eine ungeheuerliche Drohung zu beinhalten schien. Ein wesenloses Etwas, das immer dichter vor dem rasenden Lichtpfeil dahin preschte. Sie stieß ein leises, kaum hörbares Wimmern aus, das im Brüllen des Motors und dem Rauschen der Nacht verklang, und gab noch mehr Gas. Wieder versuchte sie das Verdeck hochzufahren, preßte so fest zu, daß Blut unter ihrem Fingernagel hervorquoll. Die tote Mechanik rührte sich nicht, aber der grelle Schmerz riß sie in die Wirklichkeit zurück; wenn auch nicht ganz und nicht für lange. Einen Atemzug lang überlegte sie, ob sie umkehren und nach Hause fahren sollte. Es wäre das klügste. Heyning würde sicherlich nicht in dieser stockfinsteren Nacht durch den Wald marschieren. Und wenn doch, dann würde er wahrscheinlich nicht diesen Weg nehmen, sondern über irgendeine Abkürzung kommen. Vielleicht war er schon lange draußen bei der Farm, während sie sich wie eine Idiotin benahm und hier draußen vor den entfesselten Ungeheuern ihrer Phantasie davon lief. Ja - es wäre das klügste, anzuhalten und zurückzufahren. Aber das würde bedeuten, daß sie den Wagen stoppen mußten, daß sie für einen Augenblick stillstehen mußte, den Wagen abbremsen, den einzigen Schutz, den sie hatte, ihre Bewegung, aufgeben, zurücksetzen, zweimal, dreimal, ehe sie auf dem schmalen Weg gewendet hatte. Der Gedanke war ihr unerträglich. Eine Szene aus ihrer Kindheit fiel ihr ein. Sie war einmal allein durch den dunklen Park hinter dem Haus ihrer Eltern gegangen, und damals hatte sie sich genauso gefühlt wie heute. Sie war gerannt, nur gerannt, ohne sich umzusehen, wohl wissend, daß das Schreckliche, das hinter ihr her war, sie nur dann erreichen konnte, wenn sie sich umsah. Und es war genau die gleiche Furcht, nichts Ähnliches, nichts in dieser Art sondern die gleiche, absurde Angst. Das Ungeheuer war ihr gefolgt, das Monster, das sonst nur Kinder sehen können, war hier, hockte in diesem Wald, verbarg sich hinter jedem Busch, lauerte in den Schatten, seine schrecklichen Krallen gewetzt die großen gelben Augen trüb vor Mordlust. Nein - sie konnte nicht anhalten, um keinen Preis - Geschwindigkeit, Bewegung waren die einzigen Waffen gegen das Grauen. Liz schrie gellend auf, als die Gestalt im Scheinwerferlicht auftauchte. Instinktiv trat sie mit aller Kraft auf die Bremse. Der Jaguar ging in die Knie und kam in einer Wolke aus hochspritzendem Schlamm und feuchtem totem Laub zum Stehen, keine zwei Meter vor der gigantischen Erscheinung.

Eine unendliche, quälende Sekunde lang starrte sie auf die riesenhafte Gestalt, unfähig, sich zu rühren, zu schreien oder auch nur zu atmen.

Die Gestalt war gigantisch, riesig, schwarz und flach, ein Schatten, der zu entsetzlichem Leben erwacht war, breitschultrig, mit mehr als zwei Armen, einem Schädel wie ein Gorgonenhaupt, umgeben von schwarzem peitschendem Haar, das gar kein Haar war, sondern ein Bündel haarfeiner schwarzer peitschender Tentakel, jeder einzelne von entsetzlichem eigenem Leben erfüllt, und schrecklichen, grauenerregenden Krallen, die sich gierig nach ihr ausstreckten und... Dann ließ der Mann die Arme sinken, und der Schrecken fiel von ihr ab wie ein Mantel.

Seine Dimensionen schrumpften auf ein normales Maß zurück. Gleichzeitig schien die Finsternis ringsum ihren Schrecken zu verlieren und wurde wieder zu einer ganz normalen Dunkelheit, die nicht einmal besonders intensiv war. Es war vorüber. Was immer es gewesen war, es zog sich zurück, öffnete die Spalten und Lücken im Blattwerk wieder, die es zuvor eifersüchtig mit einem Schleier aus Schwärze verschlossen hatte. Sie konnte wieder sehen. Und sie erkannte die Gestalt, die vor ihr auf dem Weg stand Es war Heyning.

Peter Heyning, der Mann, den sie abholen wollte. Ihr neuer Mann für den Hof. Kein Ungeheuer. Nur Heyning.

Und plötzlich merkte sie, wie unendlich albern sie sich benommen hatte. Wie ein kleines Kind hatte sie sich vor der Dunkelheit gefürchtet, und wie ein solches hatte sie sich mehr und mehr in diese Angst hinein gesteigert.

Sie seufzte, sehr tief und unendlich erleichtert, ließ sich zurücksinken und schloß für einen Moment die Augen. Ihr Herz raste, so schnell und schmerzhaft, daß sie die Pulsschläge bis in die Fingerspitzen spüren konnte. Ihre Hände hatten sich um das Lenkrad gekrampft, und obwohl sie es mit aller Macht versuchte, war es ihr im ersten Moment nicht möglich, den Griff zu lockern; die Angst hatte ihre Muskeln hart werden und in einer Art schmerzlosem, Krampf erstarren lassen, der sich nur allmählich löste. Eiskalter Schweiß lief zwischen ihren Schulterblättern herab. Als sie ihr eigenes Gesicht im Spiegel sah, erschrak sie. Sie war schneeweiß geworden - nicht blaß oder bleich, sondern schneeweiß, was ihre Augen und Lippen viel dunkler erscheinen ließ als normal war. Als sie den Mund öffnete, war der Kontrast so stark, daß sie im ersten Moment glaubte, Zunge und Zahnfleisch wären voller Blut.