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Als wäre dieser Gedanke ein Stichwort gewesen, hört sie das Geräusch der Tür. Sie dreht sich herum, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sie aufschwingt, mit einem entsetzlichen, metallischen Quietschen, ein Schmerzensschrei au seiner Kehle aus Stahl.

Dann sieht sie den Mann. Er steht ganz plötzlich da, tritt nicht etwa aus den Schatten oder wächst aus dem Boden, sondern ist einfach da, von einem Sekundenbruchteil auf den anderen. Er ist kein Fremder. Für den Bruchteil eines Herzschlages, bevor sein Gesicht zu brennen beginnt, erkennt sie ihn, und sie ist überrascht, daß ausgerechnet er es ist. Dann schießt Feuer aus seinem Haar, seiner Kleidung und seinem Fleisch, weiße und rote und gelbe Flammen hüllen ihn ein, verwandeln ihn in eine lebende Fackel, die langsam auf sie zugeht.

Sie taumelt zurück, weicht dem Griff der brennenden, zuckenden, schwarz werdenden Hände im letzten Moment aus. Sie will schreien, aber sie kann es nicht, sondern taumelt weiter, bis sie gegen die Wand prallt. Der brennende Mann geht an ihr vorüber, so dicht, daß sie die entsetzliche Hitze der Flammen spürt, die ihn einhüllen. Ganz kurz kann sie sein Gesicht sehen, durch den Vorhang aus Feuer hindurch. Da ist kein Schmerz in seinen Augen, nur Zorn, ein uralter, unstillbarer Zorn, Haß auf alles Lebende, Denkende, Fühlende, auf alles, was glücklich sein kann.

Der brennende Mann geht weiter. Seine Schritte hinterlassen lodernde weiße Fußabdrücke auf dem Boden, eine Spur aus Feuer. Das Prasseln der Flammen bricht sich unheimlich an den Wänden, als er auf die Treppe zugeht.

Eine Weile steht sie einfach reglos da, unfähig, sich zu rühren, unfähig, wegzulaufen, zu schreien, irgend etwas zu tun, sieht dem brennenden Mann zu, wie er die Treppe erreicht und hinaufgeht, eine Spur aus brennenden Tümpeln hinter sich lassend. Dann, auf der obersten Stufe, bleibt er stehen, dreht sich herum, hebt die Hand, seine entsetzliche, halbverkohlte Hand, und winkt ihr zu, und wieder werden sich die Flammen vor seinem Gesicht für einen winzigen Moment teilen; sie wird den Haß in seinen Augen sehen, diese ungeheuerliche, unendliche Bosheit. Trotzdem, wie von einem fremden, viel stärkeren Willen besessen, wird sie auf die Treppe zugehen, und mit einem Male ist auch sie so groß wie dieses Haus, sie wird wachsen, bis alles wieder scheinbar normale Dimensionen angenommen hat. Und dann, endlich, im gleichen Moment, in dem sie die erste Stufe betritt, wird sie schreien können, o ja, das wird sie, denn diese Treppe aus schwarzem blitzendem Chrom wird bluten. Bluten und sich winden wie ein lebendes, verwundetes Wesen, und sie wird schreien und kreischen und brüllen und die Hände vor das Gesicht schlagen und trotzdem weitergehen müssen, denn etwas, das stärker ist als du, zwingt dich dazu, etwas, das deinen Willen übernommen - nein: ausgeschaltet - hat. Du wirst den Schrei der Moorhexe hören, die draußen um das Haus schleicht, und einfach nicht begreifen, daß sie und der brennende Mann ein und dasselbe sind, daß du und er und dieses Haus untrennbar miteinander verbunden seid, es immer wart und immer bleiben werdet. Und dann wirst du nur noch den Schrei hören. Diesen entsetzlichen, gräßlichen SCHREI...

1.

Der Schrei hatte sie geweckt.

Sie blinzelte, drehte müde den Kopf in den Kissen und öffnete widerwillig die Augen, während sie gebannt lauschte. Sie hatte Mühe, wirklich zu erwachen. So absurd und unwirklich dieser entsetzliche Nachtmahr gewesen war, hielt er sie doch immer noch fest, selbst jetzt, wo sie wirklich und eindeutig wach war: ein kleiner Teil ihres Selbst war noch immer in der entsetzlichen Welt dieses Alptraumes gefangen, und es kostete sie erstaunliche Kraft, sich vollends zu lösen. Und es war unangenehm, ein Gefühl, als wäre sie in ein gewaltiges klebriges Spinnennetz verstrickt, dessen Fäden sie nur einzeln und unter gewaltiger physischer Kraftanstrengung zerreißen konnte. Und selbst als sie es endlich geschafft hatte, war es noch nicht völlig vorbei. Der Traum schickte ihr einen allerletzten, bösen Gruß in die Wirklichkeit hinterher: für einen kurzen Moment fühlten sich ihr Gesicht und ihre Hände klebrig an, als wäre sie wirklich durch jenes entsetzliche Spinngewebe hin durchgelaufen, um den Weg ins Wachsein zu finden. Im ersten Moment hatte sie Angst, daß sie selbst geschrien haben könnte, so real war der Alptraum gewesen. Sonderbar erweise hatte sie überhaupt keine Angst, sondern empfand nur einen schwachen Schrecken, gepaart mit Verwirrung und einer fast wissenschaftlichen Neugier. Sie neigte nicht zu Alpträumen - nicht einmal zu Träumen -, wenigstens nicht solchen, an die sie sich hinterher erinnerte, und ihr Erlebnis erfüllte sie jetzt, nachdem auch der letzte Schrecken allmählich verebbte, mit der Erregung, etwas völlig Neues und Unbekanntes erfahren zu haben. Es war keiner jener Alpträume gewesen, wie ihn jedermann von Zeit zu Zeit einmal hatte, nicht von dieser unsinnigen, kalten Furcht, die einem noch ein Stück weit ins Wach sein hineinnachschleicht und einen mit rasendem Herzschlag und zitternden Gliedern und kaltem Schweiß auf der Stirn erwachen läßt. Sie erinnerte sich an jede Kleinigkeit, jedes noch so winzige, entsetzliche Detail, aber sie hatte jetzt überhaupt keine Angst mehr. Mit dem Traum war auch die Furcht einfach abgeschaltet worden. Sie war nur verwirrt. Die einzige Furcht, die geblieben war, war die, daß sie selbst geschrien und Stefan damit geweckt haben könnte, was an sich nicht einmal schlimm gewesen wäre, sie aber in die unangenehme Situation brächte, Stefan erklären zu müssen, was passiert war.

Und das wußte sie selbst nicht so genau.

Ein Traum - sicher. Und doch...

Etwas daran war anders gewesen. Trotz seiner vollkommen konfusen und widersinnigen Handlung war er ungeheuer real gewesen, so real, daß ... Sie verscheuchte den Gedanken, stemmte sich halb auf die Ellbogen hoch und sah sich um, fast als müsse sie sich in der Wirklichkeit fest klammern - oder als müsse sie sich selbst beweisen, daß dies die Wirklichkeit war, und nicht die abstrusen schwarzen Chrom-Zimmer ihres Traumes, wisperte eine böse Stimme hinter ihrer Stirn. Sie glaubte Flammen zu riechen...

Liz verscheuchte auch diesen Gedanken, atmete bewußt tief ein und aus und preßte die Lider so fest zusammen, daß bunte Kreise und Ringe vor ihren Augen erschienen. Es half. Die Visionen waren fort, als sie die Augen abermals öffnete. Auf ihren Netzhäuten flimmerten blasse Nachbilder der grellen Blitze.

Was sie sah, war von einer beruhigenden Normalität: Das Zimmer war dunkel, erfüllt von grauen und schwarzen Schatten und einer Kühle, die sie die wohlige Wärme unter der dünnen Leinen decke als doppelt angenehm empfinden ließ. Schatten trieben durch den Raum, aber es waren die normalen, durch und durch vertrauten Schatten dieses Zimmers, die sie so gut kannte wie die Möbelstücke und die Einrichtung. Sie hatten nichts Bedrohliches. Die Dunkelheit, die sie sah, war von jener Art, die Schutz und Wärme versprach, nicht Gefahr. Trotz (oder vielleicht gerade wegen!) des Alptraumes, der noch immer in ihrer Seele wühlte, fühlte sie sich auf eine wohltuende, entspannte Art erschöpft und matt. Dem abrupten Erwachen aus dem Alptraum schien ein zweites, ganz normales zu folgen. Mit einem Male fühlte sie sich müde, und ihre Gedanken bewegten sich schwerfällig und träge, wie kleine störrische Tiere, die sich nur unter Protest bereit fanden, in den gewohnten Bahnen zu laufen. In ein paar Minuten, das wußte sie, würde sie über den Traum lachen. Nein, nicht einmal das - sie würde ihn einfach vergessen haben. So sonderbar er gewesen war, er war es nicht wert, für länger aufbewahrt zu werden.