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»Hier.« Der Autoschlüssel beschrieb einen glitzernden Bogen durch die Luft und landete in Stefans ausgestreckter Hand. »Fahr den Wagen in den Schuppen. Wenn dir das nicht zu viel Mühe macht, heißt das«, fügte Liz spitz hinzu.

Dann drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und folgte Heyning ins Haus. Sie widerstand nur mit Mühe der Versuchung, sich unter der Tür herum zudrehen und zu Stefan zurückzublicken. Sie wußte, daß er dastehen würde, die Arme trotzig vor der Brust verschränkt und das Gesicht voller stummem Vorwurf, der sehr deutlich sagte, wie ungerecht sie ihn behandelte. Sie wußte ganz genau, daß dies nichts als eine raffinierte Taktik war, aber sie wußte auch, daß sie sich - trotzdem - davon erweichen lassen würde, wenn sie sich jetzt herumdrehte und zu ihm zurückging. Also tat sie es nicht.

Als sie die Haustür hinter sich ins Schloß drückte, hörte sie draußen den Motor des Jaguars auf brüllen; ein Höllenlärm, zu dem sich Augenblicke später das Kreischen durchdrehender Reifen gesellte. Sie seufzte und wandte sich an Heyning, der unweit der Tür stehen geblieben war und ganz offensichtlich nichts mit seinen Händen anzufangen wußte. Sein Blick wich ihr aus. Er war sehr nervös.

»Sie schlafen vorerst in der kleinen Kammer neben der Küche«, sagte sie. »Dort.« Heyning nahm seine Koffer auf und wankte unter der Last auf die Tür zu, die sie ihm mit einer Kopfbewegung gewiesen hatte. Wie alle Türen hier im Haus - alle außer denen im Wohn-, Schlaf- und Stefans Arbeitszimmer, die er eigenhändig vergrößert hatte, nachdem er sich ein halbes Dutzend Mal den Schädel angestoßen hatte - war sie so niedrig, daß selbst Peter sich hindurch bücken mußte. Liz drängelte sich an ihm vorbei, tastete im Dunkeln nach dem altmodischen Drehschalter und drehte ihn wie gewöhnlich ein Stück zu weit, so daß das Licht für einen kurzen Moment aufflammte und sofort wieder erlosch. Liz zog eine Grimasse und drehte den Schalter behutsam ein winziges Stück zurück. Diesmal blieb das Licht an. Das nächste, was sie erneuern würden, nahm sie sich vor, waren die Lichtschalter im ganzen Haus. Aber sie hatte sich schon eine Menge Dinge vorgenommen, seit sie dieses Haus bezogen hatten, ohne auch nur ein Zehntel davon bisher in die Tat umgesetzt zu haben. »Wir haben nicht mehr damit gerechnet, Personal zu finden«, sagte sie entschuldigend, als sie Licht gemacht und Heyning den winzigen Raum betreten hatte. Liz erschrak selbst, als sie sich umdrehte. Das Licht der nackten Glühbirne unter der Decke zeigte ihnen ein schmuddeliges Loch, in das sie normalerweise nicht einmal einen Hund gesteckt hätte.

Das Zimmer war winzig - ein ungleichmäßiges Rechteck von drei auf fünf Schritten, das durch die niedrige Decke noch kleiner erschien, als es ohnehin war. Die Muster der Tapeten waren so verblichen, daß sie nicht einmal mehr zu erraten waren - irgendeine Geschmacklosigkeit aus rankenden Wein blättern oder ähnliches, vermutete Liz -, und trotz der vorgelegten Läden war zu erkennen, wie schmutzig die Fensterscheiben waren; blind und grau wie kleine rechteckige Platten aus halb durchsichtigem Blei, nicht wie Glas. Eine davon war in einem komplizierten Muster gesprungen, das sie an ein Spinnennetz erinnerte. In der Luft hing ein so durchdringender Geruch nach Feuchtigkeit und Moder, daß Liz im allerersten Moment fast Mühe hatte, hier drinnen zu atmen. Grünlicher Schimmel hatte sich in den Ritzen der ausgetretenen Fußbodenbretter festgesetzt. Die Einrichtung bestand aus einem hart aussehenden Bett, das wahrscheinlich genauso alt war wie das Haus selbst, einem wackeligen Tisch und einer niedrigen Kommode. Stühle gab es nicht.

»Wir... wir suchen gleich morgen eine bessere Unterkunft für Sie«, sagte Liz verlegen. Seltsam: Sie hatte gewußt, daß das Zimmer heruntergekommen war - aber sie hätte schwören können, daß es nicht so ausgesehen hatte! »Vielleicht - wenn wir noch mehr Leute finden - bauen wir das Gesindehaus wieder auf«, sagte sie lahm, nur aus dem Bedürfnis heraus, überhaupt etwas zu sagen.

Heyning lud sein Gepäck auf dem Tisch ab und sah sie schuldbewußt an. »Sie haben sich also mit Ihrem Mann gestritten.«

Liz schüttelte den Kopf. »Quatsch«, sagte sie ein wenig zu heftig, um noch überzeugend wirken zu können. Sie lächelte verlegen. »Das sieht nur so aus, Peter. Wir streiten uns eigentlich nie - und wenn doch, reißen wir uns bestimmt nicht gegenseitig die Köpfe ab. Machen Sie sich darum keine Sorgen.«

Sie lächelte abermals, sah sich mit wachsendem Unbehagen im Zimmer um und entdeckte noch mehr Anzeichen von Verfall und Alter, die ihr bisher nicht aufgefallen waren. Eine der Wände war feucht, ein fast mannsgroßer Fleck, der in der schlechten Beleuchtung nur schwach zu erkennen war und fast die Form einer großen, sechs fingrigen Hand hatte, und die Decke hing in der Mitte ein wenig durch, wo das Gemisch von Lehm und Stroh unter der Last der Jahrzehnte nachgegeben hatte. Sonderbar erweise war sie von makelloser Farbe. Der Anblick erinnerte Liz an den aufgedunsenen Bauch eines toten weißen Wales. Sie verscheuchte den Gedanken, lächelte noch einmal flüchtig und ging zur Tür. »Für heute haben Sie frei«, sagte sie, ehe sie hinausging.

»Und morgen früh können Sie ausschlafen, so lange Sie wollen. Sie müssen furchtbar müde sein. Der Weg ist bestimmt anstrengend gewesen. Wenn Sie ausgeschlafen haben, sehen Sie sich in aller Ruhe erst einmal den Hof an. Zu arbeiten brauchen Sie morgen noch nicht. Nach dem Abendessen setzen wir uns dann zusammen und unterhalten uns darüber, wie wir aus diesem Trümmerhaufen wieder einen funktionierenden Hof machen. Und jetzt schlafen Sie. Es ist spät.«

»Sie... Sie werden Ihrem Mann doch nichts erzählen?« fragte Heyning ängstlich. Liz nahm die Hand von der Klinke und trat noch einmal auf ihn zu. »Wovon?« fragte sie. »Von Andy?«

Peter nickte. »Und... und Ohlsberg.«

»Nein«, sagte sie, wenn auch erst nach kurzem Überlegen, das Peter keineswegs entgehen konnte. »Wenigstens heute noch nicht. Und auch morgen nicht. Nicht, bevor Sie es mir erlauben. Überlegen Sie es sich, solange Sie wollen. Und wenn es so weit ist, kommen Sie zu mir. Und haben Sie keine Angst vor Stefan. Er wirkt manchmal ein bißchen brummig, aber im Grunde ist er ein netter Kerl.« Sie lächelte aufmunternd, drehte sich rasch um und verließ den Raum.

Draußen lehnte sie sich schwer atmend gegen die Wand, schloß für einen Moment die Augen und wartete, bis sich ihr rasender Pulsschlag wieder einigermaßen beruhigt hatte. Was war nur mit ihr los? Sie war sicher, daß sich das Zimmer verändert hatte, und das war nicht alles - gerade, als sie mit Peter sprach, da hatte er sich für den Bruchteil einer Sekunde wieder in diese entsetzliche Schattengestalt mit dem Gorgonenhaupt verwandelt, als die sie ihn schon draußen im Wald gesehen hatte. Was geschah mit ihr? Verlor sie allmählich den Verstand, oder begann sich in diesem Haus wirklich irgend etwas zu verändern, langsam, ganz langsam, aber keineswegs unmerklich?

Liz atmete ein paar mal tief und gezwungen langsam ein und aus, hob die Hände vor die Augen und zwang sie mit enormer Willenskraft, nicht mehr zu zittern. Erst dann stieß sie sich von der Wand ab und ging ins Wohnzimmer hinüber. Ihre Knie zitterten. Eine völlig neue, unbekannte Art von Furcht hatte sich in ihr Herz gekrallt.

8.

Stefan wartete bereits auf sie. Er stand neben dem Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt, blickte sie mit schräggehaltenem Kopf an und wartete geduldig, bis sie die Tür hinter sich ins Schloß gezogen hatte. »Was hast du?« fragte er überraschend sanft. »Du bist blaß. Deine Hände zittern.«