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Liz blickte ganz automatisch auf ihre Finger herab und unterdrückte im letzten Moment den Impuls, sie hinter dem Rücken zu verbergen. »Nichts«, sagte sie ausweichend. »Es ist nichts.«

»Nichts?« Stefans Gesichtsausdruck machte sehr deutlich, wie wenig er von dieser Antwort hielt. Aber er kannte sie gut genug, nicht weiter auf diesen Punkt einzugehen. »Wo ist Heyning?«

»Ich... habe ihm die Kammer neben der Küche gegeben«, sagte Liz und machte eine entsprechende Kopfbewegung. Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht ganz. »Ist dir in... in letzter Zeit irgend etwas daran aufgefallen?« fügte sie zögernd hinzu. »Aufgefallen?« Stefan schüttelte den Kopf. »Was soll mir aufgefallen sein?«

»Das Zimmer ist in einem entsetzlichen Zustand«, antwortete Liz. »Viel schlimmer, als ich es in Erinnerung hatte.«

Stefan zuckte die Achseln. »Es ist ein altes Haus«, erklärte er. »Aber du kannst deinem Gast natürlich auch unser Schlafzimmer geben. Ich übernachte gerne hier unten, damit er es bequem hat.«

»Peter ist nicht mein Gast!« zischte Liz. »Verdammt nochmal, was ist eigentlich heute mit dir los?«

Er zuckte zusammen und sah ihr einen Herzschlag lang in die Augen, ehe er antwortete. »Die gleiche Frage wollte ich dir gerade stellen.« Seine Stimme klang leise. Der Zorn war daraus gewichen, und er wirkte im Gegenteil jetzt ein bißchen verunsichert; wahrscheinlich, weil ihn die Plötzlichkeit ihres Überfalls überraschte, obwohl er ihn selbst herausgefordert hatte. Er war manchmal auf brausend, aber er beruhigte sich im allgemeinen auch genauso schnell wieder. Entsprechend war er es jetzt, der sich plötzlich in die Defensive gedrängt sah. »Was hast du eigentlich?« wiederholte er. »Hat dieser Heyning deine Mutterinstinkte geweckt, oder was?« Er schüttelte den Kopf, »Ich weiß, daß du es nicht gerne hörst, aber man braucht dir nur zu sagen, daß jemand nicht ganz gesund ist oder hilflos oder zurückgeblieben oder sonstwas, und schon verwandelst du dich in eine zweibeinige Glucke.«

»Vielleicht ist das der Grund, warum ich dich geheiratet habe«, gab sie zurück. Die Worte taten ihr im gleichen Augenblick schon wieder leid, aber es war zu spät, um sie zurückzunehmen.

Aber Stefan schien die Spitze ohnehin überhört zu haben. »Du hättest nur ein Wort zu sagen brauchen, und ich wäre hinausgefahren und hätte ihn geholt«, sagte er ruhig. Und so, wie er es sagte, klang es ehrlich. Liz war verwirrt. Und sie sträubte sich mit aller Macht gegen den Gedanken, daß vielleicht doch sie es gewesen sein könnte, die einen Fehler gemacht hatte.

»Aber du ...«

»Ich habe nicht gesagt, daß es mir Spaß gemacht hätte«, fiel Stefan ihr ins Wort. »Aber ich wäre gefahren. Hast du dir eigentlich einmal überlegt, was dir da draußen alles hätte passieren können?«

»Was soll mir da draußen schon passieren?« gab sie trotzig zurück. »Nicht mehr als dir, oder?«

»Mag sein«, entgegnete er schulterzuckend. »Aber in dieser Hinsicht bin ich altmodisch. Ich möchte nicht, daß sich meine Frau in Gefahr begibt, wenn es zu vermeiden ist. Mein Gott, Liz - ein Wort, und ich hätte Heyning Bescheid gesagt, daß er bis morgen früh in Schwarzenmoor auf mich wartet, ganz egal, was Ohlsberg dazu sagt.« Er schwieg einen Moment. »Wo hast du ihn überhaupt aufgelesen?« Sie sagte es ihm, und er wurde bleich.

»Bist du geflogen?«

»Nein. Nur schnell gefahren.« Sie lächelte. »Das habe ich von dir gelernt, Schatz. Wozu haben wir einen so schnellen Wagen, wenn wir ihn nicht benutzen?« Ihr Gespräch kam ihr immer irrealer vor. Stefan antwortete nicht, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht sprach Bände. Liz spürte, wie auch ihr Zorn allmählich verflog und einem sehr betretenen, schuldbewußten Empfinden Platz machte. Sie sah ihn um Verzeihung heischend an und lächelte. Das Gefühl, daß es jemanden gab, der sich Sorgen um sie machte, tat gut.

»Möchtest du etwas zu trinken?« fragte Stefan.

Es war normalerweise nicht ihre Art, irgendwelchen Kummer mit Alkohol zu betäuben, aber jetzt war ihr danach. Sie nickte dankbar. »Gern.«

Er ging zur Bar und schenkte zwei Gläser voll. »Im Ernst«, begann er von neuem, als er zurück war. Eiswürfel klirrten in ihren Gläsern, und der warme Widerschein des Kaminfeuers ließ sein Haar dunkelrot aufflammen. (Dunkelrot? Aber er hatte doch gar kein rotes Haar!) »Du bist schon den ganzen Tag über gereizt. Ist es ... immer noch dieses Geräusch, das dir Sorgen macht?«

Sie nahm das Glas und trank einen großen Schluck, um Zeit zu gewinnen. (Wieso kam er ausgerechnet jetzt darauf? Sie hatte den ganzen Tag nicht darüber nachgedacht!) Wie sollte sie eine Frage beantworten, die sie sich selbst noch nicht einmal gestellt hatte?

Aber wahrscheinlich hatte er sogar recht - irgend etwas war heute morgen geschehen, und, zum Teufel, sie wußte einfach nicht, was! Sie wußte nur, daß es irgendwie mit diesem unheimlichen Laut zusammenhing, den sie gehört hatte.

Etwas ist erwacht, wisperte eine Stimme hinter ihrer Stirn. Sie hatte den gleichen Gedanken gedacht, vor ein paar Stunden erst, und doch erfüllte er sie jetzt mit einem solchen Schrecken, daß sie selbst spürte, wie sie erbleichte. Ihre Hände begannen zu zittern. Die Eiswürfel in ihrem Glas klirrten. Hastig trank sie einen Schluck, damit Stefan es nicht merkte. »Vermutlich«, sagte sie hastig. »Wahrscheinlich war es so. Vielleicht habe ich auch einfach nur schlecht geschlafen.« Sie leerte ihr Glas mit einem Zug, hielt es ihm hin und sagte auffordernd: »Noch einen.«

»Du weichst aus«, sagte Stefan.

»Nein. Ich habe Durst«, entgegnete sie trotzig. »Das ist alles.«

Kopfschüttelnd nahm er das Glas, füllte es erneut und kam zurück. »Es liegt daran, nicht?« sagte er plötzlich.

Sie fuhr zusammen und verschüttete ein paar Tropfen Brandy auf den teuren Teppich. Verdammt, warum ritt er so auf diesem Punkt herum? »Wie - wie kommst du darauf?« Stefan lächelte, aber es wirkte nicht echt; nur eine Geste, wie eine unbewußte Handbewegung. »Ich weiß nicht... nur so. Du warst ziemlich verstört, als wir darüber sprachen. Außerdem hast du mir noch nie etwas vormachen können, das weißt du doch. Und seitdem bist du gereizt und schlicht und einfach unausstehlich.«

»Wahrscheinlich war es ein Alptraum«, antwortete sie. »Ja. Ein Alptraum. So muß es gewesen sein.«

»Oder vielleicht doch ein Fuchs.«

»Nein.« Sie schüttelte heftig den Kopf. Seltsamerweise fiel es ihr plötzlich nicht mehr schwer, darüber zu reden. Im Gegenteil. Es tat gut. Es erleichterte. Und trotzdem war sie nicht in der Lage, weiter zu reden. Es war, als wäre da etwas in ihr, was verhinderte, daß sich die Gedanken zu Worten formten. Plötzlich konnte sie sich wieder ganz klar an ihren Traum erinnern, aber es war eine sehr sonderbare, fast unheimliche Art von Erinnerung; eine, die sich auf einer tieferen Ebene ihres Bewußtseins abzuspielen schien, eine, die ihrem direkten Zugriff entzogen war.

»Es muß ein Traum gewesen sein«, sagte sie heftig. »Ich bin mir ganz sicher. Vergessen wir es.«

Stefan schwieg einen Moment und setzte sich dann auf die Couch. Liz nahm neben ihm Platz und schmiegte sich an seine Seite. Seine Wärme tat auf sehr sonderbare Weise wohl. Irgendwie schien sie ihr Schutz zu geben, obwohl sie noch nicht einmal wußte, wovor. Vielleicht vor den Schatten der Nacht, die durch das Fenster krochen. Wieso Nacht?dachte sie entsetzt. Es war...

»Vielleicht«, sagte Stefan scherzhaft, »hast du eine Banshee gehört.« Er lachte glucksend, und trank einen tiefen Schluck. Sie sah auf, noch immer eng gegen seine Schulter geschmiegt, und für einen ganz kurzen Moment kam ihr sein Gesicht fremd und beinahe feindselig vor. Er lächelte, aber es war das Lächeln eines bösen Clowns, ein höhnisches Grinsen aus Blut und Toten weiß. Sein Adamsapfel bewegte sich, während er trank. Für Liz sah es aus, als bewegte sich ein knorpeliger kleiner Käfer in seinem Hals auf und ab. Für einen Moment bildete sie sich fast ein, das Spiel der dürren Beinchen durch seine Haut hindurch sehen zu können.