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Beinahe entsetzt schloß sie die Augen. Es lag nur an der verzerrenden, ungewohnten Perspektive, dachte sie verzweifelt, an ihrer Überreiztheit und der Furcht, die sie aus Peters Zimmer mit hier hergebracht hatte. Seltsam - warum hatte sie ihm eigentlich nichts von Peters Zimmer erzählt? Als sie die Augen wieder öffnete, war Stefans Gesicht wieder normal.

Er leerte sein Glas, stellte es behutsam neben sich auf die Couch und sagte noch einmaclass="underline" »Eine Banshee. Das wird es sein.«

Sie wollte ihn fragen, was eine Banshee war, aber er wechselte bereits das Thema. »Vielleicht sollten wir Urlaub machen.« Er lehnte sich zurück, plazierte ihren Kopf auf seinem Schoß und fragte: »Hättest du Lust, einmal für eine Weile in die Stadt zu fahren? Vielleicht würde es dir Spaß machen, alte Freundinnen wiederzusehen.« Sie spürte, daßer diesen Vorschlag nicht impulsiv machte. Trotz seiner Wut war ein Teil von ihm wahrscheinlich die ganze Zeit über mit der Frage beschäftigt gewesen, wie er sie wieder beruhigen konnte - so war Stefan nun einmal. Trotzdem sagte sie: »Ich lege gar keinen Wert darauf, diese dummen Gänse wiederzutreffen. Hast du schon gehört? Jenni hat jetzt ein Verhältnis mit diesem Igor! Und dieser Hut, den sie letzte Woche auf der Party getragen hat. Unmöglich, sage ich dir. Unmöglich!« Sie lachten beide, aber Stefans Augen blieben ernst. Draußen wurde es jetzt rasch dunkel. Das Licht im Zimmer begann zu verblassen. »Wirklich«, sagte er. »Ich denke, daß ich nächste Woche mit dem Roman fertig sein kann. Ich kann ihn ebenso gut selbst nach Hamburg bringen. Es wird sowieso Zeit, daß ich mich mal wieder im Verlag sehen lasse. Was meinst du?« Sie zuckte mit den Schultern, trank einen Schluck und beschlabberte prompt ihr Kleid, weil man im Liegen nun mal nicht besonders gut trinken konnte.

»Ferkel«, sagte Stefan. »Aber du bist mir trotzdem eine Antwort schuldig.« Liz seufzte. »Du bist manchmal unglaublich stur.«

»Ich weiß.«

»Aber wir können Peter doch nicht direkt am ersten oder zweiten Tag mit dem Hof all einlassen.«

Stefan lachte. »Ich glaube, er kommt bestimmt besser zurecht, wenn du ihm nicht im Weg herumstehst. Und ich glaube, es wird dir gut tun, einmal hier herauszukommen.« Sie richtete sich auf und rutschte ein Stück von ihm weg. »Aber ich fühle mich wohl hier.« Eine Haarsträhne fiel ihr aus der Stirn und kitzelte sie an der Nase. Sie blies sie weg. »Wirklich.«

»Das glaube ich dir. Ich habe ja auch nicht gesagt, daß wir hier weg wollen. Bloß ein paar Tage.« Er stand auf und ging zur Bar, um sich einen neuen Drink ein zugießen. Im Vorübergehen schaltete er die Stereoanlage ein. Leise Gitarrenmusik plätscherte aus den versteckt eingebauten Lautsprechern. Weder Iron Mai den noch Accept, wie Liz sehr wohl bemerkte. Er hatte eine von ihren Platten aufgelegt, Homeland von Blonker, eine jener Platten, von denen er normalerweise behauptete, es wäre barbarischer Radau oder - je nach Stimmung - Schleim.

»Was meinst du«, sagte er nachdenklich. »Sollen wir uns wieder vertragen?«

9.

An diesem Morgen wachte sie später auf als gewöhnlich. Sie hatte nicht geträumt - weder von Zimmern, die plötzlich um ein Jahrhundert alterten, noch von Riesen mit peitschenden Gorgonenhäuptern oder schwarz verchromten Treppen, die bluteten. Aber in ihrem Kopf war ein leichter, bohrender Druck, eher lästig als wirklich schmerzhaft, und das grelle Sonnenlicht, das durch die weit geöffneten Fenster her einströmte, stach unangenehm in ihre Augen. Auf ihrer Zunge war ein schlechter Geschmack, als hätte sie gestern abend zu viel getrunken.

Sie hatte es nicht, aber als sie sich bewegte, machte sich ein deutliches Schwindelgefühl hinter ihrer Stirn bemerkbar, und im Magen verspürte sie ein deutliches Unwohlsein. Kein Zweifel - sie hatte einen Kater. Konnte man von zwei Brandys einen Kater bekommen? überlegte sie. Nun, es mußte wohl so sein. Sie blieb noch einen Moment liegen, ließ das Schwindelgefühl hinter ihrer Stirn verebben und richtete sich auf, fuhr sich schlaftrunken mit der Hand über das Gesicht und gähnte herzhaft. Vom Hof drang das leise Bellen Carrys herauf, unterbrochen von einem rhythmischen, metallisch hellen Klappern, das ihr irgendwie störend - oder jedenfalls neu - vor kam. Sie war sicher, es noch nie hier gehört zu haben. Was war das?

Sie schlug die Bettdecke zurück, stand auf und ging zur Tür, noch halb im Schlaf, die Hände tastend nach beiden Seiten ausgestreckt und unsicher. Als sie die Hand auf die Klinke legte, prallte sie zurück. Sie erwachte schlagartig.

Vom Bett her erklang ein leises, amüsiertes Lachen. »Du bist also auch drauf reingefallen.«

Liz drehte sich um. Stefan saß auf der Bett kante, komplett angezogen, und rauchte eine Zigarette. In ihrem Schlafzimmer. Sie haßte es, wenn er im Schlafzimmer rauchte. »Gar nicht so leicht, sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß wir nicht mehr allein im Haus sind«, sagte er spöttisch. »Nicht?«

Sie sah, wie seine Zigarette nasche auf den Teppich fiel, war aber noch immer viel zu benommen, um auch nur mit einem Wort darauf zu reagieren. Und er hatte recht. Sie war nackt, wie sie aufgestanden war, zur Tür gegangen. Das tat sie jeden Morgen. Seit sie hier draußen lebten und vollkommen allein waren, hatte sie sich angewöhnt, sich erst nachdem Duschen anzuziehen. Aber natürlich ging das jetzt nicht mehr, wo Peter im Haus war.

»Du kannst ruhig ins Bad gehen«, sagte Stefan. »Peter ist im Schuppen. Hörst du ihn hämmern?«

»Ja. Was - was macht er?« Wieder fiel ihr das Hämmern und Klingen auf. Es hörte sich an, als hätte Mime der Schmied mit einer ganzen Kompanie Gesellen auf ihrem Hof Quartier bezogen.

Stefan zuckte mit den Achseln, ließ sich hintenüber aufs Bett sinken und gähnte ausgiebig, wobei die glühende Spitze seiner Zigarette bedrohlich nahe ans Kopfkissen geriet. Liz nahm sich vor, ihn auf der Stelle zu lynchen, wenn er ein Loch in ihre kostbare Damast-Wäsche brannte.

»Ich habe keine Ahnung«, gestand er. »Aber er ist schon den ganzen Morgen wie ein Berserker beschäftigt.«

Liz runzelte die Stirn, gähnte und ließ sich müde gegen die Tür sinken. »Ich dachte, er wollte sich den Hof erst einmal ansehen.«

»Das hat er getan«, nickte Stefan. »Er war schon vor Sonnenaufgang auf den Beinen, glaube ich.«

»Und wieso bist du schon wach?« Eine schwache Spur von Mißtrauen machte sich in Liz breit.

Stefan grinste anzüglich. »Wieso auch nicht«, antwortete er. »Es ist nach elf.«

»Was?« Erschrocken sah sie auf die Uhr. Es war Viertel nach elf. Elf Uhr fünfzehn - kein Zweifel.

Stefan feixte. »Es tut richtig gut, daß ich dir jetzt einmal vorhalten kann, verschlafen zu haben.«

»Na, das kannst du ja auch im Kalender rot anstreichen«, erwiderte sie lahm. Sie war verwirrt. Wieso hatte sie so lange geschlafen?

»Habe ich getan.« Er stand auf und deutete auf den Wandkalender neben der Tür. »Siehst du?«

Sie folgte seiner Bewegung. Er hatte wirklich das heutige Datum mit einem roten Kringel versehen. Liz mußte unwillkürlich lachen.

»Der Kaffee ist schon seit einer Stunde fertig«, sagte Stefan. »Zieh dir was über, dann können wir frühstücken. Wie hast du überhaupt geschlafen?«

Liz antwortete erst nach kurzem Zögern. Sie war sich nicht darüber im klaren, wie sie geschlafen hatte. Sie erinnerte sich bloß daran, nicht geträumt zu haben. Es war nicht das normale Gefühl, sich nicht an einen Traum oder die Tatsache, überhaupt geträumt zu haben, zu erinnern, sondern etwas vollkommen Neues und Beunruhigendes - eine Art absurdes, positives Gefühl, nichts, überhaupt nichts geträumt zu haben.