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»Bist du krank oder so was?« fragte sie, während sie Platz nahm, noch immer zögernd und ohne den Blick von der aufgeräumten Küche zu nehmen, als hätte sie Angst, das Bild könnte wie eine Seifenblase zerplatzen, wenn sie auch nur einmal weg sah. Tatsächlich war es genau das, was sie in diesem Moment befürchtete, ganz ernsthaft. Stefan biß in sein Brötchen und antwortete mit vollem Mund: »Um deine Frage zu beantworten, Liebling: Peter ist passiert. Bedank dich bei ihm.«

»Hat - er das getan?«

»Er besteht darauf, daß wir beide es getan haben.« Stefan lächelte flüchtig. »Aber ich muß zugeben, daß er den Hauptanteil der Arbeit gemacht hat. Ich glaube, einen besseren Mann hätten wir gar nicht bekommen können.«

Liz starrte noch eine geraume Weile auf das schier unglaubliche Bild, ehe sie sich mit einem spürbaren Ruck davon losriß und an ihrem Kaffee nippte. Er war lauwarm und viel zu stark. Aber Stefan hatte noch nie Kaffee kochen können. Nun ja - schließlich konnte man nicht alles verlangen.

»Ich muß sagen, du änderst deine Meinung ziemlich schnell«, murmelte sie. »Gestern abend hättest du ihn am liebsten an den Füßen aufgehängt und ausgepeitscht.«

»Nicht aufgehängt«, antwortete Stefan ungerührt. »Auspeitschen hätte mir völlig genügt. Ich bin rachsüchtig, das weißt du doch. Aber das war gestern.« Er zuckte mit den Schultern, als wäre dies Grund genug für seinen plötzlichen Stimmungswandel. »Ich habe mich heute morgen mit ihm unterhalten. Ziemlich ausführlich. Ich denke, er ist ein netter Kerl. Ich werde ihm eine Gehaltserhöhung geben.«

»Am ersten Tag?«

»Warum nicht? Er ist ein guter Mann.«

Liz lächelte verwirrt. Sie verstand immer weniger, was hier überhaupt vorging. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie überhaupt schon wach war oder vielleicht noch schlief und dies alles nur träumte. Dann nippte sie wieder an ihrer Tasse. Nein - dieser Kaffee war selbst für einen Alptraum zu schlecht. »Du neigst dazu, über das Ziel hinauszuschießen«, stellte sie fest.

Stefan zuckte abermals mit den Schultern. »Mag sein. Aber du solltest dir ansehen, was er mit dem Gemüsegarten angestellt hat.«

»Eh?« Liz richtete sich kerzengerade auf.

Stefan grinste, biß in sein Brötchen und schwieg.

Sie frühstückten rasch zu Ende. Stefan räumte das Geschirr ab und verstaute es mit mehr gutem Willen als Können und unter gewaltigem Scheppern und Klirren in der Spüle. »Wir waschen heute abend ab«, sagte er. »Ich habe jetzt zu tun.«

»So?«

Er nickte. »Ja. Ich will noch ein paar Seiten schreiben. Das war jetzt genug Familienidylle für einen Morgen. Der alltägliche Überlebenskampf ruft.« Liz sah ihn mißtrauisch an. »Woher diese plötzliche Arbeitswut?« fragte sie. »Normalerweise muß ich dich doch an deine Maschine prügeln.«

»Ich habe dir versprochen, daß wir wegfahren, oder?« gab er zurück, schon halb auf dem Weg zur Tür. Sie nickte. »Siehst du. Und je eher ich fertig bin, desto schneller können wir weg.« Er drehte sich um, warf die Tür hinter sich ins Schloß und war verschwunden.

Liz starrte die geschlossene Tür eine Zeit lang stirnrunzelnd an, ehe sie aufstand und die Küche verließ.

10.

Auf dem Flur blieb sie einen Moment stehen. Fast gegen ihren eigenen Willen suchte ihr Blick die Tür zu Peters Zimmer. Sie sah aus wie immer (natürlich, dachte sie zornig. Warum sollte sie auch irgendwie anders aussehen?!), aber schon der bloße Gedanke an das, was dahinter lag, bereitete ihr fast körperliches Unbehagen. Das Zimmer. Dieses schrecklich verfallene, gealterte Zimmer. Sie wollte die Hand ausstrecken, die Tür aufstoßen und hineinsehen, aber sie konnte es nicht. Und es war nicht einmal die Angst, daß es plötzlich wieder so sein könnte wie am vergangenen Abend, sondern etwas anderes - fast so etwas wie ein fremder, stärkerer Wille, der für einen Moment von außen auf sie einwirkte.

Dann...

... begann die Tür zu pulsieren.

Liz erstarrte. Ihre Hand, schon halb ausgestreckt, um den Türgriff zu fassen, gefror mitten in der Bewegung. Sie konnte sie nicht zu Ende führen, aber sie konnte den Arm auch nicht zurückziehen, sie war gelähmt, unfähig, sich zu rühren. Sie konnte nicht einmal atmen in diesem Moment. Der Blick ihrer Augen, die so weit vor Schrecken waren, daßes schmerzte, saugte sich an der Tür fest, die stärker zu pulsieren begonnen hatte, zitterte, sich ausdehnte und zusammen zog, im schwer fälligen, dumpfen Rhythmus eines gigantischen bösen Herzens.

Verzweifelt versuchte sie sich einzureden, daß es nur eine Sinnestäuschung war, ein böser Spuk, mit dem irgendein außer Kontrolle geratener Teil ihres Unterbewußtseins sie narrte. Die Tür pulsierte. Nur die Tür. Die Wand, in die sie eingebettet war, war normal, reglos und starr, wie eine Wand in einem dreihundert Jahre alten Haus zu sein hatte, aber die Tür bewegte sich, schlug in einem grauenhaften, düsteren Takt, als wäre sie - und nur sie - ganz plötzlich zu entsetzlichem Leben erwacht. Dann - sie wußte nicht einmal, ob sie es wirklich hörte oder ob ihre Phantasie die passenden Geräusche einfach dazu erfand, und vermutlich spielte das auch absolut keine Rolle, in diesem Moment hörte sie Laute: Ein dumpfes, an- und ab schwellendes, rhythmisches Wumm-Bumm, Wumm-Bumm, Wumm-Bumm, wie das Schlagen eines ungeheuerlichen schwarzen Herzens, dann Atemzüge. Ein schweres, unendlich mühsames Atmen, in einer entsetzlichen Tonlage und ungeheuer laut, die mühsamen Atemzüge eines überdimensionalen Darth Vader.

Die Tür veränderte sich. Aus dem riesigen grauen Holz, von dem der letzte Rest Farbe schon vor einem Jahrzehnt abgeblättert war, wurde ... etwas Lebendiges...

Liz schrie. Jedenfalls versuchte sie es. Aber die gleiche, finstere Macht, die ihren Körper beherrschte, lahmte auch ihre Stimmbänder: Über ihre Lippen kam nur ein heller, piepsender Laut, der fast komisch klang. Sie spürte, wie ihre Augen vor Entsetzen ein Stück weit aus den Höhlen quollen, während ihr Blick noch immer wie hypnotisiert an dieser fürchterlichen, lebenden Tür hing. Die Tür war keine Tür mehr. Das Holz war kein Holz, sondern etwas Braunes, Lebendiges, eine gleichmäßige Masse dicht nebeneinanderliegender geriffelter Muskel- und Sehnenstränge, widerlich genug, um von Giger gezeichnet sein zu können. Es war keine Tür mehr, sondern Teil eines gigantischen lebenden Etwas, ein riesenhafter Schließmuskel, hinter dem...

Ihre Hand bewegte sich weiter, kroch Millimeter um Millimeter auf den Türgriff zu, der noch die Form eines Türgriffes hatte, aber etwas anderes, etwas scheußlich Lebendiges, Organisches war, ein Ding aus Knorpel und entsetzlich pulsierendem feuchtem Fleisch, dessen bloßer Anblick ihr Übelkeit bereitete. Trotzdem bewegten sich ihre Finger weiter. Sie würde diese Tür öffnen. Sie mußte sie öffnen. Sie mußte wissen, was dahinter lag, wenn sie nicht den Verstand verlieren wollte! Sie...

Die Tür begann zu bluten.

Ein rasches, krampfhaftes Zucken lief über die fleischige Masse, und dann quoll Blut aus ihren Poren, Millionen mikroskopisch feiner, fast ätherischer Tropfen, die die Tür mit einem Netz pulsierenden dunklen Rots überzogen. Rostiger Blutgeruch schlug ihr entgegen.

Liz prallte mit einem Schrei zurück, riß die Arme vor das Gesicht und taumelte rücklings gegen die Wand, und die Vision erlosch.

Übergangslos, von einem Sekundenbruchteil auf den anderen, war die Tür wieder eine Tür, eine fast hundert Jahre alte Tür aus gerissenem Holz, die ein wenig verquollen in den Angeln hing. Der Herzschlag, das Atmen, das Blut mit seinem entsetzlichem Gestank, dies alles war verschwunden, von einem Moment auf den anderen. Großer Gott - was war das? dachte sie entsetzt. Nur eine neue, sinnlose Vision? War es wirklich geschehen? Und wenn - hatte sie wirklich die Hand ausgestreckt, um diese Höllentür zu öffnen?!