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Die STIMME lachte. EIN KLUGER GEDANKE, sagte sie. ABER NICHT ZU ENDE GEDACHT, KLEINE NÄRRIN. DU BIST NICHT KONSEQUENT GENUG. SELBST WENN DU RECHT HAST, SPIELT ES FÜR DICH KEINE ROLLE. FÜR DICH BIN ICH REAL, OB ICH NUN EXISTIERE ODER NICHT.

Liz suchte vergeblich nach einem Fehler in der Argumentation der STIMME, aber sie fand keinen. Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. »Warum... hast du mich gerufen?« fragte sie. Wenn sie schon in diesem Wahnsinn gefangen war, warum sollte sie das Spiel dann nicht mitspielen? Vielleicht war dies der einzige Weg, dieses Netz aus Irrsinn und Horrorvisionen zu durchbrechen. Gleichzeitig hatte sie beinahe panische Angst vor der Antwort.

ICH WEISS NICHT GENAU, gestand die STIMME. MÖGLICHERWEISE AUS ZEITVERTREIB. MANCHMAL BIN AUCH ICH EINSAM. AUCH GEISTER SIND NICHT GEGEN LANGEWEILE GEFEIT, OPFER.

»Opfer? Wieso nennst du mich so?«

WEIL DU ES BIST, antwortete die Stimme. Der Spott darin war nicht mehr zu überhören. DU WEISST ES. DU BIST HIER, UM ZU SEHEN, WAS KOMMT. »Meine ... Zukunft?« fragte Liz. Sie lachte, aber es klang selbst in ihren Ohren unecht. WAS SEIN WIRD, erwiderte die STIMME stur. ICH.

»Ich... werde nicht wiederkommen«, sagte Liz unsicher.

Sie kam sich vor wie ein kleines Kind, das einfach die Augen schloß und sich einbildete, damit in Sicherheit zu sein.

DU BIST JETZT GEKOMMEN.

»Aber ich werde nicht wiederkommen«, beharrte Liz stur.

DANN KOMME ICH ZU DIR.

»Warum ... warum erzählst du mir das alles?« stammelte Liz. »Ich könnte fliehen.« FLIEHEN? VOR MIR? DAS IST UNMÖGLICH. ICH BIN ÜBERALL. ICH BIN IN DIR, OPFER. HAST DU DEINE EIGENEN WORTE VERGESSEN?

»Ich könnte dich bekämpfen«, stammelte Liz. »Ich könnte es jedem erzählen, daß du hier bist. Sie würden kommen und dich vernichten.«

MICH VERNICHTEN? Die Stimme lachte böse. ICH BIN NICHT FRANKENSTEINS MONSTER ODER DOKTOR MABUSE - AUSSERDEM - NIEMAND WÜRDE DIR GLAUBEN.

Stöhnend schloß Liz die Augen, versuchte den beginnenden Wahnsinn zurückzudrängen und schloß die Hände zu Fäusten, so fest, daß sich ihre Fingernägel schmerzhaft in die Handfläche gruben.

Als sie die Augen wieder öffnete, war der See verschwunden, die Stimme erloschen.

12.

Sie war nicht einmal mehr im Wald, sondern stand auf dem Weg, zwei Schritte vom Waldrand entfernt, der jetzt wieder ein ganz normaler Wald war, keine schwarze Wunde in der Wirklichkeit mehr. Die Tür in die Welt der Alpträume war wieder zugeschlagen.

Und jetzt kam auch die Angst.

Liz' Hände und Knie begannen so heftig zu zittern, daß sie für Sekunden einfach stehen blieb, reglos und ohne zu atmen. Ihre Gedanken drehten sich hektisch im Kreis, schlugen Purzelbäume, begannen sich zu verwirren. Sie stöhnte, öffnete die Augen und registrierte ohne Überraschung, aber voller Entsetzen, daß sie wieder auf dem Hof war, gleich neben Carrys Hütte, dort, wo dieser entsetzliche Alptraum begonnen hatte. Langsam, mit erzwungen ruhigen Bewegungen drehte sie sich herum und ging zum Schuppen hinüber. Trotzdem war sie schweißgebadet, als sie den Schuppen erreichte. Auch hier drinnen war es nicht viel kühler als draußen, aber sie war wenigstens nicht mehr unter freiem Himmel, war in einem Haus, in Sicherheit, im Schutz seiner Wände und - was vielleicht das wichtigste war - in der Nähe eines Menschen. Durch ein Dutzend großer und ein paar hundert kleiner Löcher im Strohdach fiel heller Sonnenschein in Streifen herein und verwandelte den Boden in ein fleckiges Muster aus braunem Lehm und goldenen Lichttümpeln, in denen kleine halb vertrocknete Strohhalme und Dreckklümpchen schwammen. Es roch angenehm nach Heu und Holz, nach trockenem Staub und Hühnermist, nach Wärme und Sonnenlicht und heißem Maschinenöl. Sie liebte den Geruch von Benzin und Öl. Ganz instinktiv suchte sie den Traktor. Das rostrote Ungetüm stand aufgebockt und ohne seine Räder auf vier ungleich hohen Holzpflöcken. Die Motorhaube war hochgeklappt, was ihn ein bißchen wie einen großen rostigen Eisenkäfer aussehen ließ, der die Flügel zum Abflug gespreizt hatte.

Sie fand Peter bei dem alten Traktor. Peter steckte bis zu den Schultern im Inneren der Maschine und bemerkte sie erst, als sie ganz dicht hinter ihm stand. Liz war ganz sicher, kein verräterisches Geräusch gemacht zu haben, aber Peter schien ihre Nähe einfach zu spüren, denn er fuhr so abrupt herum, daß er sich den Kopf an der Motorhaube an stieß, und lächelte verlegen. »Morgen, Ma'am.« Für einen Moment sah er aus wie ein verängstigtes Tier, das nach einem Fluchtweg suchte und keinen fand. In seinen Augen stand derselbe erschrockene Ausdruck wie vorhin, als er Liz zugenickt hatte. Aber das war auf sichere Entfernung geschehen. Jetzt - ja, dachte Liz verstört, er hatte wirklich sehr viel von einem gejagten Tier an sich - jetzt war die Fluchtdistanz unterschritten. Er hatte Angst.

Ganz instinktiv wich sie wieder einen Schritt zurück und versuchte so unverfänglich wie möglich zu lächeln.

»Guten Morgen, Peter.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf das Wrack des Traktors. »Sie interessieren sich für Technik?«

Er nickte. »Ein bißchen.« Sein Blick flatterte unstet durch den Raum, wie ein kleiner verängstigter Vogel, der verzweifelt nach einem Ausweg suchte und keinen fand. »Das Ding ist ziemlich ruiniert, nicht?« fragte sie. Es interessierte sie nicht wirklich, aber die Situation begann auch für sie allmählich mehr als unangenehm zu werden. Sie wünschte, sie wäre nicht hergekommen. Was, zum Teufel, sollte sie ihm sagen? Daß sie hierher geflohen war, weil sie Angst vor ein paar Schatten und einem DING im See gehabt hatte? Lächerlich!

»Nein«, antwortete Peter. Seine Augen leuchteten auf. »Er läuft nicht, aber ich denke, ich krieg ihn wieder hin. Ich muß nur ein paar Ersatzteile aus der Stadt haben. Aber das wird nicht so teuer«, fügte er mit einem raschen, verlegenen Lächeln hinzu. »Wirklich? Ich... das wäre herrlich.« Die Vorstellung, sich auf den Sattel des Traktors zu schwingen und damit über die Wiesen und Felder zu fahren, gefiel ihr. »Ich habe immer gedacht, das Ding wäre total hin, so wie er aussieht.« Sie betrachtete das verrostete Wrack kopfschüttelnd. Der Teil der Motorhaube, gegen den Peter beim Herumdrehen gestoßen war, war herunter geklappt, so daß der Traktor nun nicht nur wie ein rostiger, sondern noch dazu verstümmelter Eisenkäfer aussah. Der größte Teil seiner gußeisernen Eingeweide war herausgerissen und in heillosem Chaos auf dem Boden verteilt. Zehn Jahre altes Öl tropfte aus einem Schlauch wie schwarzes Blut aus einer abgerissenen Arterie, und je länger sie hinsah, desto mehr erinnerte sie die offene Motorklappe an eine schreckliche rechteckige Wunde.

Sie bemerkte, daß sich die Wirklichkeit schon wieder zu verzerren begann. Sie sah Dinge, wo andere waren. Sie würde irgendwann den Verstand verlieren, wenn sie nichts gegen diese Entwicklung unternahm. Beinahe hastig konzentrierte sie sich wieder auf den rein praktischen Aspekt dessen, was sie sah.

Es erschien ihr immer noch unmöglich, daß jemand aus diesem Haufen Schrott wieder eine funktionierende Maschine machen konnte. Andererseits - Ohlsberg hatte gesagt, daß Peter sehr geschickt wäre. Und er würde nicht lügen, nur um sich interessant zu machen.

»Das wird schon, Ma'am«, sagte Peter, dem ihr zweifelnder Gesichtsausdruck keineswegs entgangen war. Er fuchtelte mit einer ölverschmierten Hand in der Luft herum. »Ist nur äußerlich. Die Leute, die ihn vorher gehabt haben, haben wohl nichts von Maschinen verstanden. Sie werden sehen, wenn ich damit fertig bin, läuft er wieder wie neu. Ist ein guter Traktor. Sieht nur nicht gut aus, aber Sie werden sehen, er ist besser als die Dinger, die sie heute bauen.« Er klopfte mit der Hand auf die offen stehende Motorhaube, was einen tiefen, satten Klang erzeugte, der sonderbar lang ein der leer stehenden Scheune widerhallte.