Выбрать главу

Sie gähnte, blinzelte noch einmal und fuhr sich mit der Hand über die Augen, ehe sie zum Nachttisch hinüberblinzelte. Die grünen Leuchtziffern des Radioweckers schimmerten wie kleine funkelnde Katzenaugen durch die Dunkelheit. Es dauerte eine Weile, bis sich die verschwommenen Farbklekse zu lesbaren Zahlen ordneten und sie sie entziffern konnte.

Liz runzelte die Stirn. Es war kurz nach fünf, wie sie mit einem heftigen Gefühl von Verärgerung feststellte - eine geradezu gotteslästerliche Zeit, aufzuwachen. Sie seufzte. Was für ein Scheißtraum, dachte sie matt. Warum hatte er nicht zwei Stunden später anfangen können? Sie schloß die Augen und versuchte wieder einzuschlafen. Es ging nicht.

Als sie die Augen schloß (es war absurd: die Dunkelheit war kaum weniger tief als die, die sie mit geöffneten Augen gesehen hatte!), kam die Furcht zurück. Es war nicht die Panik aus ihrem Traum, nicht die an körperlichen Schmerz grenzende Angst, die die Zimmer aus schwarzem Chrom und jene entsetzliche Treppe in ihr ausgelöst hatten, nicht die Panik beim Anblick des brennenden Mannes, denn sie wußte sehr gut, daß all dies nichts anderes als ein böser Streich gewesen war, den ihr Unterbewußtsein ihr gespielt hatte. Es war...

Eine völlig grundlose Beunruhigung, die stärker und stärker wurde, ein Kribbeln wie von tausend tollwütigen Ameisen in ihrem Leib, das es ihr unmöglich machte, ruhig zu liegen. Irgend etwas hatte sie geweckt, etwas, das nicht hierher gehörte und das sie beunruhigte, ohne daß sie sagen konnte, was es eigentlich war.

Eine Zeit lang dämmerte sie noch auf der schmalen Trennlinie zwischen Schlaf und Wach sein dahin, ehe sie aufgab und mit einem resignierenden Achselzucken die Beine aus dem Bett schwang. Sollte der Teufel ihr Unterbewußtsein holen und alle Träume der Welt dazu!

Eine Weile blieb sie noch schlaftrunken auf der Bettkante sitzen und genoß das Gefühl der Schwere, das nur langsam aus ihren Gliedern wich. Sie gähnte, reckte sich ausgiebig und fuhr sich noch einmal über die Augen. Ihr Blick klärte sich ein wenig. Ein dünner, staubflirrender Streifen Sonnenlicht strömte durch die halb geschlossenen Fensterläden herein und zeichnete ein verworrenes Muster aus Gold und schwarzen und braunen Schatten auf den Fellteppich; ein Spielbrett, auf dem die Dame des Tages dem schwarzen König der Nacht gerade wieder einmal Schach bot, ohne daß einer von beiden die Partie jemals entscheiden würde.

Sie lächelte flüchtig über ihren eigenen Gedanken, der ungefähr so albern wie der Traum war, der nun allmählich doch zu verblassen begann, bückte sich nach ihrem Morgenrock, streifte ihn über und wankte schlaftrunken auf nackten Füßen zum Fenster.

Draußen sangen bereits die ersten Vögel, und irgendwo drüben in dem kleinen Wald, der sich zweihundert Schritt entfernt hinter dem Weg wie eine schwarz grün gefleckte Mauer erhob, antwortete ein Eichelhäher auf den Ruf. Sie lauschte einen Moment auf das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln und genoß die Berührung der Sonnenstrahlen auf der Haut. Obwohl sie grade erst über dem Horizont aufgetaucht war, hatte die Sonne bereits Kraft. Der Tag würde heiß werden. Auf der Rückseite des Hauses spielte der Wind klappernd mit einem Fensterladen. Das Geräusch zerstörte nicht nur den Zauber des Augenblickes, es erinnerte sie auch schmerzlich daran, wie viel Arbeit und Mühe noch auf sie warteten, ehe aus dieser Ruine wieder ein einigermaßen bewohnbares Haus geworden war. Wenn es ihnen überhaupt jemals gelang. In letzter Zeit mehrten sich die Augenblicke, in denen Liz ernsthaft daran zu zweifeln begann.

Sie gähnte erneut, wobei sie sich den verbotenen Luxus erlaubte, die Hand nicht vor den Mund zu halten, öffnete das Fenster, fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht und stieß dann mit einem Ruck die Läden weit auf.

Liz lächelte flüchtig, als ihr einfiel, daß sie jetzt für einen zufälligen Beobachter genauso aussehen mußte wie das Mädchen aus dem Kaffee-Werbespot - nur daß sie nicht komplett geschminkt und frisiert aus dem Bett kam, sondern mit wirrem Haar und einem Gesicht, das vom Schlaf teigig und auf gequollen war.

Kühle, sauerstoffreiche Morgenluft strömte ins Zimmer, begleitet von im ersten Moment fast schmerzhaft hellem Sonnenschein und einer Vielfalt von Gerüchen: Der Duft von frischem Heu und Tannennadeln, von Gras und Blumen und Weite und klarem, fließendem Wasser. Sie schloß die Augen und konzentrierte sich für Sekunden darauf, ein- und auszuatmen. Die kühle Luft, in der noch ein schwacher Hauch der Nacht mit schwang, vertrieb auch die letzten Reste von Müdigkeit und schuf für Augenblicke eine tiefe, wohltuende Leere hinter ihrer Stirn, in der nicht einmal Platz für Gedanken war, sondern nur noch für Ruhe und ein Gefühl des Friedens und der Einsamkeit. Für einen kurzen Moment war sie sich ihres Körpers mit seltener Klarheit bewußt, spürte jeden Quadratmillimeter ihrer Haut, jedes Haar, das sanfte Streicheln des Windes, die Berührung des Sonnenlichtes, alles mit einer Intensität, die sie niemals kennengelernt hatte vor ihrem Umzug hier heraus. Augenblicke wie diese entschädigten sie immer wieder für die harte Arbeit und die Umstellung, die er mit sich gebracht hatte. Und in solchen Momenten fand sie Zeit, über sich und ihre Lage nachzudenken.

Sie bereute nichts.

Noch vor einem halben Jahr hätte sie jeden ausgelacht, der ihr prophezeit hätte, sie würde in nicht allzuferner Zukunft ihre Tage damit verbringen, Schweine und Hühner zu füttern, Ställe zu entmisten und ein zwei mal vier Schritte messendes Gemüsebeet zu bestellen, zusammen mit den tausend anderen kleinen und großen - und zum allergrößten Teil lästigen - Aufgaben, die das Leben auf einem Bauernhof nun einmal so mit sich brachte. Aber genau das war passiert. Und das Schlimme daran war, dachte sie spöttisch, daß es ihr Spaß machte. Sie mußten nicht von dem leben, was der Hof abwarf, und wenn sie sich trotzdem um die Tiere und den Gemüsegarten kümmerte - der überdies für zwei Personen um mehrere Nummern zu groß geraten war -, dann nur aus Begeisterung.

Und diese Begeisterung war keineswegs nach einiger Zeit verschwunden - wie in den meisten solcher Fälle üblich -, sondern im Gegenteil von Tag zu Tag gewachsen. Sie hatte sich in überraschend kurzer Zeit an das Leben hier draußen gewöhnt, und sie hatte vom ersten Augenblick an begonnen, es zu lieben. Der Wandel vom lärm- und streßgewöhnten Großstadtmenschen zur Bäuerin war ihr überraschend leichtgefallen. Leichter sogar, als sie selbst zu hoffen gewagt hatte. Sie hatte die alte Liz, die an Partys, schnelle Autos, Großstadtlärm und Smog und teure Restaurants gewöhnt war, wie eine zu klein gewordene Haut einfach abgestreift und war mit einer fast selbstverständlichen Gelassenheit und Ruhe in ihre neue Rolle geschlüpft; ein Schmetterling, der sich zum zweiten Male verpuppte und als Raupe wieder erwacht war. Aber als eine Raupe, die sich wohlfühlte - und die ihre Flügel außerdem im Kleiderschrank hängen hatte und jederzeit wieder überstreifen konnte, was erheblich dazu beitrug, die Raupe ihre Rolle noch leichter tragen zu lassen. Sie hatte die Flügel noch nie gebraucht, aber allein die Tatsache, daß sie da waren, hatte etwas Beruhigendes.

Nein - sie vermißte nichts. Im Gegenteil. Der Umzug hier heraus hatte ihr nichts genommen, sondern ihr Leben um eine ungeheure Palette neuer und schöner Dinge bereichert. Sie liebte den Geruch frisch umgegrabener Erde, den Duft von frischem Heu und die Geräusche der Tiere unten im Stall, die jetzt bereits die Wärme und das Sonnenlicht witterten und ungeduldig darauf warteten, hin ausgelassen zu werden. Jetzt, nach sechs Monaten und dem Wechsel in eine vollkommen neue Welt und ein genauso neues Leben, erschien es ihr fast unglaublich, daß sie sich einmal in der lauten, glitzernden Welt der Städte wohl gefühlt haben sollte. Wenn ihre Freundinnen zu Besuch kamen (was jetzt seltener geschah - früher, als sie frisch verheiratet und gerade hier herausgezogen waren, waren sie oft gekommen, aber der Reiz des Neuen hatte schnell nachgelassen. Im gleichen Maße, in dem ihre Bekannten zu begreifen begannen, daß ihre Flucht aus der Stadt mehr als eine vorübergehende Laune war und der insgeheim voller Schadenfreude erwartete Katzenjammer ausblieb, ließen auch die Besuche mehr und mehr nach), ja, wenn sie jetzt Besuch aus der Stadt bekam, dann mußte sie sich immer öfter ein mitleidiges Kopfschütteln verkneifen, wenn sie die neuesten ach-so-interessanten Partygeschichten hörte.