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Sie konnte nicht gleich antworten. Ihr Gaumen war so trocken, daß sie im allerersten Moment nur ein unverständliches Krächzen hervorbrachte. Sie hatte Angst, daß sie wieder schreien würde, wenn sie auch nur versuchte zu sprechen.

»Es - es war gräßlich«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte. Allein die Erinnerung an diesen fürchterlichen Laut trieb ihr wieder die Tränen in die Augen. Sie fror, obwohl ihre Bluse schweißgetränkt war.

Sie trank nervös aus dem Glas, das Stefan ihr in die Hand gedrückt hatte, verschluckte sich und hustete. Ihr Blick flatterte unstet.

»Erzähl mir davon«, sagte Stefan. »Wenn du kannst.« Er lächelte, aber seine Augen blieben ernst, und seine Stimme bebte in dem vergeblichen Bemühen, die Angst zu unterdrücken. »Das Wort gräßlich allein reicht vielleicht nicht ganz als Erklärung, meinst du nicht?«

Liz sah auf. Ihre Finger zitterten so stark, daß sie Mühe hatte, das Glas zu halten. »Es war so... so fürchterlich«, schluchzte sie.

»Fürchterlich?« Er beugte sich vor und versuchte Interesse zu heucheln, wo nur Angst war. »Was?«

»Ein ... ein Geräusch«, murmelte sie. »Ein Laut. Ich ... ich habe noch nie einen so grauenhaften Laut gehört. Ich...«

Sie brach ab, erstarrte für einen Moment und sah zuerst Stefan, dann Peter und dann wieder Stefan gleichermaßen verwirrt wie hilfesuchend an. Plötzlich spürte sie, wie erneut Angst in ihr hoch kroch. Sie hatten es nicht gehört. Weder Stefan noch Peter hatten dieses entsetzliche Geräusch GEHÖRT!

In ihre Augen trat ein seltsamer, hilfloser Ausdruck. »Aber - du - du mußt es doch auch gehört haben.« Ihre Stimme bebte; ein lautloser Hilfeschrei klang darin mit. Stefan antwortete nicht; aber das war auch gar nicht notwendig. Der Ausdruck in seinem Gesicht sagte ihr genug. »Du - du hast es gehört«, flüsterte sie. »Bitte, sag, daß du es auch gehört hast. Du mußt es gehört haben!« Sie fuhr hoch. Das Glas fiel zu Boden und zerbrach klirrend. Niemand nahm Notiz davon. Sie starrte Stefan an, sah den Blick seiner Augen und wandte sich fast verzweifelt an Peter, der neben der Tür stand, den Blick betreten zu Boden gerichtet. »Sagen Sie, daß Sie etwas gehört haben, Peter«, flehte sie. »Bitte...«

Er wich ihrem Blick aus, aber die Art, wie er es tat, die Art, wie er mit den Händen rang und mit dem Fuß über den Boden scharrte, sagte genug. Mehr als genug. Sie hatten es nicht gehört!

»Ich muß jetzt wieder gehen«, sagte Peter. »Die Arbeit...«

»Nein!« Liz schrie fast, und Heyning erstarrte mitten in der Bewegung. Er wirkte nervös, auf seine Art ebenso erschrocken wie Liz. Auch Stefan sah sie einen Moment irritiert an, drehte sich dann aber zu Peter um und nickte. »Das ist in Ordnung. Gehen Sie ruhig, Peter. Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche. Vielen Dank für Ihre Hilfe.« Liz riß sich mit aller Macht zusammen, um nicht aufzuschreien. Sie wollte nicht, daß er ging. Er durfte nicht gehen. Wenn er ging, würde er verschwinden, einfach erlöschen wie eine Kerze, die der Sturm aus blies. Es würde ihn einfach nicht mehr geben, weil es die Welt dort draußen in Wirklichkeit nicht gab, weil die Realität jenseits dieser Tür endete und weil...

Sie begriff, daß sie ganz nahe daran war, schon wieder hysterisch zu werden, und zwang sich mit aller Gewalt zur Ruhe. Es war vorbei. Vorbei.

»Du hast ihn verwirrt«, sagte Stefan. »Das solltest du nicht tun.«

»Ich...«

»Was war los?« unterbrach er sie. »Also?«

»Der... Schrei«, sagte sie stockend. Ihre Augen waren unnatürlich geweitet, und ihr Herz begann mit einem Mal so rasend schnell zu hämmern, daß sie die Schläge bis in Finger- und Zehenspitzen zu spüren glaubte.

»Schrei?« wiederholte Stefan. »Der gleiche wie gestern?«

Sie nickte. Unsicher beugte sie sich vor, hob das Glas vom Boden auf und lehnte sich wieder zurück. Ihre Hände umklammerten es so fest, daß die Knöchel weiß hervortraten. Sie saß zusammengesunken auf der Couch, lauschte auf das wahnwitzige Hämmern ihres eigenen Herzens und fragte sich zum hundertsten Mal, ob sie verrückt geworden war. Lange Zeit sagte sie nichts, dann, mit einer plötzlichen, ruckartigen Bewegung flog ihr Kopf hoch. »Der Hund«, stieß sie hervor. »Carry. Er hat es auch gehört! Du weißt, wie er gebellt hat. Er muß es gehört haben. Und ihr.«

Aber sie las die Antwort in seinem Gesicht. Er hatte es nicht gehört. Niemand hatte es gehört.

Stefan rückte ein Stück näher zu ihr und drückte sie an sich. »Es wird alles wieder gut, Liebes ...«, flüsterte er. »Jetzt beruhige dich erst einmal. Ich habe den Arzt angerufen. Er müßte bald hier sein.«

Sie stieß ihn mit überraschender Heftigkeit von sich. Ihre Augen blitzten. »Ich brauche keinen Arzt«, schrie sie mit überschnappender Stimme. »Ich bin nicht verrückt, wenn du das meinst.«

»Das meine ich nicht«, antwortete er mit einer Ruhe, die sie noch wütender machte. »Und das weißt du genau. Du hast irgend etwas gehört, bitte. Ich habe nichts gehört und Peter auch nicht. Aber das bedeutet nicht, daß du verrückt bist.«

»Und der Hund?« fuhr sie auf.

»Ich habe ja nicht behauptet, daß da nichts war«, erwiderte Stefan ruhig. »Peter und ich haben nichts Außergewöhnliches gehört oder gesehen, aber das heißt nicht, daß wirklich nichts da war. Vielleicht hast du nur ein feineres Gehör als wir. Außerdem war ich im Haus und habe auf meiner Schreibmaschine herumgehämmert, und Peter war mit seinem Traktor beschäftigt. Gut möglich, daß wir es überhört haben.« Liz starrte ihn fassungslos an. Sein Gesicht war ernst, aber sie glaubte ihm. Er glaubte, was er sagte. Es war keine fromme Lüge. Stefan war gar nicht fähig zu so einer Handlung. Er war fair, auch wenn er unglaublich hart sein konnte, manchmal. Aber bevor er ein Urteil über jemanden fällte, gab er ihm jede nur erdenkliche Chance, so wie jetzt ihr. Er sagte all dies nicht einfach so daher, nur um sie zu beruhigen. Er zählte Fakten auf, wog sie gegeneinander ab, versuchte herauszufinden, was wirklich geschehen war. Er war geradezu ekelhaft fair, in diesem Moment. Er baute ihr eine Brücke, zeigte ihr einen Ausweg, eine logische Erklärung, wie es gewesen sein könnte.

»Beruhige dich, Liebling«, sagte er sanft. »Es wird sich eine ganz einfache Lösung finden, irgendwie.« Er fuhr zärtlich mit den Fingern durch das Haar, hauchte einen Kuß auf ihre Stirn und drückte kurz und beinahe schmerzhaft fest ihre Hand. »Vielleicht bist du auch einfach nur überarbeitet«, sagte er. »Es war alles zu viel für dich. Die schwere Arbeit, das Haus, der Garten ... Ich glaube, alles, was dir fehlt ist eine Woche Urlaub. Ruhe.«

Sie schwieg. Sie wußte, was sie gehört hatte, aber sie konnte nichts sagen. Jedes Wort, das sie hätte sagen können, hätte alles nur schlimmer gemacht. Und doch... er mußte es gehört haben. Er mußte!

»Ich werde den Arzt fragen«, sagte Stefan ernsthaft.

»Wenn er nichts dagegen einzuwenden hat, fahren wir gleich morgen ab. Ich kann den Roman genauso gut in einem gemütlichen Hotelzimmer in Hamburg fertig schreiben.« Plötzlich lächelte er, wie jemand, dem gerade ein besonders guter Einfall gekommen war. »Was hältst du davon, deine verrückte Freundin Gabi und ihren kaum weniger verrückten Mann Rainer wieder einmal zu besuchen? Versprochen haben wir es schon lange.«

Liz fuhr mit überraschender Heftigkeit auf. »Aber das will ich nicht! Ich will nicht, daß du meinetwegen...«