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Stefan blickte ihn reichlich verdutzt an, überlegte einen Moment sichtbar angestrengt, was er antworten sollte, und rettete sich schließlich in ein säuerliches Grinsen. »Wie Sie meinen«, murmelte er. »Ich... bringe Sie noch zum Wagen.«

Swensen lehnte mit einer hastigen Handbewegung ab. »Ich kenne den Weg. Sie bleiben bei Ihrer Frau. Schicken Sie sie heute abend früh ins Bett, und sorgen Sie dafür, daß sie in den nächsten Tagen nicht allzu schwer arbeitet. Am besten gar nicht.« Stefan nickte. »Das werde ich tun. Verlassen Sie sich darauf.« Er begleitete Swensen zur Tür, wartete, bis er gegangen war, und drehte sich wieder zu Liz um. »Du hast gehört, was er gesagt hat.«

»Ja, und?«

»Fahren wir gleich heute? Oder lieber morgen, wenn du dich ein wenig ausgeruht hast?« fragte er.

Sie zog eine Grimasse und zündete sich eine Zigarette an. Ihre Finger zitterten. »Überhaupt nicht«, sagte sie nach einem tiefen Zug. Der Rauch schmeckte nicht. Sie spürte, wie ihr schwindelig wurde, als wäre es die erste Zigarette ihres Lebens. Am liebsten hätte sie sie auf der Stelle wieder ausgedrückt, sie hatte plötzlich die absurde Idee, daß Stefan es bemerken und als ein neuerliches Zeichen von Schwäche auslegen könnte.

»Wie?« machte er überrascht. »Ich dachte, das wäre klar.«

Sie nickte, schnippte ihre Asche in den Aschenbecher und starrte aus dem Fenster. »Sicher. Sowie dein Buch fertig ist, und keinen Tag eher.«

»Aber...«

»Ich möchte nicht darüber diskutieren«, sagte sie scharf.

Ihre Blicke trafen sich, und diesmal hielt sie dem stummen Duell stand. »Wirklich, Stefan - ich freue mich auf den Urlaub, aber ich möchte, daß du erst dein Buch zu Ende schreibst. Du hast in den letzten Tagen so schöne Fortschritte gemacht.« Stefan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und du glaubst, es kommt jetzt noch auf ein paar Tage an?«

Sie nickte. »Ja. Ich möchte nicht, daß du Pfusch ablieferst, nur um mir zu helfen. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn...«

»Unsinn«, unterbrach sie Stefan. Er sprach ein wenig lauter, und in sehr viel schärferem Tonfall als bisher. Ein Gutteil seiner Freundlichkeit und Besorgnis war verflogen, im gleichen Moment, in dem Swensen gegangen war. »Ich will nichts mehr hören, Punkt. Wir fahren, und zwar nicht morgen, sondern heute noch.«

»Aber du...«

»Schluß«, unterbrach sie Stefan erneut. Er lächelte, aber in seinen Augen war etwas, was das Gegenteil behauptete. Ein kaltes, hartes Glitzern, das Liz frösteln ließ. »Und der Hof?« fragte sie. »Die Arbeit hier...«

»Wir haben jetzt Peter«, fiel er ihr ins Wort. »Er macht alles dreimal so gut wie du, und er wird dafür bezahlt. Du ruhst dich aus.«

Liz widersprach nicht mehr. Sie spürte, daß es keinen Sinn hatte; alles, was dabei herauskommen würde, wäre ein handfester Streit. Irgendwie wußte sie, daß es keinen Sinn hatte.

Und es war letztendlich sogar egal.

Sie hatte ihn belogen. Die Sorge um sein Buch war nicht der Grund. Überhaupt nicht. Sie wußte, daß er es ebensogut in einem Hotel in Hamburg zu Ende schreiben konnte wie hier. Er gehörte nicht zu den Schriftstellern, die nur unter bestimmten Bedingungen oder in einer ganz bestimmten Umgebung arbeiten konnten.

Der wahre Grund war ein anderer.

Sie war sich jetzt ganz sicher, daß sie sich das Geräusch nicht eingebildet hatte, und sie wußte jetzt auch mit absoluter Bestimmtheit, ohne einen Grund für dieses Wissen angeben zu können, daß ihr seltsames Abenteuer im Wald nicht allein ein Resultat ihrer überreizten Nerven gewesen war. Und obwohl ihr allein der Gedanke daran beinahe Übelkeit bereitete, obwohl sie allein bei der Erinnerung wieder panische Angst in sich aufsteigen fühlte, hatte sie sich entschlossen, das Geheimnis zu lüften. Ihr Entschluß hatte nichts mit Mut zu tun; gewiß nicht. Aber sie wußte mit der gleichen unerschütterlichen Gewißheit, daß weder ihr Urlaub noch alles gute Zureden von Stefan oder alle Tabletten und Medikamente nutzen würden. Das DING im See würde auf sie warten. Ganz egal, was mit ihr geschah und vielleicht noch geschehen würde - sie würde es durchstehen müssen. Es gab Dinge, vor denen man nicht fliehen konnte, gleich, wohin und wie weit man auch lief.

15.

Hinterher waren sie sich beide darüber im klaren, daß die Fahrt nach Hamburg eine äußerst törichte Idee war. Ihr ad-hoc-Ausflug in die Zivilisation stand von Anfang an unter keinem guten Stern, und er endete in einer Katastrophe - beinahe jedenfalls -, aber das wußten sie natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es regnete in Strömen, als sie vor dem Apartmenthaus parkten. Dieser Umstand allein war sicher noch kein böses Omen, auch wenn sie hinterher manchmal glaubte, es wäre ganz genau das gewesen - aber die Wahrheit war wohl eher, daß es ein Scheißtag war mit allem, was dazugehörte. Liz fand es nach einer Weile müßig, alles aufzuzählen, was an diesem Tag schief gegangen war; es war einfacher, aufzuzählen, was gut gegangen war - dazu hätten die Finger von Beldersens rechter Hand ausgereicht...

Trotz der Jahreszeit und der Heizung, die sie eingeschaltet hatte, war ihr kalt. Und sie bereute es längst, sich nicht energischer durchgesetzt zu haben. Es war eine Schnapsidee gewesen, das Gut so Hals über Kopf zu verlassen. Nach sechs Monaten Schwarzenmoor erschien ihr Hamburg größer als New York, lauter als Tokio und schmutziger als Duisburg. Sie begriff beinahe selbst nicht mehr, wie sie jemals in einer solchen Stadt hatte leben können, geschweige denn sich wohl fühlen. Aber vermutlich war sie ungerecht, sowohl dieser Stadt als auch Stefan gegenüber. Liz war müde; der tiefhängende Himmel, aus dem Regen in endlosen grauen Schleiern herabströmte, die schweren Wolken und das graue Licht stimmten sie trübsinnig, und die Vorstellung, jetzt aus dem geheizten Wagen steigen und durch den strömenden Regen laufen zu sollen, verbesserte ihre Laune auch nicht unbedingt.

Sie waren natürlich nicht am selben Tage gefahren, wie Stefan gestern so entschieden verkündet hatte, sondern erst am darauf folgenden Morgen, und nicht einmal besonders früh. Sie hatte am Abend doch noch zwei von Swensens Tabletten genommen und wie ein Stein geschlafen. Und auch Stefans Optimismus, Peter den Hof einfach so übergeben zu können, hatte sich als leicht übertrieben herausgestellt. Ein Anwesen von der Größe Eversmoors war nun einmal kein 80-Quadrat-Meter-Bungalow, dessen Schlüssel man einem Babysitter in die Hand drücken konnte, um einfach für ein paar Tage zu verschwinden. Es gab Hunderte von Dingen, die bedacht, Dutzende, die besprochen werden mußten - und wahrscheinlich zahllose, die sie vergessen hatten. Entsprechend war Stefans Laune gewesen, als sie gegen Mittag endlich los fuhren - und sie wurde keinen Deut besser, bis sie nach knapp zwei Stunden endlich in den Elbtunnel einfuhren; mit etwa dem Doppelten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Liz hatte auch dazu geschwiegen, wie zu so vielem. Sie hatten den ganzen Tag über keine zehn Worte miteinander gewechselt, über das absolut Notwendige hinaus. Sie hatten sich nicht etwa gestritten, aber sie waren beide gereizt gewesen, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen, und sie spürten beide, daß es wohl besser war, wenn sie sich aus dem Wege gingen - soweit dies in einem Wagen möglich war, der nur wenig größer als ein aufgeklappter Schuhkarton war. Aber es ging; erstaunlich gut sogar.

Und der Tag war so weiter gegangen: Nach einem hastig heruntergeschlungenen Mittagessen hatten sie Stefans Verleger besucht - genauer gesagt, sie hatten es versucht. Aber Stefans Idee, so völlig ohne Vorankündigung einfach hereinzuschneien, hatte sich als gewaltiger Bumerang erwiesen. Keiner seiner Ansprechpartner im Verlag war dagewesen, und das Ganze hatte mit einer für alle Beteiligten mehr als peinlichen Situation geendet. Natürlich hatte niemand den Mut aufgebracht, Stefan direkt hinauszukomplimentieren - immerhin war er einer der drei oder vier Autoren, an denen der Verlag das meiste Geld verdiente -, aber es war einfach so, daß niemand etwas mit ihm anzufangen wußte. Schließlich hatte Stefan einen Termin für den nächsten Tag vereinbart, und sie waren gegangen, nicht nur zu Liz' Erleichterung. Und nun waren sie hier, am anderen Ende der Stadt und zu einem zweiten, ebenso überraschenden Besuch, zu dem keiner von ihnen noch rechte Lust hatte - wozu sicherlich auch das Unwetter und die dramatisch gesunkenen Temperaturen das ihre beitrugen.