»Du siehst gut aus«, sagte Gabi lächelnd. »Das Landleben scheint dir gut zu bekommen.«
Liz nickte. »Tut es auch«, sagte sie knapp. »Ich habe ein paar Pfund zugenommen.«
»Aber an den richtigen Stellen.« Gabi seufzte. »Ich wollte, ich könnte das auch sagen. Wenn ich zunehme, dann immer da, wo ich es gar nicht will.«
Liz lächelte pflichtschuldig, wandte sich zum Waschbecken um und blickte in den großen, herzförmigen Spiegel, der darüber aufgehängt war. Was sie sah, erschreckte sie selbst ein bißchen: Sie war sehr blaß, und unter ihren Augen lagen schmale, aber unübersehbare dunkle Ringe. Ihr Haar war zerstrubbelt und klebte da, wo sie es nicht ganz trockengerieben hatte, in unansehnlichen glänzenden Strähnen am Kopf. Hastig griff sie nach der Haarbürste, die Gabi ihr hinhielt, und versuchte die widerspenstigsten Strähnen zu etwas Frisurähnlichem zu ordnen. Das Ergebnis war alles andere als berauschend. Ihr Haar klebte jetzt wie eine schwarze glänzende Kappe an ihrem Schädel, so daß sie nicht mehr wie ein schwarz haariger Pumuckl aussah. Dafür betonte es jetzt die unnatürliche Blässe ihres Gesichtes noch mehr. Au seinem bestimmten Blickwinkel heraus betrachtet, erinnerte ihr Spiegelbild sie fast an einen Totenschädel.
Sie sah Gabi durch den Spiegel an. »Du hast gesagt, ich sehe gut aus«, murmelte sie. Gabi nickte. »Du hast gelogen. Ich sehe entsetzlich aus.«
»Ich weiß.« Gabis Gesicht im Spiegel lächelte, aber die Augen darin blieben ernst. »Und deine Stimme hat einen ganz leisen hysterischen Unterton, Liebes. Willst du dar übersprechen?«
Liz überlegte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. »Jetzt noch nicht«, sagte sie. »Vielleicht später.« Sie wies mit einer Kopfbewegung zur Tür. »Deine Gäste warten.«
Sie gingen zurück ins Wohnzimmer. Stefan schien sich bereits bekannt gemacht zu haben, denn er, Rainer und der junge Mann waren in ein scheinbar sehr intensives Gespräch vertieft, als sie zurück kamen. Liz brauchte den jungen Mann nur flüchtig anzusehen, um zu wissen, worum es sich drehte - das Leuchten in seinen Augen und die noch mühsam zurückgehaltene Begeisterung sagten ihr genug. Rainer hatte Stefan vorgestellt, und natürlich hätte er auch gesagt, um welchen Stefan König es sich handelte. Nun - warum auch nicht? dachte sie. Wer hatte schon Freunde, mit denen man angeben konnte? Obwohl Liz sich einerseits beinahe ärgerte - die Vorstellung, die nächsten anderthalb Stunden mit dem Beantworten von Fragen zu zubringen, die sie schon tausendmal beantwortet hatte, versetzte sie nicht unbedingt in Begeisterung -, empfand sie gleichzeitig fast so etwas wie Erleichterung, denn die Alternative wäre gewesen, daß die beiden sich in spätestens einer Stunde in einer Ecke verkrochen, um sich stundenlang über einem Schachbrett anzuschweigen oder mit Rainers Computer herum zuspielen.
»Das sind Walter und Stefanie«, sagte Gabi mit einer Handbewegung auf ihre Gäste. »Die beiden wohnen hier im Haus. Wir treffen uns ab und zu, um ... Karten zu spielen.«
Liz fiel das unmerkliche Zögern in Gabis Stimme sehr wohl auf, aber sie tat so, als hätte sie nichts gehört. Vielleicht war sie einfach nur überempfindlich. Und wenn nicht, ging es sie zumindest nichts an, was die vier wirklich taten. Trotzdem hätte sie gerne gewußt, warum sie vorhin das Gefühl gehabt hatte, daß mit diesen Spielkarten irgendetwas nicht stimmte. Ganz unbewußt sah sie sich um, konnte sie aber nirgends mehr entdecken.
»Das ist Liz«, sagte Gabi mit einer Handbewegung auf sie. »Liz König. Ich habe dir von ihr erzählt.«
»Liz?« Stefanie stand auf, reichte ihr die Hand und lächelte unverbindlich. Ihr Griff war weich und schlaff, jene Art von Händedruck, den Liz am allerwenigsten leiden konnte. »Sind Sie Engländerin?«
»Nein«, antwortete Liz. Stefanies Stimme gefiel ihr nicht. Sie war so dünn und kraftlos wie ihr Händedruck. Liz sagte sich, ob sie vielleicht nur voreingenommen war. »Ich bin so wenig Engländer wie Sie, Kindchen«, sagte sie. »Mein wirklicher Name ist Elisabeth, aber das spricht niemand aus. Und die Abkürzung Ellie hat mir noch nie gefallen.« Tatsächlich war sie früher zu Hause und in der Schule nur sogenannt worden, bis sie es - nach etlichen Familienkrächen und einigen handfesten Raufereien - durchgesetzt hatte, wenigstens Lisa genannt zu werden. Aber das hatte ihr nur wenig besser gefallen als Ellie. Die Abkürzung Liz hatte sie aus einem von Stefans Büchern, und sie mochte sie so sehr, wie sie ihren wirklichen Namen verabscheute. »Gabi hat eine Menge von Ihnen und Ihrem Mann erzählt«, fuhr Stefanie fort. »Und von Ihrem Gut, oben an der Küste.« Sie setzte sich wieder, legte den Kopf schräg und betrachtete Liz mit einem langen Blick. »Sie sehen nicht aus wie jemand, der aufs Land gezogen ist«, sagte Stefanie.
Die Worte waren durchaus freundlich gemeint, das spürte Liz, aber sie ärgerten sie trotzdem, vielleicht weil sie so sehr all den Klischees entsprachen, gegen die sie seit einem halben Jahr ankämpfte. Außerdem war sie einfach gereizt, und es erschien ihr immer noch besser, ihre schlechte Laune an einem wildfremden Menschen auszulassen als an ihren Freunden.
»Nein?« sagte sie spitz. »Nun, ich trage keine Latzhosen, und ich parfümiere mich noch immer mit Chanel, nicht mit Kuhmist, wenn Sie das meinen, Kindchen.« Sie erschrak fast selbst über ihre Worte, und sie sah, wie Stefanie peinlich berührt zusammen fuhr und auch Gabi verwirrt zu ihr auf sah. Selbst Rainer, Stefan und Walter unterbrachen für einen Moment ihr Gespräch, wenngleich Stefans Blick verriet, daß er nur mitbekommen hatte, daß sie etwas Außergewöhnliches gesagt hatte, nicht was.
»Entschuldigung«, sagte sie verlegen. »Das war unhöflich. Aber wie sieht denn jemand aus, der aus der Stadt aufs Land flieht - Ihrer Meinung nach?«
Es dauerte eine Weile, ehe das Mädchen antwortete, und jetzt war auch sie verlegen. Seltsam, dachte Liz. Sie wirkte betroffen und schuldbewußt, aber überhaupt nicht zornig. Wäre sie von einer wildfremden Frau so grundlos beleidigt worden, hätte sie ihr die Augen ausgekratzt.
»Ich gebe zu, es war eine dumme Bemerkung«, sagte Stefanie schließlich. »Aber ich habe mir Sie einfach... na ja, eben anders vorgestellt. Ich weiß selbst nicht, wie.« Sie lächelte. Es wirkte echt, und Liz kam sich noch ein bißchen schäbiger vor. Nein, heute war wirklich nicht ihr Tag. Was, zum Teufel, suchte sie hier überhaupt? »Stimmt es, daß Sie einen ganzen Wald besitzen?« fragte Stefanie, plötzlich wieder mit Tonfall und Blick eines begeisterten Kindes, das sich unversehens seinem seit langem bewunderten Idol gegenübersieht. Natürlich war dieses Idol Stefan, nicht sie, dachte Liz spöttisch. Aber als Ehefrau des Halbgottes fiel selbst für sie noch genug Bewunderung ab. »Und einen See, und...«
»Und ungefähr fünf zehntausend Quadratmeter Sumpf«, unterbrach Liz sie mit einem flüchtigen Lächeln. »Tief genug, um alle unsere Gläubiger darin zu versenken.« Sie seufzte. »Und was den See angeht - ich bin nur nicht einmal sicher, ob man darin schwimmen kann. Aber auf dem Papier gehört es uns, ja.«
»Aber kostet das denn nicht ein Vermögen?« fragte Walter, der sich zwar weiter mit Stefan und Rainer unterhalten, ganz offensichtlich aber trotzdem mit einem Ohr zugehört hatte. »Ich meine, ein solches Anwesen zu kaufen muß doch irrsinnig teuer sein.« Er lächelte und machte eine rasche, entschuldigende Geste. »Halten Sie mich bitte nicht für aufdringlich«, sagte er. »Ich weiß, daß mich das nichts angeht - aber Stefanie und ich suchen auch nach so etwas, wissen Sie?«