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»Und was tun Sie genau?« fragte Liz zögernd.

Stefanie deutete auf den Kartenstapel vor sich. »Sie würden es vermutlich eine Seance nennen«, sagte sie. »Der Ausdruck ist nicht ganz richtig, aber auch nicht völlig falsch. Wir nehmen... wir versuchen, Kontakt aufzunehmen.«

»Mit wem?« fragte Stefan spöttisch. »Mit Napoleon?«

»Vielleicht«, antwortete Stefanie. »Es wäre möglich. Aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, denke ich.«

»Moment mal«, sagte Liz. »Sie wollen im Ernst behaupten, Kontakt mit den Toten aufzunehmen - mit ein paar Spielkarten!« Etwas in ihr warnte sie, weiterzumachen. Sie war schon viel weiter gegangen, als sie gedurft hätte. Aber sie konnte auch nicht mehr zurück.

»Womit man es tut, ist völlig egal«, sagte Stefanie. »Es ginge selbst ganz ohne irgendwelche Hilfsmittel. Aber es ist einfach leichter, irgend etwas zu nehmen, worauf man sich konzentrieren kann. Eine Art geistiger Brennspiegel, wenn Sie so wollen. Außerdem sind es keine Spielkarten.« Sie drehte den Kartenstapel herum, und Liz erkannte, daß es sich wirklich nicht um normale Spielkarten handelte; jedenfalls nicht mehr. Sie waren längst zweckentfremdet worden:Die Vorderseiten waren mit weißer Folie beklebt, auf der mit dicken schwarzen Tusche strichen gut acht Zentimeter große Buchstaben aufgemalt waren. Sie waren sauber, wiesen aber deutliche Benutzungsspuren auf. Was immer das Mädchen damit tat, sie tat es nicht zum ersten Mal, und sie tat es wahrscheinlich professionell.

»Was wird das?« erkundigte sich Liz mißtrauisch, während Stefanie begann, die Karten auf dem Glastisch zu einem Kreis zu legen.

»Alle Buchstaben des Alphabets«, erklärte Stefanie überflüssigerweise. »Einschließlich je einer Karte für Ja und Nein sowie einer Abstandskarte...« Sie tippte auf eine Spielkarte, die statt eines Buchstabens ein streichholzschachtel-großes schwarzes Quadrat auf wies. »... für die Pausen zwischen den Worten. Das macht die Sache verständlicher.«

»Einer von uns muß alles mitschreiben«, sagte Gabi. »Wie wär's mit dir, Stefan? Du bist ja gewissermaßen prädestiniert für diese Aufgabe.«

Stefan schnaubte abfällig, widersprach aber nicht, als Gabi ihm Block und Bleistift über den Tisch reichte.

»Und was tut man damit?« erkundigte sich Liz, obwohl sie die Antwort zu wissen glaubte.

»Stefanie hat es mir erklärt«, mischte sich Stefan ein. »Man stellt ein umgedrehtes Glas auf den Tisch. Jeder von uns legt einen Finger auf das Glas, und das berührt dann die einzelnen Buchstaben. Hintereinander gelesen ergeben die Buchstaben dann die Antwort der Toten.«

»Ganz so einfach ist es nicht«, sagte Stefanie hastig. »Wie gesagt, es sind nur Requisiten, mehr nicht. Genausogut könnten wir eine Kristallkugel nehmen oder einen Teller mit Kaffeesatz. Die Hauptsache spielt sich hier ab.« Sie tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Nun? Versuchen wir es?« Liz schüttelte ganz impulsiv den Kopf, aber als sie etwas sagen wollte, unterbrach sie Stefan mit einer raschen, beinahe schon befehlenden Geste.

»Warum nicht?« fragte er. »Es ist ein harmloser Spaß.«

»Es ist ein dummer Spaß«, sagte Liz heftig. »Ich habe keine Lust dazu.«

Aber das war nicht die Wahrheit. Der wahre Grund war nicht, daß sie keine Lust hatte, sondern der, daß sie allein die bloße Vorstellung mit panischer Angst erfüllte. »Es ist nicht dumm!« sagte Stefanie heftig. »Und es ist erst recht kein Spaß, Herr König. Sie sollten es ernster nehmen. Oder es bleiben lassen.«

»Ich bin für das Bleiben lassen«, sagte Liz. Aber wieder machte Stefan nur diese rasche, ärgerliche Handbewegung.

»Also gut - nehmen wir es ernst. Vielleicht gelingt es Ihnen ja wirklich, mich zu überzeugen. Und wenn nicht, habe ich vielleicht wenigstens Material für eine neue Geschichte.«

Liz starrte ihn an. Sie fühlte sich... betäubt. Das Ganze war Irrsinn. Vollkommener Irrsinn! Bin ich eigentlich verrückt? dachte sie. Was in Dreiteufels Namen tat sie hier?! Sie war hierher gekommen, um dem Wahnsinn zu entfliehen, der in Eversmoor auf sie wartete, und sie hatte nichts Besseres zu tun, als an einer Geisterbeschwörung teilzunehmen!Sie kam sich vor wie eine Alkoholikerin, die eine Entziehungskur damit begann, eine Flasche Whisky in sich hineinzuschütten! Und trotzdem widersprach sie mit keinem Wort mehr. Sie zögerte nicht einmal, die Hand auszustrecken, als Stefanie das Weinglas herumdrehte und auf den leer geräumten Tisch stellte, und sie registrierte fast entsetzt, daß sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen. Sie hätte vor Furcht am liebsten geschrien, als ihre Finger das eiskalte Glas des Römers berührten, aber ihre Hände zitterten nicht einmal.

Sie hatte Angst, gleichzeitig fühlte sie eine Ruhe, die schon beinahe unheimlich war, denn es war eine Ruhe, die irgendwie von außen auf sie ein zuströmen schien; nichts, was zu ihr gehörte, sondern ein fremder, betäubender und sehr unangenehmer Einfluß. Für einen Moment kam sie sich vor wie eine Marionette, die an unsichtbaren Fäden hing.

»Wir sollten jetzt alle ruhig sein«, sagte Gabi aufgeregt. Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. »Wenigstens für einen Moment, bis Stefanie sich konzentriert hat.« Es war ein sonderbares, fast schon unheimliches Gefühl. Natürlich gab es mindestens ein Dutzend logischer Erklärungen - angefangen von Muskelspannungen, die sich unbemerkt entluden, über eine besonders geschickt ausgeführte Manipulation Stefanies oder ihres Begleiters - und trotzdem war es ein fast gespenstisches Gefühl, als sich das Glas plötzlich zu bewegen begann.

Zuerst bemerkte sie es kaum - es war nur ein leises, fast unmerkliches Zittern, ein ganz sachtes Vibrieren und Beben, das ihr wahrscheinlich nicht einmal aufgefallen wäre, hätte der Römer auf der gläsernen Tischplatte nicht ein leises, aber sehr mißtönendes Quietschen verursacht. Dann begann sich das Glas zu bewegen.

Liz war sehr sicher, daß sie keinen Druck auf das Glas ausübte, und sie war auch fast sicher, daß es keiner der anderen tat - aber das Glas begann sich zu bewegen. Zuerst langsam, dann immer rascher und gleichzeitig leichter glitt es über den Tisch, schoß auf den unteren Rand des Buchstabenkreises zu und verharrte im letzten Moment, rutschte ein Stück zurück, glitt nach rechts, nach links, wieder nach rechts ...

»Nun?« fragte Gabi leise. »Hältst du es immer noch für Humbug?«

Sie sah Stefan bei diesen Worten an, aber Liz war, sicher, daß die Frage in Wahrheit ihr galt. Trotzdem war es Stefan, der antwortete. »Vielleicht«, sagte er. »Bis jetzt ist nichts passiert, bis auf...«

Er sprach nicht weiter, denn genau in diesem Moment vollführte das Glas einen so heftigen Ruck nach rechts, daß alle bis auf Liz und Stefanie den Kontakt verloren. Trotzdem schoß der Römer weiter, berührte das ›H‹, jagte in einem fast eleganten Halbkreis herum, stieß gegen die Spielkarte mit dem ›A‹, löste sich davon, traf zweimal kurz und hart hintereinander das ›L‹ und glitt schließlich, langsamer werdend wie ein Autofahrer, der sein Fahrzeug auf dem allerletztem Stück Weges ausrollen läßt, auf das ›O‹ zu.

»Hallo«, sagte Stefan. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht mit zuschreiben. Er schnaubte, schüttelte den Kopf und bedachte Stefanie mit einem Blick, der gleichzeitig mitleidig wie abfällig war.