»Wie eindrucksvoll«, sagte er. »Fast schon ein wenig zu deutlich, finden Sie nicht, meine Liebe?«
»Ich war das nicht, wenn es das ist, was Sie meinen«, sagte Stefanie ruhig. »Ich weiß, Sie glauben, ich hätte manipuliert, nicht wahr? Aber das habe ich nicht.« Stefan schnaubte erneut, sagte aber nichts, sondern sah statt dessen Liz fragend an. »Ich... hatte nicht den Eindruck, daß sie manipuliert«, sagte Liz zögernd. Ihre Worte entsprachen durchaus der Wahrheit: Natürlich war es möglich, daß das Mädchen geschickt genug war, das Glas zu schieben, ohne daß sie es auch nur merkte - aber irgendwie wußte sie, daß es nicht so war. Sie war sehr nervös.
»Aber ich nehme die Hand auch gerne runter«, fügte Stefanie hinzu und zog den Arm zurück. »Möglicherweise überzeugt Sie das mehr.«
»Möglicherweise«, sagte Stefan spöttisch. Verdammt nochmal, was sollte das? dachte Liz verwirrt. Es war seine Idee gewesen, bei diesem albernen Spiel mitzumachen, nicht ihre - hatte er nur darauf bestanden, um sich zu produzieren?
»Sie sind nicht der erste, der der Sache skeptisch gegenübersteht«, sagte Walter. »Aber Sie wären auch nicht der erste, der überzeugt wird.«
»Wovon?« fragte Stefan lächelnd.
Diesmal verzichtete Walter auf eine Antwort. Statt dessen zündete er sich umständlich eine seiner filterlosen Zigaretten an, stieß zwei lange gerade Rauchfäden durch die Nase aus und legte wieder die Hand auf das Glas. »Machen wir weiter«, sagte er. »Vielleicht antworten sie Ihnen ja.«
»Worauf?« Stefan zog demonstrativ die Augenbrauen hoch. »Ich habe ja gar keine Frage gestellt.« Trotzdem beugte auch er sich vor und berührte das Glas mit den Spitzen von Zeige- und Mittelfinger. Nach kurzem Zögern legte auch Liz ihre Fingerspitzen neben die seinen und schließlich Gabi und als letzter Rainer. Stefanie verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Abermals begann das Glas zu kreisen, wurde schneller, langsamer, schneller, langsamer... zwei-, dreimal glaubte Liz so etwas wie einen Rhythmus in dieser Bewegung zu spüren, aber jedes Mal wenn sie ihn gerade genau zu erkennen glaubte, verschwand er oder änderte sich.
»Ist... jemand hier?« fragte Stefanie. Sie hatte die Hände ausgestreckt und die Finger gespreizt, berührte das Glas aber nicht. Ihre Augen waren geschlossen. Feiner glitzernder Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Als sie weiter sprach, bewegten sich ihre Lippen kaum dabei.
»Wenn jemand hier ist, dann soll er antworten. Wir sind deine Freunde. Sag uns deinen Namen.«
Diesmal dauerte es länger, bis das Glas zu zittern begann, und seine Bewegungen waren deutlich langsamer und mühevoller. Dann begann es die Buchstabenkarten, zu berühren, manchmal dicht aufeinander folgend, manchmal mit großen Pausen, als müsse die unsichtbare Macht, die es lenkte, zwischendurch immer wieder Kraft schöpfen. Stefan schrieb pedantisch jeden einzelnen Buchstaben und jede größere Pause mit, aber das Ergebnis war mehr als dürftig - um nicht zu sagen, es war Wasser auf Stefans Mühlen. Zwei-, dreimal bildeten die Buchstaben Kombinationen, die mit einigem guten Willen als Worte zu bezeichnen waren - auf Stefans Zettel stand nach einer Viertelstunde ein GTENTAAK, ein STEFNN und die Buchstaben PEER, von denen Gabi behauptete, es wäre der Name einer ihrer Kontaktpersonen aus dem Geister reich. Danach kam nur noch heilloser Buchstabensalat, aus dem sich auch mit dem allerbesten Willen nichts Sinnvolles mehr herauslesen ließ, weder vor- noch rückwärts. Nicht, daß dieser Mißerfolg Gabis Optimismus auch nur den geringsten Abbruch tat - sie schien ihn im Gegenteil eher als eine Art Bestätigung ihrer Theorie zu betrachten.
Die Zeit verging, und im gleichen Maße, in dem klarer wurde, daß bei diesem Experiment nichts anderes als ein mit Buchstabensalat vollgekritzelter Zettel und ein verschwendeter Abend her ausschauen würden, begann sich Liz alberner vor zukommen. Sie hatte keine Angst mehr. Angst mußte man nur vor richtigen Geistern haben, nicht vor diesen Kindereien, aber sie begann sich einfach dumm vorzukommen. Plötzlich konnte sie Gabis Verlegenheit von vorhin verstehen; auch ihr wäre es alles andere als angenehm, von irgend jemandem bei diesem Unsinn überrascht zu werden.
Das Glas unter ihren Fingern begann zu zittern, wich in beinahe rechtem Winkel von seinem kreiselnden Kurs ab und berührte das ›S‹, das ›T‹, das ›I‹, zweimal rasch hintereinander das ›M‹ und schließlich wieder das ›T‹.
Liz hatte das Gefühl, von einer eisigen Hand berührt zu werden. Ihr Atem stockte. »Hoppla«, sagte Stefan. »Das sieht ja fast aus wie ein Wort.« Er grinste. »Fragt sich nur, was hier stimmt - oder auch nicht.«
Großer Gott, was geht hier vor? dachte Liz entsetzt. Plötzlich verspürte sie das fast übermächtige Bedürfnis, zu schreien, aber sie bekam nicht den kleinsten Laut heraus. Sie hatte nicht einmal die Kraft, die Finger vom Glas zu nehmen. Vielleicht sollten sie etwas bekommen, wovor sie wirkliche Angst haben können, dachte sie. Wie wäre es mit ein wenig ECHTEM Spuk, ihr Narren ?
Gott - was waren das für Gedanken? Es waren ihre Gedanken, ganz eindeutig, und doch wieder nicht, weil irgend jemand - irgend etwas - wollte, daß sie sie dachte.Vielleicht vergeht dir das Lachen, Gabischätzchen, wenn du einem WIRKLICHEN Geist begegnest - sie starrte Stefanie an - und du dir deine Faxen sparen kannst, du kleine Idiotin! Etwas geschah. Irgend etwas Entsetzliches geschah. Jetzt.
Und sie war nicht die einzige, die es spürte. Auch Gabi sah irritiert auf, und in das abfällige Grinsen auf Stefans Zügen mischte sich eine deutliche Spur von Unsicherheit, beinahe Schrecken.
»Was...«
»Ruhig!« unterbrach ihn Gabi aufgeregt. »Es beginnt - merkst du es denn nicht?« Stefan schützte abfällig die Lippen. »Weil die Buchstaben zufällig...«
Das Glas machte einen heftigen Ruck und prallte so hart gegen die ›NEIN‹-Karte, daß sie vom Tisch flog und zu Boden segelte. Stefan blinzelte, sah mit einer Mischung aus Überraschung und unverhohlenem Mißtrauen in die Runde und setzte dazu an, etwas zu sagen, aber in diesem Moment bewegte sich das Glas weiter, so schnell und mit einem so überraschenden Ruck, daß alle bis auf Liz für einen Moment den Kontakt damit verloren. Auch sie wollte loslassen, aber sie konnte es nicht!
»Was, zum Teufel...«, begann Stefan erneut, wurde aber sofort wieder von Gabi unterbrochen. »Still! Fühlst du es denn nicht, du unsensibler Klotz?«
Und plötzlich war es da. Stefanies Augen weiteten sich vor Schrecken, und auch Gabi und Walter fuhren sichtlich zusammen. Irgend etwas war plötzlich anders geworden, von einem Atemzug auf den nächsten. Irgend etwas war im Raum. Es war Liz unmöglich, die Hand vom Glas zu nehmen oder auch nur auf zusehen, aber sie spürte seine Gegenwart, das jähe Dasein von etwas anderem, Bösem, das vor einer Sekunde noch nicht hier gewesen war.
Es war, als wäre ein Fenster geöffnet worden, durch das eiskalte Luft her einströmte, aber es war kein Fenster nach draußen, sondern ein Fenster in die Hölle, durch das ein unsichtbarer Sturmwind herein fauchte, ein Orkan aus Haß und Gewalt und Bosheit, der sich wie ein unsichtbares schleichendes Gift im Raum ausbreitete. Stefanie krümmte sich. Sie sagte keinen Ton, aber ihr Gesicht war plötzlich grau vor Furcht, und in ihren Augen flackerte etwas, was Liz noch nie zuvor bei einem lebenden Menschen gesehen hatte. Es ging so schnell vorüber, wie es kam - für den Bruchteil einer Sekunde nur spürte das Mädchen die Berührung dieses körperlosen bösen Dinges, dann, als hätte es seinen Irrtum eingesehen, löste es sich wieder von ihr, das Entsetzen wich aus ihrem Gesicht.
»Großer Gott«, flüsterte sie. »Was... ist das?«