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Liz schrie gellend auf und rannte aus dem Zimmer. Stefan sah nicht einmal hoch. Erst als sie das Erdgeschoß erreichte, begriff sie wirklich, was sie tat, und blieb abrupt stehen. Ihre Knie begannen zu zittern, so stark, daß sie sich gegen den Türrahmen lehnen mußte. Sie war wahnsinnig! Es war Wahnsinn, dort hinauszugehen, sich diesem Was-auch-immer zu stellen, das dort draußen auf sie wartete, diesem Etwas, das entsetzlich genug war, einen Hund wie Carry in den Irrsinn zu treiben, aber es war auch Wahnsinn, hier zubleiben und weiter die Augen vor der Wahrheit verschließen zu wollen.

Zitternd sah sie sich um. Das Haus war dunkel und still, und ganz plötzlich fiel ihr der Traum ein, mit dem all dies begonnen hatte. Dies hier war der Korridor aus ihrem Traum: von ihrer Position aus wirkte die Treppe riesig, alle Proportionen schienen auf geheimnisvolle Weise verzerrt und falsch, das Schwarz schien zu glänzen wie matter Chrom.

Und draußen wartete die Bestie auf sie.

Dann regte sich Zorn in ihr. Vielleicht nur ein letztes Aufbegehren, aber es war stark, stark genug, selbst die Panik für einen Moment zu verjagen. Sie drehte sich um, trat zitternd an die Tür und blickte durch die beschlagene Scheibe nach draußen. Carry bellte noch immer wie von Sinnen, aber das Geräusch erschien ihr sonderbar fremd und fern, wie ein Laut, der aus einer anderen Welt herüber wehte und hier keinerlei Bedeutung hatte.

Was sie sah, erschien ihr auf den ersten Blick beinahe absurd normaclass="underline" Vom Waldrand her trieb noch immer Nebel über die Wiese. Es war kühl, einer jenen feucht kalten, klammen Morgen, wie sie in diesem Teil des Landes selbst in der wärmsten Jahreszeit anzutreffen sind, und die Fenster waren beschlagen, so daß der Nebel noch dichter erschien, als er ohnehin schon war.

Die wabernden Schwaden ließen alles grau und trist erscheinen, und die Kälte, die beharrlich durch die Fenster und die kaum isolierten Wände kroch, trug noch dazu bei, die ungemütliche, kalte Atmosphäre des Augenblicks zu vertiefen.

Sie schauderte.

Zum ersten Mal, seit sie hier hergekommen war, erschien ihr dieses Land abweisend und feindselig, nicht irgendetwas in ihm, nicht seine Menschen, keine körperlosen Monster aus sumpfigen Seen, sondern das Land selbst. Der Nebel wogte wie eine graue, auf geheimnisvolle Art von Leben erfüllte Wand jenseits des Zaun es. Die Bäume dahinter waren nichts mehr als graue, zitternde Schatten, die immer wieder hinter treibenden Nebelfetzen verschwanden und so die Illusion von Bewegung und Leben aufkommen ließen.

Sie hob die Hand und berührte das Glas. Es war eisig und feucht, und sie spürte, wie es zitterte; regelmäßig und dumpf zitterte, ein böser, flüsternder Rhythmus wie das Schlagen eines ruhigen Herzens.

Sie fuhr mit einer abrupten Bewegung zurück und ballte die Fäuste, so heftig, daß die kaum verkrustete Wunde in ihrer Linken wieder aufbrach und ihr improvisierter Servietten-Verband feucht und dunkel wurde. Der Schmerz riß sie in die Wirklichkeit zurück. Sie atmete tief und bewußt ein, schüttelte ein paar mal heftig den Kopf und zwang sich, das Bild vor dem Fenster kühl und sachlich zu betrachten. Es war schwer, aber es ging. Sie sah einen Hof, der in schlechtem Zustand war. Dahinter eine Wiese, unter schwerem feuchtem Nebel verborgen und von einem Wald begrenzt. Mehr nicht.

Die Schatten dort draußen waren Schatten, der Nebel, Nebel, ganz normaler, ordinärer Nebel. Mehr nicht.

Mehr nicht, hämmerte sie sich ein. Es gab nichts, wovor sie Angst zu haben brauchte, es hatte nie etwas gegeben und würde nie etwas geben. Stefan hatte recht. Sie war überarbeitet, überreizt. Ihr Körper hatte sich an das harte Leben hier draußen gewöhnt, aber ihr Geist schien länger für die Umstellung zu brauchen, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte.

Es gibt keine geheimnisvollen Mächte, dachte sie angestrengt. Keine Geister oder Dämonen. Keine Banshees. Es gab sie nicht und hatte sie nie gegeben. Nie, nie, nie! Sie streckte die Hand nach der Klinke aus und zögerte erneut. Sie hatte Angst, fürchterliche, panische Angst wie nie zuvor in ihrem Leben, eine Angst, die vom schrillen Heulen des Hundes noch geschürt wurde, und trotzdem hatte sie sich entschlossen, dort hinauszugehen und sich der Bedrohung zu stellen. Sie würde jetzt hinausgehen und die Sache klären, ein für allemal.

Sie hatte kaum die Kraft, die Klinke herunter zudrücken. Ein plötzlicher Windstoß tauchte über den Hof, riß den Nebel für einen flüchtigen Moment auseinander und drückte die Tür mit unsichtbaren Fäusten nach innen.

Liz trat einen halben Schritt aus dem Haus und blieb fröstelnd stehen. Drinnen war es kühl gewesen, aber hier draußen war es eisig; viel zu kalt für die Jahreszeit, eine Luft, die klar und durchsichtig war und nach Arktis roch, nach Schnee und Kälte und Nebel, der aus Sumpf löchern stieg. Sie widerstand der Versuchung, die Arme um den Körper zu schlingen und sich wie ein verängstigtes Kind in sich selbst zu verkriechen. Der Wind flaute ab, genauso rasch, wie er aufgekommen war, und zurück blieb eine fast unheimliche Stille. Sie drehte sich um und sah, daß der Nebel dichter geworden war und sich auch das Haus in einen massigen, dunklen Schatten verwandelt hatte. Wieder kroch Furcht in ihr empor, und diesmal war es keine Welle brüllender Panik, gegen die sie sich mit ihrer Willenskraft stemmen konnte, sondern eine schleichende, lautlose Angst, die die Barriere um ihren Geist nicht durchbrach, sondern unterlief und wie ein heimtückisches Gift in ihr Bewußtsein tröpfelte. Sie wollte schreien, aber sie tat es nicht. Der Nebel wogte stärker, bildete bizarre Formen und Umrisse, Grimassen und dünne, viel fingerige Hände, die nach ihr zu greifen schienen. Sie wußte, daß all dies nicht wirklich da war, daß die amorphe graue Masse nicht mehr als eine Leinwand war, auf die ihr Unterbewußtsein die Schrecken projizieren konnte, die es verbarg. Aber dieses Wissen nutzte erstaunlich wenig.

Sie schloß die Augen, ballte die Fäuste und versuchte, einen Schritt auf die Nebelmauer zu machen. Sie wollte es nicht. Sie wollte sich umdrehen und weglaufen, rennen, ganz egal, wohin, nur rennen, rennen, rennen, um nie wieder stehen zubleiben, aber gleichzeitig wußte sie auch, daß damit alles nur viel schlimmer würde. Sie mußte diesen Schritt tun, nur einen einzigen Schritt, mit dem sie sich der Konfrontation stellen, sie bekämpfen konnte. Aber ihre Glied erschienen ihren Befehlen plötzlich nicht mehr zu gehorchen.

Und dann, so plötzlich, wie es begonnen hatte, war es vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie das Gefühl, durch eine gigantische unsichtbare Glasscheibe zu fallen.

Dann...

Der Nebel wurde wieder zu Nebel, die Schatten zu Schatten, und die Kälte ließ jetzt nur noch ihren Körper frösteln.

Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, wieder frei atmen zu können.

Sie hatte gewonnen. Sie hatte sich der Konfrontation gestellt, und sie war als Sieger daraus hervorgegangen. Es...

Carrys Bellen steigerte sich plötzlich zu einem irren Kreischen, um dann in ein helles Jaulen überzugehen - und abzubrechen.

Sie erstarrte. Auf seine Art war das Schweigen, das jetzt über dem Hof lastete, noch bedrohlicher als das Kläffen des Hundes. Es war nicht bloß Stille. Etwas war dort draußen. Etwas anderes. Finsteres. Etwas ungeheuer Böses, das...

Sie schüttelte ihre Angst ab und rannte los. Die Hoftür flog mit lautem Krachen und dem Klirren zerberstenden Glases gegen die Mauer, als sie aus dem Haus stürmte. Der Hund war tot.

Sie sah es im gleichen Moment, als sie das Haus verließ.

Er lag am Ende seiner Kette, ein zusammengestauchtes, verdrehtes Bündel Fell und Knochen. Rings um ihn herum war der Boden aufgewühlt, und an seinen Pfoten klebten noch Spuren des Lehms, in dem er wie irr getobt hatte.