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Stefan war niemals ein starker Trinker gewesen. Wenn er überhaupt Alkohol zu sich nahm, trank er sehr langsam, mit kleinen vorsichtigen Schlucken. Jetzt... schüttete er den hochprozentigen Schnaps einfach in sich hinein. Er schluckte nicht. Liz hätte bis vor einer Sekunde nicht einmal geglaubt, daß so etwas organisch überhaupt möglich war, aber sie konnte ihn genau beobachten, so wie sie dastand, ein wenig hinter und neben ihm: sein Adamsapfel bewegte sich nicht. Irgendwie schien es ihm einfach gelungen zu sein, seine Speiseröhre zu öffnen und die Flüssigkeit wie durch einen Trichter geradewegs in seinen Magen zu kippen. Was sie sah, erinnerte sie an das Saufen eines Tieres, gierig und schnell und unbeschreiblich widerlich.

Stefan mußte spüren, daß sie ihn anstarrte, denn er fuhr abrupt herum, funkelte sie eine Sekunde lang mit unverhohlenem Zorn an und verzog dann die Lippen zu einem geringschätzigen Lächeln. Der Martini war an seinem Kinn herabgelaufen und tropfte auf seinen Sweater, ohne daß er auch nur Notiz davon nahm.

»Was ist los?« schnappte er. »Haben wir über Nacht die Rollen getauscht, oder warum verteidigst du diesen alten Widerling plötzlich?«

»Das... das tue ich doch gar nicht«, stotterte Liz, völlig überrascht über den unmotivierten Angriff. »Ich sage nur...«

»Tust du doch«, unterbrach sie Stefan grob. »Verdammt, gestern um diese Zeit hättest du noch applaudiert, wenn ich die Green Barrets gerufen und ganz Schwarzenmoor in Schutt und Asche hätte legen lassen. Und jetzt ergreifst du seine Partei?« Es fiel Liz schwer, zu antworten. Der Mann, der vor ihr stand, schien kaum mehr Ähnlichkeit mit Stefan zu haben;nicht einmal äußerlich. Vielleicht war es kein Traum gewesen, dachte sie entsetzt. Vielleicht war das DING aus der Scheune wirklich ins Haus gekommen, und vielleicht war alles wahr, und Stefan war nicht mehr Stefan, sondern nur noch ein Ding, das aussah wie er. »Ich... ich glaube nur nicht, daß er etwas damit zu tun hat«, sagte sie verstört.

»Womit? Mit Carrys Tod?« Stefan schnaubte, schüttelte heftig den Kopf und beantwortete seine Frage selbst: »Natürlich nicht. Dieser alte Schleim er wird sich wohl kaum mitten in der Nacht auf meinen Hof geschlichen und den Hund erwürgt haben. Aber er macht sich ein bißchen zu wichtig, in letzter Zeit, finde ich.« Er schnaubte. »Aber das macht nichts. Du hattest recht, Liz - es bringt nichts, nur schön zu tun und die Schnauze zu halten. Ich werde diesem Bauernpack zeigen, wo's langgeht.« Er schnaubte, und es hörte sich nicht nur für Liz, sondern wirklich an wie das Grunzen eines großen, wütenden Tieres. »Das war es doch, was du die ganze Zeit wolltest, oder?«

Sein Blick wurde lauernd. Und ganz plötzlich begriff Liz, daß nichts von dem, was er sagte, Zufall war oder einfach so daher geredet. Nein, Stefan wollte auf etwas ganz Bestimmtes hinaus. Er wollte irgendeine ganz bestimmte Reaktion provozieren. Wollte er mit ihr streiten? Aber warum?

»Ich... ich weiß nicht«, murmelte sie, ausweichend. Sie lächelte schwach, griff sich an die Stirn und stöhnte ganz leise. »Ich fühle mich nicht gut, Stefan. Ich... ich weiß überhaupt nichts mehr. Diese Spritze...«

»Dann solltest du dich hinlegen«, sagte Stefan grob. »Geh ins Bett. Dieser Viehdoktor kommt am Nachmittag noch einmal vorbei und schaut nach dir.«

Sie starrte ihn an, unfähig, irgend etwas zu antworten. Vergeblich wartete sie auf ein Lächeln, irgend etwas, was ihr bewies, daß seine Worte nicht so gemeint waren, nichts als ein grober Scherz.

Aber sie waren so gemeint. Jede einzelne Silbe.

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und lief aus dem Zimmer. Stefan griff nach der Martini-Flasche, als sie die Tür hinter sich zuwarf.

33.

Die Mittagssonne tauchte den Hof in harte, schattenlose Helligkeit, als sie das Haus verließ. Hinter dem Gatter verwehte die Staubfahne von Ohlsbergs Wagen. Seine Reifen hatten tiefe Zwillingsspuren im weichen Lehm der Ausfahrt hinterlassen, und die Atmosphäre schien seltsam aufgewühlt, als hinge noch ein schwaches Echo von Ohlsbergs und Stefans Aktivitäten, ihres rastlosen Hin- und Herlaufens, ihres Redens und Hantierens in der Luft.

Und von Stefans Zorn. Ihr Blick wanderte zu der zerwühlten Stelle im Lehm hinüber. Der Boden war aufgerissen und mit dunklen, unregelmäßigen Flecken besudelt, und obwohl sie sich mit aller Kraft gegen die Vorstellung wehrte, glaubte sie für einen Augenblick wieder Carrys zerfetzten, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichnam dort liegen zusehen.

Carry... Tränen füllten ihre Augen, aber sie versuchte nicht einmal, sie zurückzuhalten. Sie hatte ihn geliebt. Er war nur ein Tier gewesen, hatte Ohlsberg gesagt, aber sie hatte ihn geliebt, hatte seine tölpelhafte Bärbeißigkeit gemocht. Wie sehr, spürte sie erst jetzt, als er nicht mehr da war.

Nur ein Tier... Seltsamerweise spürte sie kaum Trauer. Eine unerwartete Ruhe hatte sie erfaßt, eine tödliche, betäubende Ruhe, wie sie sich oft nach einem schweren Verlust einstellt, bevor der tiefer sitzende Kummer kommt.

Nur ein Tier... dachte sie noch einmal. Aber der Tod dieses großen starken Hundes hatte ihr gegolten. Carry war stellvertretend für sie gestorben, und eigentlich hätte sie es sein müssen, die jetzt zerfetzt und ausgeblutet unter der Plane hinter der Scheune liegen mußte.

Stefans Worte fielen ihr ein: Schaufeln Sie irgendwo hinter dem Haus ein Loch und legen Sie ihn hinein.

Wie hatte er nur so herzlos sein können? Mit einem Mal fror sie. Der Wind schien plötzlich kälter geworden zu sein. Sie schlang die Arme um den Oberkörper und zog die Schultern zusammen, aber es half nichts. Die Kälte kam nicht von außen. Sie hatte plötzlich das Bedürfnis, mit jemandem zureden, aber die Auswahl war nicht besonders groß. Stefan kam nicht in Frage, und Andy...

Andy! Großer Gott, bei allem hatte sie das Mädchen total vergessen! Sie hatte sie seit dem vergangenen Abend nicht mehr gesehen, ja, ihre Anwesenheit war ihr bis zu diesem Moment nicht einmal bewußt gewesen. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich: was, wenn das arme Ding alles mitbekommen hatte und jetzt zitternd vor Angst in irgendeiner Ecke hockte? Peter würde ihr kaum Trost spenden können.

Aber sie noch weniger, dachte sie matt. Sie war eine Fremde für Peters Tochter, und sie hatte das Mißtrauen nicht vergessen, mit dem Andy sie angeblickt hatte, gestern. Gestern? Ja, es war tatsächlich erst einen Tag her, gerade vierundzwanzig Stunden. Seltsam, daß Ohlsberg die Gelegenheit nicht ergriffen hatte, sie oder Stefan auf Andy anzusprechen. Wahrscheinlich hatte er sich nicht getraut, nachdem Stefan ihn gleich zur Begrüßung angebrüllt hatte, daß man es sicherlich noch in Schwarzenmoor hören konnte. Und danach - nun, vielleicht hatte sich in irgendeiner Ecke seines Modergehirnes doch noch eine Spur von Taktgefühl gehalten. Auf jeden Fall war auch Andy im Moment kaum die richtige Gesprächspartnerin für sie. Blieb nur noch Peter.

Liz seufzte schmerzlich. Es war absurd, aber im Moment hatte sie viel mehr Vertrauen zu ihm, einem Wildfremden, als zu Stefan, ihrem eigenen Mann.

Sie schob auch diesen Gedanken auf die Wirkung von Swensens blödsinniger Droge, ließ sich aber von dieser Erkenntnis keineswegs von ihrem Entschluß abbringen, ihn zu suchen. Verdammt, sie mußte einfach mit irgend jemandem reden, und wenn es ein Stein war!