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»Das habe ich nicht«, versicherte er hastig. »Wirklich, Frau König, ich stehe auf Ihrer Seite, auch wenn es Ihnen vielleicht schwer fällt, das zu glauben. Es ist alles ganz anders, als Sie annehmen. Sie...«

Er brach ab. Eine halbe Sekunde lang stand er reglos und wie gelähmt da, dann fuhr er zusammen wie unter einem Hieb und wirbelte auf dem Absatz herum, um wieder im Wald unterzutauchen. Liz starrte ihm eine Sekunde verblüfft hinterher, ehe auch sie sich umdrehte. Auf halber Strecke zwischen dem Haus und ihr stand das Mädchen. Sie war herausgekommen, ohne daß Liz es gehört hatte, und der weiche Lehm des Hofes hatte ihre Schritte gedämpft, so daß Liz nicht einmal bemerkt hatte, wie sie nähergekommen war. Und irgend etwas an ihr...

Es war wie vorhin, als sie Stefan auf diese sonderbar tierische Weise hatte trinken sehen: sie konnte das Gefühl nicht erklären, aber es war mindestens ebenso stark wie bei ihm, wenn nicht stärker. Etwas an dem Mädchen war ihr unheimlich. Sie sah aus wie gestern: eine schmalgesichtige dunkelhaarige Kindfrau mit großen Augen, aus denen etwas wie ein niemals ganz verlöschender Schmerz sprach, ein unauslöschlich eingegrabenes Mißtrauen gegen die ganze Welt, aber da war auch noch etwas. Liz schauderte.

Es half nichts, es leugnen zu wollen - in diesem Moment hatte sie Angst vor Andy. Sie versuchte den Gedanken zu verscheuchen, aber es gelang ihr nicht. Irgend etwas...umgab das Mädchen. Eine unsichtbare Aura, ein finsteres knisterndes Ding, das ...

Mach dich nicht lächerlich! dachte sie wütend. An diesem Kind war nichts Unheimliches oder gar Gefährliches. Gar nichts.

Sie rang sich zu einem Lächeln durch, trat auf Andy zu und hob die Hand. Das Mädchen wich einen Schritt zurück, sah sie aus seinen großen, traurig-mißtrauischen Augen an und fuhr auf dem Absatz herum, um ins Haus zurück zulaufen.

Liz blickte ihr verwirrt nach. Beinahe schämte sie sich ihrer eigenen Gefühle - aber sie war fast froh, daß Andy vor ihr fortgelaufen war. Im nach hinein überlief sie ein kaltes Frösteln bei dem Gedanken, daß sie Andy um ein Haar berührt hätte.

Sie blieb einen Moment unschlüssig stehen, wandte sich dann endgültig um und ging mit raschen Schritten zum Haus zurück - aber nicht zu rasch, um Andy nicht zu begegnen.

Sie hatte Glück. Von dem Mädchen war keine Spur mehr zu sehen, als sie das Haus betrat. Stefan und Peter redeten im Wohnzimmer miteinander; sie hatte nicht einmal gemerkt, daß Peter wieder ins Haus gekommen war, aber sie hörte ihre Stimmen durch die Tür, als sie auf dem Weg nach oben daran vorbei kam. Sie ging ins Schlafzimmer, schloß die Tür hinter sich und setzte sich auf die Bett kante. Für einen Moment begann sich das Zimmer um sie herum zu drehen, der Boden zu wanken. Sie war verwirrt, bis ins Innerste verstört und verunsichert wie niemals zuvor in ihrem Leben.

Was bedeutet das alles! Sie verstand nichts mehr, rein gar nichts. Plötzlich war alles anders, Schwarz war Weiß, Weiß wurde zu Schwarz, die Guten waren plötzlich auf Ohlsbergs Seite, und ihr eigener Mann wurde zu einem grunzenden Tier. Und nach der gestrigen Nacht blieb ihr nicht einmal mehr der Ausweg, sich einfach für unzurechnungsfähig zu erklären. Selbst der letzte Ausweg, der Dolch, um geistiges Harakiri zu begehen, war ihr genommen. Es war wahr. Die Schrecken der letzten Nacht waren nicht nur ihrem Unterbewußtsein entsprungen. Sie war nicht verrückt. Eingebildete Monster massakrierten keine Hunde.

Ihre Finger glitten wie von selbst zur Schublade des Nachtschrankes, öffneten sie und nahmen das Röhrchen mit den Tabletten heraus. »Nehmen Sie alle zwei Stunden eine davon, und Sie werden sich wohl fühlen«, hatte Swensen gesagt.

Die Verlockung war groß. Sie kannte Mittel wie diese. Tranquilizer, Psychopharmaka, hübsche bunte, kleine Teufelsdinger mit wohlklingenden Namen, die zwar nicht halfen, ein Problem zu lösen, aber sehr wohl, es zu vergessen. Vielleicht, überlegte sie, hatten Stefan und der Arzt sogar recht. Vielleicht gab es gar keine Bedrohung, und sie war schlicht überarbeitet und am Ende ihrer Kräfte. Alles, was geschehen war, konnte Zufall sein. Zufälle und Banalitäten, die sie schlicht über- oder falsch bewertete. Selbst der Tod des Hundes mochte erklärbar sein; irgendwie. Aber wenn es so war, dann brauchte sie keine Tabletten, um damit fertig zu werden.

Sie legte das Röhrchen in die Schublade zurück, schloß den Schrank und ließ sich nach hinten aufs Bett sinken. Mit einem Mal fühlte sie sich müde, obwohl sie Angst davor hatte, einzuschlafen. Wenn sie schlief, konnte die Angst wiederkommen, eingebildet oder nicht.

Trotzdem schlief sie wenige Augenblicke später ein.

Sie träumte, ohne sich genau erinnern zu können, was - es hatte irgend etwas mit Stefan zu tun, der sich in ein grunzendes sabberndes Etwas verwandelte, und Ohlsberg, der sie voller Mitleid anstarrte und immer wieder sagte: Sie sollten wirklich nicht hier sein, Kindchen. Als sie am frühen Nachmittag erwachte, war sie in Schweiß gebadet, und ihr Herz hämmerte wild.

Noch anderthalb Tage. Der Countdown lief.

34.

Ein leises Klopfen an der Schlafzimmertür weckte sie. Sie war noch einmal eingeschlafen, konnte sich aber nicht erinnern, wann. Für einen Moment fühlte sie sich verwirrt und desorientiert. Sie fühlte sich verschwitzt und klebrig, als hätte sie lange Zeit in ihren Kleidern geschlafen. Sie fuhr sich verwirrt mit der Hand über die Augen. Das Bett neben ihr war noch unbenutzt. Stefan hatte nicht darin geschlafen. Es war also noch nicht wieder Morgen.

Es klopfte noch einmal.

Sie stand auf, ging unsicher und benommen zur Tür und drückte die Klinke herunter. Auf dem Korridor stand Stefan, ein Tablett mit Kaffee und Broten balancierend. »Hallo«, sagte er aufgeräumt. »Endlich wach?« Er schob die Tür mit dem Ellbogen weiter auf, zwängte sich an ihr vorbei und setzte sein Tablett auf dem Nachtschränkchen ab. Der verlockende Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee stieg ihr in die Nase.

»Was... wird das, wenn du fertig bist?« fragte Liz verwirrt. »Und seit wann klopfst du an?« Sie war noch nicht ganz wach, aber ein Teil ihres Bewußtseins begriff, daß es wieder Stefan war, dem sie gegenüberstand, kein grunzendes Ding, das sich allmählich in ein Tier verwandelte. Natürlich - es war nur ihr Zustand gewesen - und diese vermaledeite Spritze, die ihr Swensen gegeben hatte. Plötzlich war sie sehr froh, die Tabletten nicht genommen zu haben.

Stefan ging wortlos zur Tür zurück, schloß sie und deutete mit einer Kopfbewegung aufs Bett. »Leg dich wieder hin.«

»Aber...«

»Keine Widerrede«, sagte Stefan mit gespielter Strenge. »Du bist krank, und ich habe mir vorgenommen, dich zu bemuttern. Also sei kein Spielverderber und tu wenigstens so, als ob du dich freust. Und jetzt setz dich und trink deinen Kaffee. Du siehst aus, als könntest du ihn gebrauchen.«

»Vielen Dank für das Kompliment«, murmelte Liz, ließ sich aber trotzdem gehorsam auf die Bett kante sinken und nippte an ihrer Tasse. Sie sah nicht nur so aus, sie fühlte sich auch, als könnte sie mehr als nur eine Tasse Kaffee vertragen. Er war heiß und schwarz und bitter, aber sie zwang sich, mit vorsichtigen kleinen Schlucken zu trinken und sich auch noch eine zweite Portion einzuschenken. Das taube Gefühl zwischen ihren Schläfen wollte nicht weichen, und sie fühlte sich kraftlos und auf seltsam unangenehme Art schwach.

Stefan sah ihr eine Weile wortlos zu, dann lehnte er sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte an ihr vorbei zum Fenster. »Ohlsberg hat vorhin angerufen«, sagte er plötzlich.

»Ohlsberg?« Liz kramte eine Weile in ihrem Gedächtnis. Alles, was heute vormittag geschehen war, erschien ihr seltsam fremd und unscharf. Ohlsberg ... irgend etwas klingelt ein ihrem Gehirn, als sie den Namen hörte, aber zum Teufel, sie wußte nicht, was? Was für ein Teufels zeug hatte Swensen ihr da nur gespritzt? »Was wollte er?« fragte sie matt.