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Stefan lächelte, aber es wirkte sehr gequält. »Er hat tatsächlich Erkundigungen eingezogen. Ich fürchte, ich muß mich bei dem armen Kerl entschuldigen. Ich habe ihm unrecht getan.«

Oh, dachte Liz enttäuscht. Sie hatte sich also nicht geirrt. Alles war wieder beim alten. »Wieso?« fragte sie zwischen zwei Schlucken. Mit einem Mal fühlte sie sich wieder angespannt und nervös. Ihre Erinnerungen kamen schlagartig zurück und mit ihnen die Angst. Ohlsberg. Andy. Der tote Hund.

»Was ist passiert?«

»Eine Menge«, antwortete Stefan. »Wir sind nicht die einzigen, deren Hof überfallen wurde. Auf einem Nachbargehöft wurde ein Schaf gerissen, und einer der Bauern hat fast seine gesamten Hühner verloren. Wir waren nur die einzigen, die Anzeige erstattet haben. Es sieht so aus, als ob sich ein wildernder Hund in der Gegend herumtreibt.«

»Ein Hund?« wiederholte Liz verblüfft. Das war lächerlich. Für einen winzigen, schreckerfüllten Moment sah sie noch einmal Carrys zerfetzten Körper vor sich, die verdrehten Glieder, den mächtigen, wie von einem gigantischen Hammer zermalmten Schädel... Nein. Kein Hund konnte so etwas tun. Nicht in der kurzen Zeit. Es hatte nur Sekunden gedauert!

»Genauso habe ich auch reagiert«, fuhr Stefan fort. »Aber er könnte recht haben. Carry war zwar ein riesiger Hund, aber diese Streuner sind meistens besonders kräftige Exemplare. Sie müssen es sein, sonst würden sie nicht lange überleben, weißt du. Meistens sind es böse alte Einzelgänger, die alles angreifen, was sich ihnen in den Weg stellt. Gegen einen solchen Killer hätte Carry keine Chance gehabt.«

»Aber es ging so schnell...«, sagte Liz. Stefans Worte klangen durchaus logisch, aber irgend etwas sagte ihr, daßer trotzdem unrecht hatte. Was immer es gewesen war - es war kein Hund. Und es lauerte immer noch dort draußen.

»Sie werden ihn jagen«, sagte Stefan. »Es ist nicht das erste Mal, daß ein Streuner die Gegend unsicher macht. Sie werden ihn erledigen. Du wirst sehen, in ein paar Tagen ist der ganze Alptraum vorbei.« Er lächelte, stand auf und nahm ihr mit sanfter Gewalt die Kaffeetasse aus der Hand.

Liz sah ihn verwirrt an. »Was soll das?«

»Ich dachte, wir gehen nach unten. Oder willst du weiter schlafen?«

Liz überlegte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf und stand auf. Wenigstens versuchte sie es.

Das Zimmer begann sich um sie zu drehen. Der Boden zitterte, ihre Knie wurden weich, sie taumelte, griff haltsuchend nach dem Bett und verfehlte es und wäre gestürzt, wenn Stefan nicht blitzschnell zugegriffen und sie aufgefangen hätte. »Alles in Ordnung?« fragte er erschrocken.

»Nein, verdammt noch mal.« Liz keuchte, machte sich wütend aus seinem Griff frei und krümmte sich stöhnend auf der Bett kante. »Was für einen verdammten Mist hat dieser Pferdedoktor mir da gespritzt?« stöhnte sie.

»Nur ein Beruhigungsmittel«, antwortete Stefan ernst. »Allerdings ein ziemlich starkes. Vielleicht legst du dich besser doch wieder hin.«

»Zum Teufel noch mal, nein!« fauchte Liz. Sie versuchte wieder aufzustehen. Stefan postierte sich mit griffbereit ausgestreckten Händen hinter ihr, und vielleicht war es gerade das, was ihr die Energie gab, aus eigener Kraft zu stehen. Sie war kein Wickelkind mehr, verdammt. Und sie würde sich nicht von irgendeiner Scheiß spritze unterkriegen lassen!

Mehr taumelnd als gehend erreichte sie die Tür, blieb einen Moment keuchend gegen den Rahmen gelehnt stehen und machte eine wütende Kopfbewegung, als Stefan sie stützen wollte - mit dem Ergebnis, daß ihr auf der Stelle noch schwindeliger wurde. Trotzdem - verfluchter Stolz - schlug sie Stefans ausgestreckte Hand abermals beiseite, als sie weiterging.

Hinterher wußte sie kaum, wie sie die Treppe nach unten geschafft hatte. Ohne daß sie im ersten Moment selbst sagen konnte, warum, hatte sie auf den letzten Stufen fast panische Angst, Andy zu begegnen. Sie war in Schweiß gebadet und zitterte, als sie den Korridor im Erdgeschoß erreichte, und als Stefan ihr noch einmal den Arm hinhielt, schlug sie ihn nicht mehr aus, sondern stützte sich dankbar auf ihn, während er sie zum Wohnzimmer führte.

Eine Sekunde später wünschte sie sich, es nicht getan zu haben.

Sie waren nicht allein. Auf der anderen Seite des Zimmers vor dem Fenster stand ein grauhaariger Mann mit einem Weihnachtsmanngesicht, und auf dem Glastisch vor der Couch prangte eine wohl bekannte, abgewetzte schwarze Tasche.

»Swensen?« entfuhr es ihr. »Sie ...«

»Ich habe gesagt, daß ich noch einmal vorbei schaue und nach Ihnen sehe«, erklärte der Arzt lächelnd und kam auf sie zu. »Versprochen ist versprochen.«

Liz wich vor seinen ausgestreckten Händen zurück, aber nur einen Schritt, denn hinter ihr stand Stefan, der sie an den Schultern festhielt.

»Das ist... sehr aufmerksam von Ihnen«, sagte Liz stockend. Sie versuchte Stefans Hände abzustreifen, aber sein Griff war zu fest, als daß sie es tun konnte, ohne grob zu werden. Und sie war sich nicht einmal sicher, ob er sie nun hielt, weil er Angst hatte, daß sie wieder fallen könnte - oder ob er sie festhielt, damit sie nicht vor dem Arzt floh!

»Es ist mein Beruf, aufmerksam zu sein«, erklärte Swensen lächelnd. »Wie fühlen Sie sich?«

Liz ignorierte seine Frage. »Sie hätten sich den Weg sparen können«, sagte sie. »Ich bin schon wieder ganz in Ordnung.«

Swensen seufzte. Er sah richtig enttäuscht aus. »Immer dasselbe«, stellte er fest. »Warum überlassen Sie es nicht mir, die Diagnose zu stellen? Legen Sie sich hin.« Er machte eine Kopfbewegung zur Couch, und Stefan schob sie dorthin, nun schon mit etwas mehr als sanfter Gewalt, und zwang sie, sich zu setzen. Liz fand es nicht der Mühe wert, zu protestieren. Nicht gegen ihn.

Aber gegen den Arzt. Als Swensen sein Stethoskop aus der Tasche zog und Anstalten machte, ihre Bluse aufzuknöpfen, schlug sie seine Hand beiseite. »Mir fehlt nichts«, sagte sie ärgerlich. »Danke.«

»Stell dich nicht an«, schnauzte Stefan. »Glaubst du, der Doktor macht sich den weiten Weg hier heraus aus Langeweile?«

Sie war so wütend, daß ihr Stefans rüder Ton im ersten Moment gar nicht auffiel. »Ich bin wieder in Ordnung, Doktor«, sagte sie, noch immer scharf, aber jetzt völlig ohne Erregung, dafür mit um so größerer Entschiedenheit. »Ich will weder von Ihnen untersucht werden, noch möchte ich irgendwelche Medikamente haben. Und schon gar keine Spritzen mehr«, fügte sie hinzu.

Swensen sah nun wirklich enttäuscht aus und ein wenig ungeduldig. Aber er war Arzt und solcherlei Sperenzchen von störrischen Patienten sicherlich gewöhnt. Er seufzte, nahm sein Stethoskop herunter und sah sie einen Moment lang vorwurfsvoll an.

»Ich kann Sie nicht gegen Ihren Willen behandeln, Frau König«, sagte er ruhig. »Aber ich muß Sie warnen. Möglicherweise fühlen Sie sich jetzt wirklich wieder halbwegs kräftig. Aber das liegt wohl mehr an der Spritze, die ich Ihnen heute morgen gegeben habe. Überschätzen Sie sich nicht.«

»Überschätzen Sie sich nicht, Doktor«, antwortete Liz eisig. »Ich verklage Sie bis in die nächste Steinzeit, wenn Sie mich auch nur anrühren.«

Swensen erstarrte für einen Moment, machte eine Bewegung, als wollte er aufstehen, und sank dann wieder zurück, seine Schultern sackten nach vorne, und jede Spannung wich aus seinem Gesicht. Für einen Moment erinnerte er Liz an einen Ballon, aus dem schnell und lautlos die Luft entwich, ja, sie wartete fast ernsthaft darauf, daß sein Gesicht sich in Falten legen und weiter verschrumpeln würde. Was natürlich nicht geschah. Statt dessen erschien Stefan hinter ihm, groß und drohend und mit einem grimmig-entschlossenen Ausdruck im Gesicht.