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Stefan nickte. »Ja. Ich denke, wir haben ab morgen einen Gehilfen, der dir die schwerste Arbeit abnehmen kann.«

»Aber das wäre...«

»Herrlich?« schlug Stefan vor.

Ja, es wäre herrlich. Schon nach den ersten Wochen hatten sie damit begonnen, Personal zu suchen, aber es hatte sich als unmöglich erwiesen, auch nur einen einzigen Mann zu bekommen. Obwohl sie Geld hatten und bereit waren, weit mehr zu zahlen als die anderen Bauern hier in der Gegend, fand sich niemand, der für sie hatte arbeiten wollen.

Die Vorstellung, daß sie jetzt vielleicht doch noch jemanden finden sollten, erschien Liz wie ein Sonnenstrahl, der nach wochenlangem Regen durch die Wolkendecke bricht.

Sie sprang auf und begann eilig, das Geschirr abzuräumen.

3.

Selbst bei einem so herrlichen Wetter wie heute war der Weg nach Schwarzenmoor beschwerlich. Die Straße war kaum mehr als ein besserer Trampelpfad, auf dem Stefan die ungezählten PS des Sportwagens so gut wie nie zum Einsatz bringen konnte. Vom Hof aus schlängelte sich die Straße in einer scheinbar sinnlosen Folge von Kehren und Wendungen nach Norden, verlief eine Weile parallel zum Waldrand und verschwand schließlich zwischen den dichten, an einer Seite bemoosten Stämmen des Waldes.

Stefan schaltete das Autoradio ein, fummelte eine Zeitlang im Handschuh fach herum und förderte schließlich eine Kassette zutage, die er ins Gerät schob. Ein dumpfer, von dröhnendem Baß begleiteter Schlagzeugrhythmus drang aus den Lautsprechern und vertrieb die leisen Hintergrund-Geräusche des Waldes, die vom dumpfen Röhren des Motors bisher zwar überdeckt, aber nicht ganz verschluckt worden waren. Liz verdrehte demonstrativ die Augen, quittierte Stefans provozierendes Grinsen mit einem bösen Blick und widerstand im letzten Moment der Versuchung, sich vorzubeugen und das Gerät auszuschalten. Einer der wenigen Punkte, über die sie sich fast regelmäßig in die Haare gerieten, war ihr unterschiedlicher Geschmack in Sachen Musik. Aber an diesem Morgen war sie fast froh, daß die stampfenden, hämmernden Heavymetal-Rhythmen das Raunen des Windes und die wispernden Stimmen des Waldes übertönten.

Ein wenig von dem beunruhigenden Etwas, das den ganzen Morgen an ihren Nerven gezerrt hatte, war noch immer in ihr. Und wahrscheinlich würde sie es den ganzen Tag über nicht loswerden. Es war keine wirkliche Furcht mehr, nicht einmal mehr Unruhe, sondern etwas wie ein Kater, ein seelischer Kater, den sie vielleicht betäuben oder ignorieren, nicht aber ganz aus ihrem Bewußtsein verdrängen konnte. So wie ein Alkohol- oder Nikotinkater ihr den Geschmack an jedem Essen verdarb, so sorgte dieser seelische Kater dafür, daß ihr nichts an diesem Tag wirklich gefiel. Es war wie jenes schwefelgelbe Licht, das manchmal während eines Gewitters zu beobachten ist und selbst vertraute und liebgewonnene Dinge fremd und abstoßend erscheinen läßt. Sie wußte nicht, was es war, aber etwas an diesem Morgen - diesem Moment - war falsch. Etwas ...

Etwas begann.

Ja, das war es, dachte sie, während der rote Jaguar wie ein lärmendes Gespenst durch den Wald jagte und mit seinen breiten Reifen häßliche Spuren in den weichen Lehmboden pflügte. Genau das war es, das Gefühl, das sie seit ihrem Erwachen hatte und das - anders als der eigentliche Traum, der schon fast völlig verblaßt war - immer stärker in ihr wurde.

Etwas hatte begonnen, an diesem Morgen. War erwacht.

Plötzlich war ihr kalt.

Sie schauderte, zog den roten Strick schal enger zusammen, den sie kurzerhand zu einem Kopftuch umfunktioniert hatte, als sie in den offenen Wagen einstieg, und versuchte den Gedanken abzuschütteln, aber es gelang ihr nicht.

Ja, irgend etwas hatte begonnen, an diesem Morgen. Wenn sie nur wüßte, was! Sie lehnte sich zurück, schloß die Augen und verfolgte für Minuten das Spiel des fleckigen, von den Kronen der Bäume zu stroboskopischem Auf blitzen zerlegten Lichtes, das durch ihre geschlossenen Lider hin durchschimmerte. Erneut fiel ihr auf, wie kühl es war, und natürlich fiel ihr auch dafür fast sofort eine plausible Erklärung ein: Die Sonne brannte trotz der frühen Stunden bereits machtvoll vom Himmel, aber hier im Wald, am Grunde dieses mächtigen, von den weit ausladenden Ästen der Bäume gebildeten natürlichen Tunnels wurde es niemals richtig warm. So wie der Wald einen Teil der nächtlichen Dunkelheit in den flirrenden Schatten zwischen seinen Ästen zurück behielt, speicherte er auch einen Teil ihrer Kälte. Das war die eine, logische Erklärung. Aber vielleicht gab es noch eine andere, irreale...

Sie zog die dünne Strickjacke enger um die Schultern, griff dann nach hinten und schlüpfte umständlich in ihre Lederjacke, behindert durch die Enge des winzigen Sportwagens. Stefan lächelte ihr flüchtig zu und konzentrierte sich dann wieder auf den Weg. Seine Finger klopften den Takt der Musik auf dem polierten Holzlenkrad mit. Er wirkte gelöst und entspannt, aber sie wußte, wie sehr diese Schleicherei - wie er es nannte - an seinen Nerven zerrte. Der Weg war an sich schon schlecht, und der Jaguar war wohl das denkbar ungeeignetste Fahrzeug für diese Art von Straße. Der Boden unter ihren Füßen vibrierte unter einem ununterbrochenen Trommelfeuer abgebrochener Äste und Steine, und die harte Sportfederung des Wagens gab jede Erschütterung ungemildert an seine Insassen weiter.

Sie brauchten fast eine halbe Stunde, ehe sie aus dem Wald heraus waren, und dann noch einmal die gleiche Zeit, um sich auf dem schmalen, schlaglochübersäten Weg bis Schwarzenmoor vorzutasten.

Wie üblich war Stefan am Schluß vollkommen mit den Nerven fertig. Wie die meisten impulsiven Menschen war er bis zur Krankhaftigkeit ungeduldig, und das Gefühl, in einem Wagen zu sitzen, der gut und gerne seine zweihundertfünfzig Kilometer machte, und trotzdem selten schneller als zwanzig fahren zu können, brachte ihn zur Raserei. Als sie schließlich auf die kopfsteingepflasterte Hauptstraße des Dreihundert-Seelen-Dorfes ein bogen, war seine Stimmung auf den Nullpunkt gesunken. Er schaltete herunter, ließ den Motor wie zum Trotz ein paarmal schrill aufheulen und bog mit kreischenden Reifen auf den Marktplatz ein. Der Jaguar machte einen Satz, als Stefan das Gaspedal bis zum Boden durch trat. Die Beschleunigung preßte Liz in den Sitz. Die breiten Reifen drehten auf dem feuchten Kopfsteinpflaster durch und griffen dann wieder. Der Wagen bockte, stellte sich für eine halbe Sekunde quer und kam schließlich mit kreischenden Bremsen direkt vor dem Gasthaus zum Stehen; mit einem so harten Ruck, daß Liz reichlich unsanft in die Gurte geworfen wurde und schmerzhaft das Gesicht verzog.

»War das nötig?« fragte sie.

Stefan grinste, griff zum Zündschlüssel und ließ wie ein trotziges Kind den Motor noch einmal kraftvoll aufheulen, ehe er ihn abstellte. »Nein. Aber es hat Spaß gemacht.«

»Denen da nicht.« Liz deutete mit einer Kopfbewegung au feine Gruppe Einheimischer, die bei ihrem dramatischen Auftauchen stehen geblieben waren und den flachen roten Sportwagen mit unverhohlener Mißbilligung betrachteten. Sie konnte nicht verstehen, was sie miteinander redeten, aber es gehörte nicht besonders viel Phantasie dazu, es zu erraten.

Liz hatte keine Ahnung, ob Stefan und sie unter den Bewohnern von Schwarzenmoor wirklich unbeliebt waren - wie sie sich manchmal einbildete -, oder ob das, was sie spürte, nicht einfach nur Gleichgültigkeit war. Aber Stefans dramatische Auftritte sorgten mit Sicherheit nicht dafür, daß sie sich wesentlich beliebter machten.

Stefan tat die Bemerkung mit einem Schulter zucken ab, ließ den Schlüsselbund in seiner zuschnappenden Hand verschwinden und stemmte sich ächzend aus den Lederpolstern.

»Wo gehst du hin?« fragte Liz, während sie selbst die Tür öffnete und den Jaguar auf normalem Wege verließ - was Stefan übrigens sonst auch zu tun pflegte, wenn keine Zuschauer dabei waren. Er war und blieb ein Kind, dachte sie spöttisch. Ein großes, verspieltes Kind. Aber vielleicht war gerade das der Grund, aus dem sie ihn so sehr liebte.