»Kannst du mir erklären, was das soll?« schrie er. Seine Wut prallte von ihr ab. Er konnte sie nicht mehr verletzen. Stefans Gesicht verzerrte sich. »Meine Geduld ist erschöpft!« brüllte er.
Er packte sie bei der Schulter, riß sie hoch und schüttelte sie wild. »Rede endlich, du blöde, hysterische ...« Er brach ab, ballte die Faust, wie um sie zu schlagen, und starrte sie aus Augen an, die vor Zorn brannten. Seine Kiefer mahlten. In seinem Gesicht zuckten Muskeln, wo gar keine waren. »Ich warte!«
»Worauf?« fragte Liz. Die Sicherung war wieder herausgesprungen.
»Auf eine Erklärung!« brüllte Stefan. Das Rauschen in ihren Ohren sank weiter herab, sie hörte, daß der Plattenspieler noch immer lief. Heaven is there, where hell is, sang der Lead-Sänger, und der Chor intonierte dazu: And hell is down on earth! »Antworte gefälligst!« brüllte Stefan und packte sie wütend bei der Schulter. Liz schlug seine Hände beiseite. »Faß mich nicht an!« zischte sie. »Faß mich nie wieder an, hörst du! Nie wieder! Vielleicht solltest du mir ein paar Fragen beantworten - zum Beispiel, wo du gestern abend warst.«
Sein Blick wurde lauernd. »Was soll das?«
Liz atmete scharf und hörbar ein, aber mit einem Mal verrauchte ihr Zorn, so abrupt, wie er gekommen war. »Ich habe dich gesehen, Stefan«, sagte sie matt. »Gestern.«
»So?« Seine Augen schienen zu brennen. »Und?«
»Am See«, fuhr Liz fort. »Mit An ...« Es war absurd, aber sie brachte nicht einmal mehr den Namen über die Lippen. »Mit dem Mädchen, Stefan.«
Er antwortete nicht, sondern starrte sie nur weiter aus brennenden Augen an, und Liz fügte hinzu, sehr leise und sehr ruhig: »Ich werde dich verlassen, Stefan. Jetzt. Ich...ich gehe.«
»Bist du sicher?« fragte Stefan kalt.
Liz nickte. »Völlig. Gib mir die Wagenschlüssel.«
Was dann geschah, kam völlig unerwartet. Einen Moment lang starrte Stefan sie ungläubig an, dann stieß er einen quietschenden, beinahe komischen Laut aus, machte einen weiteren, halben Schritt auf sie zu...
... und schlug ihr warnungslos mit dem Handrücken über den Mund.
Im ersten Moment spürte Liz nicht einmal den Schmerz. Für eine Sekunde war sie einfach gelähmt vor Schrecken und Schock. Dann, als sie endlich begriff, was er tat, schlug sie seinen Arm zur Seite, riß sich los und versuchte an ihm vorbei zur Tür zu kommen.
Sie war viel zu langsam. Stefan holte sie mit zwei blitzschnellen Schritten ein, packte sie an der Schulter und versetzte ihr einen Schlag mit der flachen Hand, der sie gegen die Wand taumeln ließ. Sie schrie auf, riß schützend die Hände vor das Gesicht und trat nach ihm. Stefan grunzte, wich ihrem Fuß aus und schlug abermals zu. Diesmal mit der Faust. Und mit aller Kraft.
Liz glaubte, der Hieb müsse ihr das Genick brechen. Sie verlor den Boden unter den Füßen. Sie hatte es für eine dumme Redensart gehalten, eine Floskel, aber sie flog wirklich durch das Zimmer, segelte drei, vier Meter weit scheinbar schwere los durch die Luft und prallte dann mit entsetzlicher Wucht gegen den Tisch. Glas splitterte. Und etwas, das sich wie brechende Knochen anhörte.
Der Aufprall betäubte sie nicht, aber er raubte ihr jedes bißchen Kraft. Sie schlug gegen etwas Scharfkantiges, das ihre Bluse und eine tausendstel Sekunde später ihren Rücken aufriß, prallte mit dem Hinterkopf gegen ein Tischbein und schmeckte Blut. Übelkeit packte sie. Dann war Stefan über ihr. Seine Faust traf ihr Gesicht dicht unterhalb des Auges. Der Schmerz explodierte mit der Wucht und Heftigkeit einer Atombombe in ihrem Schädel. Aus den Lautsprechern dröhnten weiter die düsterrasenden Rhythmen der Heavy-Metal-Gitarren. Heaven is there, where hell is, and hell is down on earth, und das war alles, was sie noch bewußt wahrnahm. Das und seine Faust, die noch einmal auf ihr Gesicht her abfuhr.
Sie war sehr froh, als es so schlimm wurde, daß der Schmerz ihr die Besinnung raubte.
41.
Ein Vieh! hämmerten ihre Gedanken. Ein Vieh.
Selbst die Bezeichnung Tier war noch zu gut für ihn. Sie hatte es unten gedacht, die ganze Zeit über, und sie dachte es jetzt noch, als wäre dieses Wort etwas, woran sie sich fest klammern konnte. Er war zu einem Vieh geworden, einem ekelhaften, abstoßenden Monstrum, an dem nichts Menschliches mehr war.
Sie hatte sich, nachdem er endlich - endlich - von ihr abgelassen hatte, ins Schlafzimmer geschleppt, sich eingeschlossen und die Tür zusätzlich durch einen unter die Klinke geschobenen Stuhl gesichert. Zu Anfang hatte sie geweint, aber die Tränen waren rasch versiegt, und jetzt war sie nicht einmal mehr fähig, Haß zu empfinden.
Selbst um einen Menschen zu hassen, bedurfte es einer gewissen Beziehung zu ihm, irgendeiner Brücke, über die man sich verständigen, miteinander kommunizieren konnte, und es gab nichts mehr, was sie mit Stefan verband. Nichts.
Das Böse, das wie ein übler Geruch seit Tagen über dem Hof lastete, hatte ihn in seinen Klauen, hatte ihn entmenschlicht, zu einem Tier, mehr noch, zu einem ... Ding werden lassen, vor dem sie aller höchstens noch Ekel empfinden konnte. Vielleicht nicht einmal mehr das.
Nein, dachte sie, nicht einmal mehr das. Alles, was sie noch fühlte, war ein leises Gefühl der Verwunderung, daß sie für diesen Menschen jemals etwas empfunden haben sollte.
Sie richtete sich langsam auf dem zerwühlten Bett auf und sah sich im Zimmer um. Die vertrauten Umrisse erschienen ihr fremd und böse, wie alles an diesem Haus. Aber vielleicht hatte Belderson ja recht. Vielleicht war sie die Fremde, und ihr wurde langsam klar, daß sie der Eindringling, der störende Faktor war. Nur kam diese Erkenntnis um eine klitzekleine Kleinigkeit zu spät.
Mühsam stand sie auf, schluckte einen Schmerz laut hinunter und schleppte sich zum Fenster. Der Hof war leer, und er war noch immer nicht richtig hell; diese sonderbare, farbenfressende Dämmerung lastete noch über den Gebäuden;alles kam ihr ebenso fremdartig und böse vor wie dieses Zimmer. Von Stefan oder Andy war keine Spur zu sehen. Sie waren irgendwo im Haus. Mit etwas Glück, dachte sie, konnte sie fliehen, ehe er es merkte.
Und dann? Und vor allem - wie? Stefan hatte den Wagenschlüssel, und sie war auch sehr sicher, daß er den Reserve-Schlüssel aus seiner Schreibtischschublade genommen hatte. Er kannte sie. Er würde ihr nicht den Gefallen tun, sie zu unterschätzen. Und eine Flucht zu Fuß war unmöglich. Nicht fünf Kilometer durch diesen Wald. Draußen auf dem Gang wurden Schritte laut. Es klopfte.
Liz reagierte nicht. Sie starrte aus dem Fenster. Über den Wipfeln der Bäume wurde es allmählich vollkommen hell, aber irgendwie schien die Dämmerung den Hof vergessen zu haben. Der graue Vorhang aus Dunkelheit und Blässe blieb.
Das Klopfen wiederholte sich, ein wenig ungeduldiger jetzt, drängender. »Geh weg«, sagte sie, ohne sich um zudrehen. »Laß mich allein.« Ihre Stimme war ganz ruhig, und sie war selbst fast ein wenig erstaunt darüber. Sie sollte Angst haben. Wenn es Stefan war, der hereinkam, würde er sie schlagen.
Aber es war nicht Stefan.
»Ich bin es, Ma'am. Peter.«
»Peter?« Sie drehte sich langsam vom Fenster weg, musterte die geschlossene Tür und setzte sich widerwillig in Bewegung. Das Gehen fiel ihr noch immer schwer; sie spürte jeden einzelnen Schlag, den er ihr versetzt hatte. »Warten Sie. Ich ... ich komme.«