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«Hat ein Verrückter Motive?», fragte der Inspektor skeptisch.

«Natürlich hat er die, Mann! Eine kristallklare, tödliche Logik ist ein Hauptmerkmal akut auftretenden Wahnsinns. In diesem Zustand kann sich ein Mensch einbilden, er sei von Gott dazu ausersehen worden, Pfarrer zu töten – oder Ärzte – oder alte Frauen, die irgendwelche Kramläden führen –, und hinter dieser Einbildung steht immer ein vollkommen logisch herleitbarer Grund. Deshalb dürfen wir uns nicht zu sehr von dem Alphabetkomplex beeinflussen lassen. Dass Bexhill auf Andover folgt, kann völlig zufällig sein.»

«Aber wir können jedenfalls gewisse Sicherheitsvorkehrungen treffen, Carter, und die Einwohner, deren Namen mit B beginnt, notieren. Ferner soll man kleine Ladenbesitzer, vor allem Tabakläden, die von einer einzelnen Person geführt werden, im Auge behalten. Mehr können wir im Augenblick nicht tun. Ortsfremde müssen wir selbstverständlich besonders gut im Auge behalten.» Der Inspektor stieß einen stöhnenden Seufzer aus.

«Ausgerechnet bei Ferienbeginn! Diese Woche wird der Ort von Fremden förmlich überschwemmt sein.»

«Wir müssen unser Bestes tun», sagte der Polizeichef scharf.

«Inzwischen werde ich alle in den Fall Ascher Verwickelten beobachten lassen», mischte sich Inspektor Glen hier ein. «Also die beiden Zeugen Partridge und Riddell und natürlich Ascher selber. Wenn einer von ihnen Anstalten machen sollte, Andover zu verlassen, wird er verfolgt werden.»

Nach ein paar weiteren Vorschlägen ging die Versammlung auseinander.

«Poirot, ein zweites Verbrechen kann ganz bestimmt verhindert werden, meinen Sie nicht?», fragte ich, als wir am Fluss entlanggingen.

Er wandte mir ein müdes, ernstes Gesicht zu.

«Die Vernunft einer ganzen Stadt gegen die Unvernunft eines Einzigen? Ich sehe schwarz, Hastings, sehr schwarz. Erinnern Sie sich an die fortgesetzten Erfolge von Jack die Ripper?»

«Scheußlich», murmelte ich.

«Wahnsinn, Hastings, ist grauenvoll… Und ich fürchte, ich fürchte…» 

9

Ich erinnere mich noch genau an mein Erwachen am Morgen des fünfundzwanzigsten Juli. Es muss ungefähr um halb acht Uhr gewesen sein. Da stand Poirot an meinem Bett und schüttelte mich sanft an der Schulter. Ein Blick in sein Gesicht riss mich aus dem Halbschlaf und in die Wirklichkeit.

«Was ist los?» fragte ich und setzte mich rasch auf.

Seine Antwort klang sehr einfach, aber es lag eine Welt von Emotionen darin.

«Es ist geschehen.»

«Nein!», rief ich. «Heißt das, dass… Aber der Fünfundzwanzigste ist doch erst heute!»

«Es passierte vergangene Nacht, oder besser gesagt, in den ersten Morgenstunden des heutigen Tages.»

Während ich aus dem Bett sprang und mich hastig ankleidete, berichtete er mir, was er eben am Telefon gehört hatte.

«Man hat den Leichnam eines jungen Mädchens am Strand von Bexhill gefunden. Sie wurde als Elizabeth Barnard identifiziert. Kellnerin in einem Café, die mit ihren Eltern in einem kleinen, erst kürzlich gebauten Bungalow wohnte. Nach ärztlichen Feststellungen ist der Tod zwischen zwölf und ein Uhr nachts eingetreten.»

«Und ist man ganz sicher, dass es sich dabei um das Verbrechen handelt?», fragte ich und seifte mein Gesicht ein.

«Es wurde tatsächlich ein ABC-Fahrplan, auf der Seite mit den Zügen nach Bexhill aufgeschlagen, unter der Leiche gefunden.»

Mich überlief es kalt.

«Wie grässlich!»

«Vorsicht, Hastings! Ich möchte nicht Zeuge einer zweiten Tragödie sein!»

Ich wischte mir betreten das Blut vom Kinn.

«Was haben Sie für einen Schlachtplan?», fragte ich.

«Wir werden in wenigen Minuten per Auto abgeholt. Ich bringe Ihnen eine Tasse Kaffee herein, damit wir dann sofort starten können.»

Zwanzig Minuten später überquerten wir in einem schnellen Polizeiwagen die Themse und fuhren den Vorstädten Londons entgegen.

Inspektor Crome, der kürzlich an unserer Konferenz teilgenommen hatte, begleitete uns. Er hatte den Fall offiziell übernommen. Crome war das genaue Gegenteil von Japp. Viel jünger als dieser, war er der Typ des schweigsamen, beherrschten Beamten. Er war wohl erzogen und gebildet und – für meinen Geschmack – ein bisschen zu selbstsicher. Er hatte vor kurzem Erfolg gehabt mit einer Reihe von Kindesmorden, deren Urheber er geduldig und geschickt entdeckt und seiner Strafe zugeführt hatte, die der Mann nun in Broadmoor absaß.

Er war ganz bestimmt der Richtige für diesen Fall; aber mir kam es so vor, als wisse er selber das eine Spur zu gut. Er schlug Poirot gegenüber einen Ton leicht überlegener, gönnerhafter Höflichkeit an.

«Ich habe mich lange mit Dr. Thompson unterhalten», sagte er. «Die Serien- oder Kettenmorde interessieren ihn ganz speziell. Begreiflich, denn sie entspringen ja auch einem ganz besonders kompliziert gelagerten Seelenzustand. Als Laie freilich versteht man die Finessen, die einem Arzt sofort auffallen, weniger zu schätzen.» Er räusperte sich. «Tatsächlich war mein letzter Fall – vielleicht haben Sie davon gelesen – die Sache mit Mabel Homer, dem Schulmädchen aus Muswell Hill, wissen Sie? Also dieser Täter, ein gewisser Capper, das war auch so ein eigenartiger Mensch. Erstaunlich schwierig, ihm das Verbrechen nachzuweisen, und dabei war es sein drittes! Sah ganz normal aus, wie Sie und ich. Aber dafür gibt es ja die verschiedenen Tests, wissen Sie, Fangfragen und so – ganz modern. Das hat es natürlich zu Ihrer Zeit noch nicht gegeben. Wenn man einen Menschen dazu bringt, solche Fragen zu beantworten, dann kann man ihn schnappen! Er weiß, dass man etwas weiß, und das macht ihn nervös. Und dann verrät er sich mit jedem Wort.»

«Das ist sogar zu meiner Zeit ab und zu vorgekommen», stellte Poirot ruhig fest.

Inspektor Crome sah ihn von der Seite an und murmelte höflich:

«Tatsächlich?»

Daraufhin schwiegen wir eine ganze Weile. Als wir New Cross Station passierten, sagte Crome:

«Wenn Sie mich irgendetwas fragen wollen, was mit dem Fall in Zusammenhang steht, bitte genieren Sie sich nicht.»

«Sie haben wahrscheinlich keine eingehende Beschreibung des jungen Mädchens?»

«Sie war dreiundzwanzig Jahre alt und arbeitete als Kellnerin im ‹Ginger Cat Café›…»

«Pas ca. Ich meine… war sie hübsch?»

«Darüber habe ich keine Auskünfte», erwiderte Crome zurückhaltend. Sein Ton verriet seine Gedanken: wirklich – diese Ausländer! Sind doch alle gleich!

In Poirots Augen funkelte Belustigung.

«Das erscheint Ihnen durchaus nebensächlich, nicht wahr? Aber für eine Frau ist dieser Punkt von ausschlaggebender Bedeutung. Manchmal bestimmt er ihr ganzes Schicksal.»

Crome verschanzte sich hinter höflicher Uninteressiertheit.

«Wirklich?», fragte er wohl erzogen.

Wieder Schweigen.

Erst als wir uns Sevenoaks näherten, begann Poirot wieder zu sprechen.

«Wissen Sie, wie und womit das junge Mädchen erwürgt worden ist?»

«Mit ihrem eigenen Kleidergürtel – einem dicken, gestrickten Ding, soviel ich weiß.»

Poirot riss die Augen auf.

«Aha!», rief er. «Das wenigstens ist eine handfeste Tatsache, die uns allerhand Aufschluss zu geben vermag, nicht wahr?»

«Ich habe das Mordwerkzeug noch nicht gesehen», beschied Inspektor Crome kurz.

Die Vorsicht des jungen Beamten und sein Mangel an Fantasie begannen mich ungeduldig zu machen.

«Nun, jedenfalls wirft es ein grelles Licht auf die Geistesverfassung des Mörders», warf er ein. «Der Gürtel des Mädchens! Das weist auf eine ganz besondere Brutalität hin!»